Sebastian Kurz startet Rundumschlag: „Wird alles zusammenfallen”
Inhaltsverzeichnis
- Justiz: Jagd auf erfolgreiche Politiker
- Medien: Berichte „dramatisieren”
- Migration: Kritik an „Illusionen“ in der EU
- EMRK im Visier
- AfD und FPÖ: Kein Ausschließen
- Privatwirtschaft statt Comeback
Sebastian Kurz hat sich 2021 aus der aktiven Politik zurückgezogen, mit seinen politischen Überzeugungen hält der Altkanzler aber nicht hinterm Berg. Zuletzt meldet sich der nunmehrige Privatier im ausführlichen Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung zu Wort – und lässt aufhorchen. Kurz bekräftigt nicht nur Altbekanntes zur Migrationspolitik, sondern holt vor allem zum Rundumschlag gegen Justiz und politische Berichterstattung aus.
Justiz: Jagd auf erfolgreiche Politiker
In der aktuellen politischen Lage ortet Kurz die Tendenz, strafrechtliche Verfahren gezielt gegen erfolgreiche Politiker einzusetzen. „Wir erleben in Österreich, was weltweit stattfindet: Die Justiz wird als politische Waffe missbraucht“, sagt er. In diesem Zusammenhang zieht er Parallelen zu internationalen Fällen: Marine Le Pen sei in Frankreich durch ein Gericht von einer Wahl ausgeschlossen worden, Donald Trump müsse sich in den USA trotz hoher Zustimmung vor Gericht verantworten. Ähnlich sei es bei ihm selbst gewesen. Der Vorwurf der Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss sei inzwischen entkräftet worden. Für das noch laufende Verfahren zur sogenannten Umfrageaffäre erwartet der 38-Jährige ein ähnliches Ergebnis: „Es gibt immer noch mehr und mehr an Vorwürfen, aber es wird am Ende alles in sich zusammenfallen.“
Medien: Berichte „dramatisieren”
Auch mit der medialen Darstellung politischer Themen zeigt sich Kurz deutlich unzufrieden: „Wenn den Journalisten das Wahlergebnis gefällt, dann ist es Demokratie, wenn ihnen das Wahlergebnis nicht gefällt, dann ist es Populismus.“
Besonders kritisch äußert er sich zur Berichterstattung über den Ibiza-Skandal. Zwar habe es klare Verfehlungen gegeben, doch sei der Umgang damit medial übertrieben gewesen: „In Österreich werden Dinge medial so aufgeblasen, dass man den Eindruck erhält, etwas unglaublich Dramatisches sei passiert.“ Zur Erinnerung: Ex-FPÖ-Chef Strache wurde heimlich dabei gefilmt, wie er einer angeblichen Oligarchin öffentliche Aufträge und Medienkontrolle im Gegenzug für Wahlkampfhilfe anbot. Der Fall wirbelte nicht nur medial gehörig Staub auf, sondern führte auch zum Bruch der Regierung.
In seinem eigenen Fall rund um den Vorwurf der Falschaussage seien über Jahre tausende Artikel erschienen. „Vier Jahre später dann ein paar Artikel, dass alles ein Schwachsinn war“, so Kurz, der freigesprochen wurde.
Migration: Kritik an „Illusionen“ in der EU
Auch nach dem Ende seiner aktiven Politikerlaufbahn bleibt die Migration Kurz' Steckenpferd. Die Lage in Europa hält er nach wie vor für hochproblematisch. „Die Europäer glauben immer noch, es sei möglich, einen Wohlfahrtsstaat zu haben und gleichzeitig unbeschränkte Zuwanderung ins Sozialsystem“, warnt er vor Überlastung.
Bereits während der Flüchtlingskrise 2015 hatte sich Kurz gegen die damalige Willkommenspolitik positioniert und wurde dafür – wie er betont – teilweise heftig gescholten: „Weil ich gegen Merkels Willkommenskultur war, wurde ich dargestellt, als sei ich ein Rechtsradikaler.“ Das habe mit der Realität seiner politischen Positionen nichts zu tun. Vielmehr müsse es möglich sein, migrationskritische Standpunkte zu vertreten, ohne pauschal in eine politische Ecke gestellt zu werden. „Aber Überraschung: Es gibt Menschen, die sind gegen ungehinderte Massenmigration. Das ist eine normale Haltung.“
EMRK im Visier
Einzelne politische Maßnahmen würden nicht ausreichen, um eine nachhaltige Steuerung von Migration zu ermöglichen. Vielmehr brauche es eine Anpassung bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen. „Die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und vieler anderer europäischer Gesetze führen dazu, dass die EU handlungsunfähig ist.“ Man könne sich nicht aussuchen, wer einreise, solange das geltende Recht keine wirksame Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Migration zulasse. Die Konsequenzen seien gravierend, warnt Kurz: „Wenn der Kampf gegen die illegale Migration nicht gelingt, dann werden viele große Städte irgendwann nicht mehr lebenswert sein. Die Sicherheitssituation wird katastrophale Ausmaße annehmen.“
AfD und FPÖ: Kein Ausschließen
Auch in der Debatte über die politische Rolle rechter Parteien bezieht Kurz Stellung. Die AfD sei „wesentlich radikaler als die FPÖ“, ein Parteiverbot sei jedoch „demokratiepolitisch höchst problematisch“. Gleiches gelte für den Versuch, die FPÖ in Österreich konsequent von Regierungsverantwortung auszuschließen.
Im Rückblick auf die Nationalratswahl 2024 sei es ein Fehler der Parteien gewesen, eine Zusammenarbeit mit der FPÖ kategorisch auszuschließen. „Das Ergebnis war, dass die FPÖ zum ersten Mal in der Geschichte den ersten Platz erreicht hat.“ Kurz plädiert stattdessen für einen pragmatischen Umgang mit Wahlergebnissen und eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen politischen Positionen innerhalb des demokratischen Spektrums.
Lobend erwähnt er in diesem Zusammenhang Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, die trotz anfänglicher Kritik mittlerweile eine „verlässliche und stabile Regierung“ führe.
Privatwirtschaft statt Comeback
Trotz ausdrücklich artikulierter Meinung und Haltung zu politischen Fragen schließt Kurz, der unlängst zum zweiten Mal Vater wurde, eine Rückkehr in die aktive Politik weiterhin aus. Er konzentriere sich auf seine Arbeit in der Privatwirtschaft, etwa als Berater in europäischen und nahöstlichen Projekten.
„Ich bin ein Mensch, der Blut im Körper hat, der mal fröhlich ist oder sich ärgert und unter vier Augen sagt, dass jemand ein Trottel ist“, sagt Kurz über sich selbst. Persönliche Verbindungen zu früheren Weggefährten bestehen weiterhin: Magnus Brunner, mittlerweile EU-Migrationskommissar, Susanne Raab, nun Generaldirektorin des International Centre for Migration Policy Development, oder Innenminister Gerhard Karner zählen auch heute noch zu seinem Umfeld.