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Gerhard Berger

Exklusivinterview: Carles Puigdemont

11.05.2022 um 16:19, Alexandra Nagiller
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Kataloniens Ex-Regierungschef Carles Puigdemont wurde nach dem Unabhängigkeitsreferendum 2017 des Amtes enthoben und angeklagt, floh ins Ausland und lebt nun in Belgien. Wir sprachen mit dem EU-Abgeordneten im Vorfeld seines Vortrages am MCI.

Was bedeutet Ihnen Freiheit?
Mein Leben ist inspiriert durch Freiheit. Ich wurde während der Franco-Diktatur geboren. Ich weiß daher, was es heißt, sie nicht zu haben. Daher wollte ich auch in der Politik oder im Journalismus, meinem Brotberuf, etwas bewegen. Und ich teile die Idee, dass Europa die machtvollste Kraft der Welt ist, in Sachen Demokratie, Grundrechte und Freiheiten. Aber wir müssen jeden Tag dafür kämpfen, um das sicher zu stellen.


Sie sind also Politiker aus Überzeugung?    
Absolut, ich sehe das nicht als Beruf, sondern als eine moralische Aufgabe und es macht Sinn, dafür zu kämpfen.


Ist Ihr Engagement die Folgen wert? Immerhin leben Sie im Exil und wurden schon dreimal aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen.  
Absolut. Es geht aber auch nicht um mich persönlich, sondern darum, dass das alles nicht kompatibel mit Demokratie ist. Ich lebe unter ständiger Bedrohung. Obwohl ich EU-Parlamentarier bin, werde ich bei Reisen immer befragt, weil ich im System als Krimineller geführt werde. Aber dennoch werde ich nicht aufgeben.


Bereuen Sie etwas in Ihrer politischen Laufbahn?    
Natürlich, ich bin auch nur ein Mensch und mache Fehler. Mein größter Fehler aber war es, im Oktober 2017 die Unabhängigkeitserklärung nach dem Referendum auszusetzen. Wir taten das, weil die spanische Regierung uns glauben ließ, bereit zu Gesprächen zu sein. Als Demokrat gehe ich natürlich den Weg des Dialoges anstatt der Konfrontation. Aber das war eine Lüge. Es gab nie einen Dialog und Spanien hat diese Zeit genutzt, um die weiteren Maßnahmen und Repressionen vorzubereiten. Wenn ich nochmals die Möglichkeit hätte, würde ich das anders machen.


Sie sind glühender Europäer. Wie stehen Sie zum Populismus, der immer mehr um sich greift?
Ich sehe diesen sehr kritisch. Orban und Co. bedrohen die gesamte europäische Demokratie. Diese Art von Patriotismus und Nationalismus ist der falsche Weg und gefährlich. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bevölkerung Teil der Entscheidungen der EU ist, um dem gegenzusteuern. Warum können wir z.B. nicht den Präsidenten der Kommission direkt wählen? Es wäre überhaupt wichtig, regelmäßig die Bevölkerung zu befragen. Und die Staaten dann auch zu zwingen, die Ergebnisse anzuerkennen. So wie es in der Schweiz usus ist. Die Menschen sind gebildet, man kann ihnen das zutrauen. Warum sollten wir Angst vor dem Willen des Volkes haben?


Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien fördert auch die Spaltung Gesellschaft.
Konflikte sind normal in demokratischen Gesellschaften, es geht darum, wie man mit ihnen umgeht. Katalonien ist eine Nation und muss als solche behandelt werden. Und selbst wenn ein neuerliches Referendum nicht in einem Ja resultieren würde, wäre die legale Durchführung schon ein Zeichen dafür, dass die Problematik als solche anerkannt wird. Das Ergebnis würde ich in jedem Fall akzeptieren.

Alexandra Nagiller traf Carles Puigdemont vor seinem Besuch am MCI in Innsbruck.

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