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Protestplakat mit der Aufschrift „Tourists go home“ und Stoppschild in Barcelonas Altstadt
„Tourists go home“: Protestplakat in Barcelonas Altstadt gegen Massentourismus und steigende Mieten.
„Tourists go home“: Protestplakat in Barcelonas Altstadt gegen Massentourismus und steigende Mieten.
Alamy Stock Photos / Michiko Chiba

Nicht willkommen: Mallorca & Co sagen Übertourismus den Kampf an

26.06.2025 um 12:19, Stefanie Hermann
min read
Venedig, Barcelona und Mallorca wehren sich gegen Übertourismus. Neue Verbote und Limits sollen Altstädte retten. Was heißt das für Urlauber?

Riesige Kreuzfahrtschiffe bringen nicht nur täglich tausende Touristen an die Türen beliebter Destinationen, sondern selbige auch an die Belastungsgrenze. In Venedig dröhnen die Meeresgiganten durch die Lagune, in Dubrovnik blockieren sie den Blick aufs Meer, in Santorini verstopfen sie ganze Dörfer. Während Reedereien und durchgetimte All-Inclusive-Vielreiser vom Boom profitieren, kämpfen Einheimische mit Lärm, Müll und Überlastung. 

Was einst als Wirtschaftsmotor gefeiert wurde, ist zur Plage geworden: Massentourismus. Statt Händlern, Handwerkern und Hausbewohnern dominieren barbäuchige Selfie-Jäger in Badelatschen, ausstaffiert mit Powerbanks und Plastikflaschen, die Gassen historischer Altstädte. Airbnb hat aus Altbauten Anlageobjekte gemacht, aus Nachbarschaften Ruhezonen auf Zeit. Weltweit kippt die Stimmung. Vielerorts formiert sich Widerstand.

Venedig: Historische Altstadt als regulierter Erlebnisraum

Venedig hat dem jetzt endgültig einen Riegel vorgeschoben. Bereits seit 2021 dürfen keine großen Kreuzfahrtschiffe mehr ins historische Zentrum einfahren, seit 2024 müssen Tagesgäste Eintritt in der Lagunenstadt zahlen. Mindestens fünf Euro kostet das Privileg, sich durch die Calli und auf den Markusplatz zu drängen.

Die zusätzlichen Einnahmen sind für die Lagunenstadt ein Tropfen auf dem heißen Stein: der Putz blättert, die Fundamente sinken, die Bevölkerung schrumpft. 2022 lebten weniger als 50.000 Menschen in der Altstadt; vor 70 Jahren waren es noch mehr als dreimal so viel. Für die meisten Venezianer ist das Leben und Wohnen in der eigenen Stadt schlicht nicht mehr leistbar.

Menschenmassen und Kreuzfahrtschiff in Venedig.
Vor lauter Menschen sieht man Venedig kaum noch.

Dubrovnik

Auch die Altstadt einer kroatischen Küstenstadt, die lange als Geheimtipp galt, hat in den letzten 30 Jahren mehr als zwei Drittel seiner Einwohner verloren. Touristenquartiere rauben den Bewohnern den Lebensraum, lärmende Massen den Schlaf. Über Nacht wurde die Kleinstadt erst zur Kulisse, dann zum Hotspot: Seit “Game of Thrones” ist es vorbei mit der beschaulichen Postkartenidylle aus Kupferdächern und Kalksteinwällen vor wilder Adria. Beigetragen haben dazu auch die Massen an Kreuzfahrtschiffen. Mittlerweile hat die Stadt gegengesteuert. Heute dürfen nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe pro Tag anlegen, die Besucherzahl ist limitiert und wird an den Stadttoren gezählt.

Touristenflut vor den Toren der Altstadt in Dubrovnik.
Menschenmassen vor den Toren zur Altstadt in Dubrovnik.

Santorini

Postkartenmotiv, Instagram-Star, Inselikone: Auch Santorini ist schön, viel zu schön – mittlerweile sogar gefährlich schön, im wahrsten Sinne des Wortes. An Spitzentagen landeten bis zu 17.000 Kreuzfahrtgäste an den Toren der strahlend weißen Stadt mit den blauen Dächern; aber nicht zum ausgedehnten Abschalten, sondern für ein schnelles Selfie und einen Coffee to go. Die Gassen der Kykladeninsel wurden zur Durchlaufzone, die weißen Treppen zur Stolperfalle. Busse blockierten die Wege, Müll türmte sich in Eimern, Menschenflut statt Blick aufs Meer.

Bewohnern und Behörden reicht es, sie haben der Touristenflut gesetzlich einen Riegel vorgeschoben. Pro Tag dürfen nur noch maximal 8.000 Kreuzfahrttouristen an Land. Die Passagierzahlen werden vorab mit den Reedereien abgestimmt, Anlegezeiten verteilt, Landgänge in Slots organisiert. Für beliebte Spots gibt es eine elektronische Ticketvergabe und strikt organisierte Zeitfenster. Gleichzeitig setzt die Insel auf eine neue Werbekampagne, die Langzeitreisende anlocken soll.

Mallorca

Auch auf der Lieblingsinsel der Deutschen kippt die Stimmung. Mit lauten Demonstrationen in den Straßen und Parolen auf Plakaten wehrt sich die Bevölkerung gegen die Übernahme. Die Forderungen: weniger Autos, weniger Betten, weniger Billigtourismus. Mallorca kämpft mit überteuerten Mieten, überfüllten Stränden und leergepumpten Wasserreservoirs. Vor allem hat die Insel genug von Exzessen auf Kosten der Lebensqualität.

Rückbau statt Wachstum

Die Regierung setzt nun systematisch auf Rückbau statt Wachstum. Neue Hotels dürfen bis auf Weiteres nicht mehr gebaut werden, bestehende Lizenzen werden nicht mehr aufgestockt, sondern gestrichen. Der Inselrat hat die Obergrenze für touristische Übernachtungsplätze von 430.000 auf 412.000 gesenkt. Illegale Ferienwohnungen stehen verstärkt im Visier der Steuerfahndung.

Partygäste auf Mallorca.
Bei Verstößen drohen bis zu 3.000 Euro Strafe.

Beschränkung am Ballermann

Selbst der Ballermann hat seine Narrenfreiheit eingebüßt. Um dem hochprozentigen Exzessurlaub zumindest ansatzweise Herr zu werden, wurden in S’Arenal und Magaluf Alkoholverbote verhängt, nachts patrouilliert Sicherheitspersonal. Wer oberkörperfrei herumläuft oder mit Getränken durch die Straßen zieht, riskiert saftige Strafen.

Smart Beaches: Slotsystem am Strand

Auch an den Stränden greift die Kontrolle. In Es Trenc, einem der meistbesuchten Strände der Insel, messen Sensoren inzwischen, wie viele Menschen sich im Sand tummeln. Die Technik zählt in Echtzeit, erkennt Stoßzeiten und meldet drohende Überfüllung. Wird der Andrang zu groß, wird sofort reagiert.

Ab diesem Sommer wird das Reservieren von Sonnenliegen auf Mallorca digitalisiert. An fünf Stränden – darunter die Playa de Palma, Cala Estància und Cala Major – sollen Liegen und Sonnenschirme künftig per App buchbar sein. Die App ermöglicht stundenweise Reservierungen und zeigt verfügbare Plätze in Echtzeit an. Frühzeitiges Belegen mit Handtüchern soll damit der Vergangenheit angehören.

Barcelona: Paradebeispiel für Proteste

Besonders schlimm hat es Barcelona getroffen. Millionen Gäste, Millionen Klicks, aber immer weniger Platz zum Leben. In den Vierteln rund um die Rambla weichen Bäckereien Airbnb-Schlüsseltresoren, Innenhöfe werden zu Selfie-Spots.

Anlegeverbot für Kreuzfahrtschiff

Die katalanische Hauptstadt hat jetzt die Reißleine gezogen. Seit Oktober 2023 besteht ein Verbot für Kreuzfahrtschiffe im nördlichen Teil des Hafens. Der Moll de Barcelona, vormals Drehscheibe für schwimmende Hotels, bleibt für große Schiffe geschlossen. Anlegestellen wie das World Trade Center oder der Nordkai sind tabu. Umgeleitet wird auf den entfernteren Terminal Moll d’Adossat.

Verbot von Airbnb

Noch einschneidender ist das Aus für Kurzzeitvermietungen. Bis 2028 sollen sämtliche touristischen Lizenzen auslaufen. Rund 10.000 Ferienwohnungen, die über Airbnb, Booking und ähnliche Plattformen vermittelt werden, sollen wieder dem regulären Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Mieten sollen sinken, Nachbarschaften sich erholen. Das spanische Verfassungsgericht hat der Maßnahme bereits zugestimmt.

Kyoto: Geishas und Grenzen

Nicht nur Europa ist von Massen- und Übertourismus betroffen. Kyoto ist das Herz der japanischen Kultur und zugleich ein beliebtes Ziel für Touristen, die sich nicht immer an Regeln halten.

Die Stadtverwaltung von Kyoto hat daher beschlossen, ab April 2024 den Zugang zu bestimmten privaten Gassen im Gion-Viertel für Touristen zu sperren. Betroffen sind vor allem Durchgänge, die oft nur ein bis zwei Meter breit sind und zu den traditionellen Teehäusern führen, in denen die Geishas arbeiten. Durch das Verbot soll ihre Arbeitsumgebung geschützt und die Lebensqualität der Anwohner verbessert werden. Wer Geishas ungefragt fotografiert, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Bereits seit 2019 ist das Fotografieren in bestimmten Bereichen verboten. Wer trotzdem knippst, wird mit einer Geldstrafe von bis zu 10.000 Yen (ca. 62 Euro) geahndet.

Hallstatt: Zu schön, um ruhig zu bleiben

Um die Auswirkungen von Massentourismus auf die Lebensqualität der Bevölkerung zu erahnen, muss man den Blick gar nicht weit schweifen lassen, ein Blick ins Salzkammergut ist völlig ausreichend. 776 Einwohner, ein See, ein Kirchturm, ein paar Häuser – und über eine Million Besucher jährlich: Hallstatt wurde in China 1 zu 1 nachgebaut, in Südkorea als „Must-See“ verklärt und von Hollywood zum Märchen erhoben: Die Filmemacher von Disney ließen sich für Frozen vom Ort inspirieren. Spätestens seither war der Zauber zumindest für die Einwohner vorbei. Scharenweise strömen die Menschen in Reisegruppen in den einst beschaulichen Ort. Mit Stativ gewappnet durchqueren sie Gärten, treten über Gräber, applaudieren bei Begräbnissen und fotografieren in Wohnzimmer.

Busse begrenzt

Den Anrainern ist es schon lange genug, mittlerweile wurde die Anzahl der Busse auf maximal 54 pro Tag begrenzt, was etwa der Hälfte der Spitzenwerte von 2018 entspricht. Zudem muss eine Gebühr entrichtet und eine Mindestaufenthaltsdauer von 2,5 Stunden eingehalten werden, damit Hallstatt nicht zum Drive-in-Panorama verkommt.

Asiatische Touristinnen machen in Hallstatt ein Selfie. | Credit: Robert Newald / picturedesk.com
Asiaten lieben Hallstatt und kommen in Scharen.

Selfie Spots blockiert

Auch gegen die Foto-Wut der Schau- und Knippslustigen wird gezielt vorgegangen: Selfie-Spots wurden blockiert, beliebte Sichtachsen bewusst mit Zäunen verstellt. Mit seinen Maßnahmen gegen Touristen hat es der oberösterreichische Ort von New York bis Neuseeland in die internationale Presse geschafft.

Slotsystem für Besucher

Nicht genug, finden die Anrainer, die mit ihrer Geduld endgültig am Ende sind. 2023 blockierten sie den Zugangstunnel, hielten Transparente hoch, forderten: weniger Busse, mehr Schutz, mehr Respekt. Konkret verlangten sie eine Rückkehr zum Verkehrsaufkommen von 2013, maximal 85.000 Autos pro Jahr. Angedacht wird die weitere Erhöhung der Parkgebühren, als Signal, dass man hier nicht kostenlos konsumieren kann. Ebenfalls gefordert wird ein Slotsystem, das den Zugang zum Ort stärker begrenzt und steuert.

Maya Bay: Das Schweigen der Palmen

Nicht immer gibt es eine lautstarke Bevölkerung, die sich gegen ein zerstörerisches zu viel an Touristen zur Wehr setzen kann.

Die ikonische Maya Bay in Thailand wurde zur globalen Ikone, als Leonardo DiCaprio im Film „The Beach“ dort Zuflucht vor der Zivilisation suchte. Ironie des Schicksals: Der Film machte aus dem einst versteckten Paradies ein Massenziel. Bis zu 8.000 Menschen pilgerten täglich an den vermeintlich einsamen Strand. Die Folge war katastrophal: Boote zerstörten die Korallen, Touristen zertrampelten den Sand, Müll sammelte sich in den Buchten. 2018 haben die Behörden dem einen Riegel vorgeschoben und die Bucht geschlossen.

In der Stille begannen Wissenschaftler, das Riff schrittweise zu retten – mit Erfolg. Haie kehrten zurück, Pflanzen erholten sich. Heute ist der Zugang streng reglementiert. Die Maya Bay wird regelmäßig gesperrt, um Erholung und Erhalt des Ökosystems zu gewährleisten.

Mount Everest: Gipfel des Tourismus

Auch der höchste Punkt der Welt bleibt nicht verschont. Der Mount Everest, einst ein Sehnsuchtsziel für Pioniere und Extremsportler, ist heute in eine Staubwolke aus Daunenjacken und Expeditionspaketen gehüllt. Die Route zum Gipfel gleicht in der Hochsaison einem Stau auf 8.000 Metern. Menschenschlangen im Schneesturm, Müllberge aus Sauerstoffflaschen, tote Körper als Mahnmale am Wegesrand.

Die nepalesische Regierung versucht gegenzusteuern. Um eine Genehmigung für den Aufstieg zu erhalten, muss nicht nur tief in die Tasche gegriffen werden, sondern auch die entsprechende Erfahrung vorgewiesen werden. Seit 2023 wird streng kontrolliert, wer hoch darf. Lokale Behörden verlangen Müllkautionen und setzen auf digitale Erfassung der Besteigungen.

Zukunft des Reisens: Langsamkeit als Luxus

Reiseführer warnen inzwischen nicht nur wegen Kriminalität, sondern auch wegen Überfüllung vor bestimmten Reisezielen.

“Fodor’s” veröffentlicht jährlich eine „No List“ mit Reisezielen, die unter den negativen Folgen des Massentourismus leiden. Auf der Liste für 2025 stehen unter anderem Bali, Barcelona, Mallorca, Venedig und der Mount Everest.

Parallel entstehen aber auch neue Ideen: nachhaltige Mobilität, Agro-Tourismus und lokale Angebote, die regionale Besonderheiten bewusst erlebbar machen. Kleine Projekte und lokale Initiativen lösen die Massenabfertigung ab.

Initiativen für nachhaltigen Tourismus

Alpine Pearls zum Beispiel: 18 Orte in den Alpen verzichten auf Autos und laden ihre Gäste ein, langsam zu reisen, egal ob mit Bus, Bahn oder E-Bike. Auch Cittàslow ist eine Bewegung für Orte, die lieber atmen als rasen. Im Kern stehen kulturelle Diversität und die Betonung regionaler Besonderheiten.

Das italienische Festival IT.A.CÀ predigt nachhaltigen Tourismus nicht nur, sondern macht ihn mit Wanderungen, Workshops und Diskussionen erlebbar. Das Ziel ist bei allen Gegenentwürfen dasselbe: Es geht nicht um Verzicht, sondern um Verständnis. Nicht um weniger Urlaub, sondern um besseren.

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