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Zwei ältere Menschen sitzen in einem Cabrio
In unserer Gesellschaft ist der Wunsch nach ewiger Jugend größer als je zuvor.
In unserer Gesellschaft ist der Wunsch nach ewiger Jugend größer als je zuvor.
iStock.com/Jacob Wackerhausen

Longevity-Hype: Das steckt dahinter

01.11.2025 um 10:00, Nina Dam
min read
Für immer jung? Was der Hype rund um das Thema Langlebigkeit auslösen kann und warum Balance das richtige Rezept für ein erfülltes Leben ist.

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Ein Leben ohne Ablaufdatum – verlockend, nicht wahr? Schon seit jeher sind Menschen nahezu besessen davon, dem Tod zu entkommen und möglichst lange zu leben. Zugegeben, es wird noch eine Weile dauern, bis ein unendliches Leben Wirklichkeit wird. Doch der Wunsch nach ewiger Jugend und Vitalität ist gerade größer als je zuvor. Der Hype rund um das Thema „Longevity“, zu Deutsch „Langlebigkeit“, macht das deutlich. Dabei geht es in erster Linie darum, möglichst lange selbstbestimmt und gesund zu leben. Warum man diesen Trend dennoch kritisch hinterfragen sollte.

Die Faszination daran

In unserer Welt wimmelt es nur so von Gesundheitstipps und Ratschlägen zum Thema „länger leben“. Kein Wunder also, dass das Interesse an „Longevity“ so groß ist. Die klinische Gesundheits- und Arbeitspsychologin Katrin Purgstaller-Schneidhofer erklärt diese Faszination wie folgt: „Es spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen unser gesellschaftlicher und kultureller Zugang zum Altern, zum anderen auch der medizinische Fortschritt und die damit verbundenen Möglichkeiten, in den Alterungsprozess eingreifen zu können.“ Dadurch werde ein Gefühl der Kontrolle vermittelt, aktiv etwas für die eigene Gesundheit tun zu können. „Wir haben den Eindruck, dass wir unser Schicksal in gesundheitlicher Sicht selber bestimmen können.“ Was bis zu einem bestimmten Grad auch stimmt, doch ein wichtiger Aspekt rückt hier gerne in den Hintergrund: Nicht alles kann von uns gesteuert werden.

Gefährliche Bubble

Bei jungen Menschen kann dieses vermeintliche Gefühl der absoluten Kontrolle einiges auslösen. Stichwort: Social Media. Auf Instagram, TikTok und Co. boomt der Trend wie kein anderer. Es gibt immer mehr „Longevity“-Influencer, die ihre gesunden Routinen zeigen, „überlebenswichtige“ Supplements bewerben und sogar zum gemeinsamen Eisbaden auffordern. Ein prominentes Beispiel ist der Amerikaner Bryan Johnson, der auf Instagram große Sichtbarkeit mit Aussagen wie „Wir könnten die erste Generation sein, die nicht stirbt“ erreicht. Er nimmt täglich über 50 Vitamine und Mineralien ein, überwacht permanent seinen Herzschlag sowie seine Hirnströme und unterzieht sich regelmäßig experimentellen Behandlungen. Und genau hier beginnt es, problematisch zu werden.

Eine Frau sucht nach Falten in ihrem Gesicht
Den natürlichen Alterungsprozess zu akzeptieren, hilft, gelassener und zufriedener zu leben.

Gefühl der Überforderung

Denn permanenter Input und ständige Verbesserungstipps können enormen Stress verursachen. Durch Social Media entsteht schnell der Eindruck, das rundum perfekte Leben führen zu müssen: Mindestens acht Stunden zu schlafen, täglich eine Stunde Sport zu treiben und ganz nebenbei noch vollends auf zuckerhaltige Produkte zu verzichten. So weit, so gut. „Es ist nichts dagegen einzuwenden, sich davon inspirieren zu lassen. Doch die ununterbrochene Auseinandersetzung mit Ratschlägen und Tricks kann zu zwanghafter Selbstoptimierung führen“, so die Psychologin. Denn in der Realität ist eine perfekte Umsetzung im Alltag nahezu unmöglich. Zudem betont Purgstaller-Schneidhofer, dass besonders Menschen zwischen 20 und 30 Jahren anfällig für Selbstzweifel durch ständige Vergleiche sind. „Aufgrund der persönlichen Algorithmen ist man schnell nur noch mit einem Thema konfrontiert. So wird der Eindruck vermittelt, das Leben besteht nur mehr aus Biohacking und scheinbar ewig jugendlichen Menschen.“ Gerade deshalb ist ein bewusster Umgang mit sozialen Medien immens wichtig.

Das Leben leben

Dazu kommt, dass das Altern vor allem in westlichen Ländern negativ behaftet ist. Mädchen lernen schon früh, dass Anti-Falten-Cremen ab 30 ein Must-have sind, und noch immer gilt eine schlanke Taille als das Schönheitsideal. In einer brasilianischen Studie gaben 63 % der über 2.500 teilnehmenden Frauen an, einen Druck zu verspüren, nicht ihr wahres Alter zeigen zu dürfen. Auch das zeigt die Kehrseite solcher Trends, denn auch wenn es um Gesundheit bis ins hohe Alter geht, wird der Druck nicht genommen. Damit ist auch die Angst vor dem Tod eng verbunden. Denn auch wer alle goldene Regeln der Gesundheit befolgt, ist letztlich nicht vor ihm gefeit. Dass Schicksalsschläge jeden treffen können, hat die deutsche Autorin Katja Lewina hautnah erlebt. Sie hat ihren Sohn an einem plötzlichen Herzstillstand verloren und lebt selbst mit einer unheilbaren Herzerkrankung. Dass man daraus aber auch etwas Positives schöpfen kann, ist vielen Menschen nicht bewusst. „Die Berührung mit der Endlichkeit kann eine totale Lebensqualität mit sich bringen“, erzählt Lewina. So genießt sie nun bewusst ihre Zeit und hat eine große Gleichmütigkeit dem Schicksal gegenüber entwickelt.

Ein Balanceakt

Um was geht es schlussendlich? Die Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Doch wie bei allen Dingen im Leben geht es auch hier um die richtige Balance. „Man muss nicht gleich jedem Trend hinterherjagen. Aber man kann sich auf ein paar Impulse konzentrieren, die einem guttun“, erklärt die Expertin. Denn eines sollte man nicht vergessen: Ein gesunder Lebensstil darf die Freude am Leben nicht einschränken. Um es mit Lewinas Worten auf den Punkt zu bringen: „Hauptsache, du hast dein Leben gelebt. Hauptsache, du kannst mit gutem Gewissen sterben.“

Katrin Purgstaller-Schneidhofer
Klinische Psychologin, Gesundheits- und Arbeitspsychologin Katrin Purgstaller-Schneidhofer

Interview mit Katrin Purgstaller-Schneidhofer

Warum sind so viele Menschen fasziniert von der Idee, möglichst lange zu leben?
Purgstaller-Schneidhofer: Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle: Zum einen unser gesellschaftlicher und kultureller Zugang zum Altern und zu unserer eigenen Vergänglichkeit, zum anderen der medizinische Fortschritt und die damit verbundenen Möglichkeiten, in den Alterungsprozess eingreifen zu können. Dies fördert das Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Viele sagen: „Ich will alt werden, aber nicht alt sein.“ Wann wird dieser Wunsch ungesund?
Purgstaller-Schneidhofer: Eine Grenze ist erreicht, wenn es zum Zwang wird – wenn der ganze Alltag von Maßnahmen zur „Longevity“ bestimmt ist und sich alles ums Jungbleiben dreht. Selbstfürsorge ist wichtig, doch sobald sie zwanghaft wird, ist die Balance verloren.

Wie kann man den natürlichen Alterungsprozess als etwas Positives erleben?
Purgstaller-Schneidhofer: Der erste Schritt liegt in der Akzeptanz. Denn das Alter muss nicht automatisch mit Verfall gleichgesetzt werden. Ich sollte trotz dieser Veränderungen meinen Körper wertschätzen. Als nächster Schritt empfiehlt es sich zu überlegen: Was tut mir gut, was schaffe ich noch, was macht mich glücklich?

Was kann dabei helfen, das Hier und Jetzt mehr zu genießen?
Purgstaller-Schneidhofer: Achtsamkeits- und Atemübungen, Meditation, ein bewusster Umgang mit Social Media, Dankbarkeit sowie die Pflege sozialer Kontakte können helfen. Wichtig ist, herauszufinden, was einem persönlich guttut, und sich gezielt ein oder zwei Routinen oder Rituale auszusuchen und konsequent umzusetzen – nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“.

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