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Intelligentes Wärmemanagement ist ein entscheidender Faktor für die Reichweite. Zum Einsatz kommen dafür Wärmepumpensysteme.
Intelligentes Wärmemanagement ist ein entscheidender Faktor für die Reichweite. Zum Einsatz kommen dafür Wärmepumpensysteme.
BMW Group

Freude am Testen

19.03.2025 um 10:15, Klaus Schobesberger
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Seit mehr als vier Jahrzehnten werden bei BMW Motoren in Steyr Dieselantriebe optimiert. Unter Entwicklungsleiter Honeder wurde das Aufgabengebiet breiter.

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Wichtige Teile wie Hochvoltbatterie, Elektromotor oder das Wärmepumpensystem sind mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Daumendicke Schläuche erinnern in diesem Testlabor für Wärmemanagement bei BMW Steyr mehr an eine komplexe Hydraulikmaschine als an ein Auto. Im Entwicklungszentrum des weltgrößten Antriebswerks innerhalb der BMW Group ist die Veränderung der ­Branche mit jedem Schritt spürbar. Seit mehr als vier Jahrzehnten werden Dieselmotoren am Standort Steyr optimiert und sauberer gemacht. Mit dem Start der Produktion von Hochleistungs-Elektromotoren in Steyr hat sich das Tätigkeitsfeld für Josef Honeder um bisher unbekanntes Terrain erweitert. Der gebürtige Mühlviertler leitet seit Anfang 2022 den Entwicklungs­standort Steyr und verantwortet für BMW weltweit auch den Bereich des Wärmemanagements. „Die intelligente Verteilung der Wärme bringt je nach Kunden-Usecase  bis zu 15 Prozent mehr elektrische Reichweite“, rechnet Honeder vor. Bei einem Verbrennungsmotor kann die überschüssige Wärme effizient für das Heizen des Fahrzeugs und über einen Klima­kompressor auch zum Kühlen genutzt werden. Dem batteriebetriebenen Elektrofahrzeug (BEV) fehlt jedoch dieser Strom, der für Heizen und Kühlen verwendet werden könnte, was sich negativ auf die Reichweite auswirkt. Das ­Wärmemanagement im E-Fahrzeug muss daher sorgfältig ausbalanciert werden: Einerseits soll es die Temperatur in der Fahrgastzelle sparsam regulieren, andererseits aber auch für die Batterie ein optimales Lade- und Betriebsumfeld schaffen. Denn wie Honeder erklärt, ist die Leistungsfähigkeit der Batterie bei Körpertemperatur am besten.
 

Weltpremiere der Neuen Klasse

Bei den sogenannten „Road to Rig“(R2R)-Prüfständen der BMW Group werden Modelle mit Elektroantrieb, Verbrenner und mit Plug-in-Hybrid unter realen Bedingungen auf Herz und Nieren geprüft. Diese revolutionären R2R-Prüfstände, von denen einer in Steyr steht, ermöglichen es, Zeit und Kosten in der Forschung und Entwicklung erheblich zu reduzieren. Statt aufwendiger Straßentests können die Fahrzeuge hier unter kontrollierten Bedingungen umfassend evaluiert werden. Einen merkbaren Entwicklungssprung verspricht sich Honeder von der Neuen Klasse, die BMW im Herbst präsentieren wird. Die Vorproduktion der leistungsstarken Elektromotoren der sechsten Generation (Gen6) ist in Steyr bereits angelaufen. „Kunden werden noch einmal einen spürbaren Unterschied zwischen einem aktuellen elektrifizierten Fahrzeug und der Neuen Klasse feststellen“, ist Honeder überzeugt. Nicht nur bei der Performance der ­neuen Antriebe, sondern auch beim Infotainment- und Connectivity-Konzept hat BMW die Fahrzeug­entwicklung komplett neu gedacht. Bis zur Weltpremiere auf der IAA in München wird der bayerische Autohersteller die Neuerungen dazu schrittweise an die Öffentlichkeit bringen. So soll eine leistungsstarke Fahrdynamik­regelung dafür sorgen, dass die ­mechanische Bremse nur noch in Ausnahmefällen benötigt wird. Ein leistungsstarker Bordcomputer mit dem Namen „Heart of Joy“ (Herz der Freude) soll zudem das allgemeine Fahr­erlebnis revolutionieren. Darüber hinaus kommt bei der neuen Fahrzeugklasse eine „Cell to pack“-­Bauweise zum Einsatz, bei der die zylin­drischen Batteriezellen direkt in einen großen Unterboden-Kasten integriert werden. Diese platzsparende Lösung erhöht die Energiedichte und damit die Reichweite des Elektrofahrzeugs.
 

Josef Honeder Entwicklungschef BMW Steyr

"Intelligentes Wärmemanagement bringt je nach Kunden-Usecase bis zu 15 Prozent mehr elektrische Reichweite."

Vom Zauderer zum Zauberer

Mit seiner Strategie, den Kunden für die bestehenden Modelle die Wahl zwischen verschiedenen Antriebsarten zu ermöglichen, war BMW schon erfolgreich unterwegs. 2023 erreichte der Anteil der vollelektrischen Fahrzeuge 15 Prozent, womit die Münchner eine Spitzenposition unter den europäischen Herstellern einnahmen. 2024 liegt der Anteil bei 24 Prozent – und das trotz eines rückläufigen Gesamtmarkts. BMWs „technologieoffene“ Strategie, also die Bereitstellung verschiedener Antriebsoptionen, hatte in der Vergangenheit durchaus Kritik auf sich gezogen. Honeder erklärt dazu: „2013 waren wir mit dem i3 vielleicht etwas zu früh dran. 2019 hieß es dann, der Zug für uns sei abgefahren. Heute wird in Medien getitelt: ‚BMW: Vom Zauderer zum Zauberer‘. Ich denke, unser Timing ist genau richtig gewesen.“ Neben dem hochwertigen Biokraftstoff HV 100 soll vor allem Wasserstoff ein wichtiges ­Antriebsthema der Zukunft sein. BMW verfügt bereits über eine Pilotflotte von Wasserstofffahrzeugen unter anderem am Stand-
ort Steyr, und für 2028 sind die ­ersten serienreifen Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV) geplant. Honeder: „Wir sehen Wasserstoff per­spektivisch als wichtigen Energieträger“, erklärt Honeder. Seiner Einschätzung nach wird Wasserstoff zunächst vor allem in industriellen Anwendungen an Bedeutung gewinnen. Dafür braucht es aber noch die richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen – etwa für den Bau von Elektrolyseuren und die Nutzung von Wasserstoff in Gasnetzen und -speichern. „Das ist die eigentliche Herkulesaufgabe. Der Bau einer Wasserstofftankstelle ist am Ende das Einfachste dabei.“ Grüner Wasserstoff wird aus Überschussenergie der Erneuerbaren gewonnen. Allein in Deutschland hätten laut einer McKinsey-Studie 2021 bereits 100.000 Tonnen Wasserstoff produziert werden können. Ein Kilogramm Wasserstoff reicht dabei für etwa 100 Kilometer Reichweite. „Mit einem X5 aus unserer Pilotflotte hätte man so 10 Milliarden Kilometer fahren können“, rechnet Honeder vor.
 

„90 Prozent sind Maschinenbau“

Mehr als 4.700 Mitarbeiter sind bei BMW in Steyr beschäftigt, davon 700 im Entwicklungszentrum – es ist der größte Entwicklungsstandort außerhalb Münchens. Dividiert man die kumulierten Investitionen seit der ­Gründung des Standorts durch die Anzahl der Werktage, investiert BMW eine Million Euro pro Werktag in Steyr. 2024 waren es mehr als zwei Millionen pro Werktag. Auch das BMW-Entwicklungszentrum in Steyr hat inzwischen eine 45-jährige Geschichte. „Wir kommen vom Diesel und waren respektive sind das Diesel-Kompetenzzentrum im Konzern. Bis vor drei, vier Jahren haben wir uns auch ausschließlich mit dem Diesel beschäftigt. Inzwischen haben wir uns massiv transformiert. Nicht reformiert, sondern transformiert“, erklärt Honeder den feinen Unterschied. Zwischen ­Verbrenner und Elektromotor sieht er aus Entwicklersicht viele Gemeinsamkeiten: „90 Prozent des E-Antriebs sind ­Maschinenbau.“ 

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