"Da standen 13.500 Jahre Erfahrung im Raum"
CHEFINFO: Den ÖGV gibt es schon seit 1839. Sind Sie damit selbst eine Art Traditionsbetrieb? Wie kam es zu seiner Gründung?
Stephan Blahut: Die Geschichte des ÖGV reicht sogar noch weiter bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Der mittlere Adel konnte es sich leisten zu reisen, sogar bis in die USA. Dort sah man, was maschinell alles möglich ist. Man begann, Prototypen von Maschinen zu importieren, sie nachzubauen bzw. zu optimieren. Irgendwann kam man drauf, dass sich einer allein schwertut, also schloss man sich zusammen. Johann Joseph Prechtl, einer der Gründerväter des ÖGV, schrieb 1815 dazu drei Dinge auf, die es brauchen würde: erstens, eine Lehranstalt, die solche Geräte ersinnt – aus dem ist die TU Wien hervorgegangen. Zweitens: ein Museum, um diese Maschinen auch angreifen zu können – aus dem entstand, wenngleich erst viel später, 1918, das Technische Museum Wien. Und drittens eine Organisation, die in der Lage ist, das alles zu finanzieren, sprich den ÖGV.
Wie kam es dann zur Gründung des „Clubs der Traditionsbetriebe“?
Blahut: Die Idee lag so auf der Hand, dass wir uns fragten, warum wir nicht schon vor 50 Jahren hätten draufkommen können. Es war quasi ein Produkt der Pandemie. Wir sahen eine gewisse Notwendigkeit, uns neu zu erfinden. Dazu kam, dass im Laufe eines Kamingesprächs mit Andreas Rath von Lobmeyr (Anm.: Glaserzeugung seit 1823) und Friedrich Riess (Anm.: Emailgeschirr seit 1550) beide von der Nachfolgethematik sprachen. Es wäre ihnen geholfen, wenn man über eine gewisse Zeit potenzielle Nachfolger in anderen Traditionsbetrieben arbeiten lässt. Gleichzeitig suchten die jungen Leute, die Traditionsbetriebe übernommen haben, Austausch. Wir haben daher alte Betriebe zusammengefasst und den Club gegründet. Kürzlich hatten wir eine Veranstaltung mit 100 Betrieben, die im Schnitt 135 Jahre alt waren. Da standen 13.500 Jahre Erfahrung im Raum. Alle Traditionsbetriebe haben die gleichen Leiden wie andere Betriebe auch, nur sind sie es mehr gewöhnt, in der Krise zu leben. Sie sind gute Zeugen und eine Brücke, um ernste Angelegenheiten zu diskutieren, wie etwa eine eventuelle Erbschaftssteuer. Wir sind gerade dabei, den Club – nach Wien und Niederösterreich – auch in Oberösterreich auszurollen.
Auf Ihrer Homepage steht: Der Erfahrungsschatz dieser Betriebe sei für Entscheider und Politik wichtig. Hören die auf Tradition?
Blahut: Unsere sehr schnelle Zeit ist natürlich auch für alte Betriebe herausfordernd. Alle Unternehmen sitzen im selben Boot, nur zeichnet Traditionsbetriebe eine gewisse Muße, ein gewisser gelassenerer Zugang zu einschneidenden Veränderungen aus. In der Politik kommt es oft zu einer Anlassgesetzgebung, anstatt dem Problem mehr Zeit zu widmen. Dort könnte man von Traditionsbetrieben lernen. Lösungen, die aus dem Ärmel geschüttelt werden, sind meist schlechte Lösungen. Natürlich muss man rasch reagieren, wenn der Damm bricht. Traditionsbetriebe überlegen sich aber schon im Vorhinein, welche Materialien sie für den Bau eines starken Damms brauchen. Es geht um Nachhaltigkeit im klassischen Sinne. Ein Förster arbeitet etwa so. Er überlegt, welche Sorten er pflanzen kann, damit sie den Klimawandel überleben. Es geht um Nachhaltigkeit und nicht um den schnellen Gewinn, der bleibt ohnehin nicht lange. Für so etwas hat die Politik durchaus ein offenes Ohr. Doch ihre Vertreter sind nur für vier, fünf oder sechs Jahre gewählt und viele denken dann gleich wieder an den nächsten Wahlkampf.