Energieschub: Wie gelingt die Energiewende?
Inhalt
- Verkauf von grünem Stahl ab 2027
- Größte Baustelle Oberösterreichs
- 100 Milliarden Euro bis 2040
- Rainbach: ein Ort unter Strom
- Vom Bürgerstrommodell profitieren
- Energiegemeinschaften zahlen sich aus
Bei Energiewende denken viele an Windkraftanlagen, Photovoltaikflächen oder Ladestationen für Elektroautos – und eher nicht an die voestalpine. Dabei verdient der europäische Pionier mit seinem Mammutprojekt „greentec steel“ deutlich mehr Beachtung. Denn ab 2027 soll je ein grünstrombetriebener Elektrolichtbogenofen (EAF) in Linz und Donawitz in Betrieb genommen werden. Bis 2029 können dadurch bis zu 30 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber 2019 eingespart werden. Das entspricht fast fünf Prozent der jährlichen CO2-Emissionen Österreichs. „Damit ist ‚greentec steel‘ das größte Klimaschutzprogramm in Österreich“, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Die Investitionskosten betragen 1,5 Milliarden Euro. Eine gewaltige Summe für die Konzern-Neuausrichtung – Geld, das den Standort in Linz zwangsläufig in eine Großbaustelle verwandelt. Diese setzt sich aus 20 Einzelprojekten zusammen, die sich über das gesamte Werksgelände verteilen. Mehr als 230 externe Unternehmen, davon 60 Firmen vor Ort, wurden im Zuge des Bauvorhabens beauftragt. Es wird eine Förderbandbrücke für die neue Rohstoffversorgung errichtet und bestehende Anlagen werden demontiert, um Platz für den EAF zu schaffen. Die Halle dafür wird gerade gebaut und ebenso das wohl spektakulärste Projekt: ein Microtunnel für die neue 220-kV-Stromleitung, die ab 2027 den EAF mit Grünstrom versorgt. Der 1,5 Kilometer lange Tunnel, mit einem Durchmesser von rund zwei Metern, führt in rund 25 Meter Tiefe vom Umspannwerk zum Elektrolichtbogenofen. Ohne Kühlung würde sich der Tunnel wie ein Backofen auf rund 280 °C erwärmen, deshalb wird er für die Kühlung mit Grundwasser geflutet werden.
Verkauf von grünem Stahl ab 2027
Während deutsche Stahlriesen wie thyssenkrupp das Projekt „Grüner Stahl“ auf den Prüfstand stellen, gibt es beim weltweit tätigen Stahl- und Technologiekonzern aus Oberösterreich kein Abrücken. Die voestalpine hat ihre Transformationspläne vorsorglich modular aufgebaut und wählt damit bewusst eine andere Strategie als ihre deutschen Mitbewerber, die auf die Errichtung von Direktreduktionsanlagen für Eisenschwamm setzen. Es ist der erste praktische Umsetzungsschritt – trotz ungünstiger Rahmenbedingungen. „Alle Umsetzungsprojekte in Linz und Donawitz verlaufen planmäßig und sind im Zeitplan“, versichert das Unternehmen. Grundvoraussetzung für die Integration von Elektrolichtbogenöfen in die Stahlproduktion sei allerdings „die ausreichende Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Quellen zu wirtschaftlich darstellbaren Preisen“. Noch wichtiger ist die Bereitstellung einer leistungsfähigen und integrierten Netzinfrastruktur. Langfristig strebt die voestalpine bis 2050 eine Stahlproduktion mit Net-Zero-CO2-Emissionen an. Die schrittweise Umstellung der Produktion auf weniger emissionsintensive Energien sowie Roh- und Einsatzstoffe ist zugleich die Voraussetzung, um auch „grüne Märkte“ mit unverändert höchstwertigen Produkten, jedoch deutlich niedrigerem CO2-Fußabdruck beliefern zu können. Die voestalpine geht davon aus, dass sich hierfür in zwei bis drei Jahren eine relevante Nachfrage entwickelt.

Größte Baustelle Oberösterreichs
Szenenwechsel nach Ebensee zu einer anderen Großbaustelle. Am Traunsee baut die Energie AG um 451 Millionen Euro ein Pumpspeicherkraftwerk – eine „grüne Batterie“, um den Strom aus Erneuerbaren bedarfsgerecht verfügbar zu machen. „Es ist die größte Einzelinvestition in der 132-jährigen Unternehmensgeschichte“, erklärt Leonard Schitter, der Vorstandsvorsitzende der Energie AG, im Interview (siehe Seite 22). Die Baustelle beschäftigt aktuell 1.500 Mitarbeiter, mehr als 90 Prozent der Wertschöpfung bleiben in der Region. Bis 2035 plant der Landesenergieversorger, Klimaneutralität und Unabhängigkeit zu erreichen. Dafür wird der Ausbau erneuerbarer Energien wie Sonnen-, Wasser- und Windkraft vorangetrieben und der Ausbau der Netze sowie der Netzinfrastruktur forciert. Insgesamt werden vier Milliarden Euro in diese Maßnahmen investiert. Das Pumpspeicherkraftwerk soll nicht nur die Netze, sondern auch die Strompreise stabilisieren. „Der Stromverbrauch steigt exponentiell, und das liegt nicht nur an der Dekarbonisierung, sondern am Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum oder an der Digitalisierung mit dem enormen Bedarf an Rechenleistung“, erklärt Schitter. Österreich benötigt derzeit Strom im Ausmaß von 77 Terawattstunden, 2040 wird sich der Stromverbrauch mit 140 Terawattstunden nahezu verdoppelt haben. „Die Kapazitäten und die Infrastruktur dafür zu schaffen, ist eine der größten Herausforderungen“, erklärt der CEO der Energie AG.
100 Milliarden Euro bis 2040
Verbund-Chef Michael Strugl gibt den Takt vor: „Egal, wer regiert: An einem Ausbau der Erneuerbaren führt kein Weg vorbei.“ Dass der Umbau des Energiesystems nicht billig ist, sei immer schon klar gewesen. Rund hundert Milliarden Euro budgetiert die Branche bis 2040. Mehr als die Hälfte davon geht in den Ausbau der Netzinfrastruktur. Eine weitere Mammutbaustelle wird die Umstellung der industriellen Wärme auf erneuerbare Quellen. „Hier braucht es einen historischen Kraftakt, wir brauchen eine Art EU-Marshallplan für die Energiewende, wenn wir die Wirtschaft nicht umbringen wollen“, sagt Wirtschafts-Landesrat Markus Achleitner. Der Hebel für die Energiewende in Europa soll grüner Wasserstoff sein. Die Nachfrage wird laut Prognosen von 172 Millionen Tonnen 2030 auf 598 Millionen Tonnen 2050 über alle An-wendungen und alle Weltregionen kontinuierlich zulegen. „Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit stehen heute jedoch noch vor wesentlichen Hürden“, sagt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung OÖ. Investitionen in Milliardenhöhe sind daher notwendig, um eine tragfähige Infrastruktur aufzubauen. Ohne massive politische Unterstützung und internationale Kooperation wird der Wandel nicht gelingen. Wasserstoff hat laut Schitter in zweierlei Hinsicht eine Bedeutung. Zum einen ist er der Ermöglicher für die Dekarbonisierung, das heißt, er kann Erdgas durch Grüngas bzw. Wasserstoff ersetzen. Zum anderen ist Wasserstoff ein wichtiges Speichermedium. „Das bedeutet, dass Strom, den ich aus Sonne oder Wind produziere, durch Wasserstoff gespeichert werden kann. Anschließend kann der Wasserstoff wieder in Strom umgewandelt werden, wenn er benötigt wird.“
Rainbach: ein Ort unter Strom
Szenenwechsel. In Rainbach im Mühlkreis werden auch bald die Bagger auffahren, wenn auch in kleineren Dimensionen als bei den Linzer Stahlkochern oder der Energie AG. Aber es ist eine Baustelle mit Symbolkraft. Nach einer positiven Volksbefragung werden in der Gemeinde nördlich von Freistadt drei Windenergieanlagen mit einer Leistung von rund sieben Megawatt gebaut. Sie erzeugen pro Jahr Strom für etwa 10.000 Haushalte. „Der Verbund ist aufgrund des Windzonenplans auf uns zugekommen. Von Vorderweißenbach bis ins Waldviertel ist diese Region für ihr Windvorkommen bekannt“, sagt Bürgermeister Günter Lorenz (ÖVP). Dass die rund 3.100 Einwohner Rainbachs sich anders entschieden haben als die Kärntner Bevölkerung, die den Bau von Windkraftanlagen in einer Volksbefragung rundweg ablehnte, liegt wohl an den weniger missverständlich formulierten Fragen – und der Historie des Ortes. „Rainbach war schon immer ein verkehrs- und energietechnischer Hotspot“, erklärt Lorenz. Die B 310, eine wichtige Verbindungsstraße in die Tschechische Republik, führt ebenso durch den Ort wie eine Gas- und Hochspannungsleitung oder die Summerauerbahn, die 61 km lange Regionalbahnstrecke von Linz nach Rainbach. Beim Bau der Mühlviertler Schnellstraße S 10 gab es massive Widerstände und es bildeten sich bei den Einwohnern zwei Lager. „Ich wollte diesmal endlose, ins Persönliche gehende Diskussionen vermeiden und das Thema mit einer Befragung auf eine sachliche Ebene führen“, erklärt der Ortschef. Positiv ausgegangen sei die Befragung auch deshalb, weil die Bevölkerung über das Projekt vom Verbund sehr gut informiert worden sei. Es wurden eigene Projektsprechtage und Stammtische eingerichtet. „Was bei uns auch eine Rolle spielt: Wir haben den Reaktor des AKW Temelin in Sichtweite, gegen den regelmäßig demonstriert wurde. Die Meinung in der Bevölkerung ist heute schon so, dass man nicht immer nur gegen alles sein kann, sondern auch einmal etwas zulassen muss.“

Vom Bürgerstrommodell profitieren
Aber es gibt noch andere Hebel der Motivation, die unschlüssige Bürger überzeugen können, nämlich etwas für das gute Gewissen und den eigenen Geldbeutel zu tun. Der Verbund lockt mit „Klimasparen“ und einem „Bürgerstrommodell“: „Durch Investitionen in erneuerbare Energien schützen Sie nicht nur die Umwelt, sondern profitieren auch von attraktiven Renditen“, lautet die Botschaft. „Es gibt ein Angebot vom Verbund, bei dem wir einen günstigeren Stromtarif von neun Cent für eine garantierte Laufzeit von 20 Jahren erhalten“, bestätigt Lorenz, der auch gerade dabei ist, eine Energiegemeinschaft zu gründen. Der Anstoß: Weil es bereits viele private PV-Anlagen im Gemeindegebiet gibt, besteht die Befürchtung, dass der Strom der Windkraftanlagen den Strom aus den PV-Anlagen überflüssig macht. „Mit einer Energiegemeinschaft soll der selbst produzierte Strom auch selbst verbraucht werden – ist es zu wenig, wird Strom von den Windrädern dazugeholt“, so Lorenz. In Niederösterreich und im Burgenland sind auch neue Abgaben in Kraft: Betreiber großer Photovoltaik-Freiflächenanlagen oder von Windkraftanlagen haben eine Windkraft- und Photovoltaikabgabe zu leisten. Der jeweiligen Standortgemeinde stehen 50 Prozent der Ertragsanteile zu. „In Oberösterreich ist so eine Standortabgabe noch nicht vorgesehen. Die Landesregierung ist gefordert, dass zu ändern“, sagt Lorenz. Übrigens: Dass das millionenschwere Windkraftprojekt in Sandl abgeblasen wurde, versteht Lorenz gar nicht. „Das löst in der Region Kopfschütteln aus. Eine Windkraftverbotszone ist nicht nachvollziehbar.“

Energiegemeinschaften zahlen sich aus
Laut Gerald Wirtl sind zwei Maßnahmen für einen günstigen Strom notwendig: Das „bescheuerte“ Merit-Order-Strompreis-System in Europa entsorgen und eine PV-Anlage mit einem Speicherkonzept installieren. „Mit dieser Maßnahme spare ich mir die Netzgebühren und Energieabgaben und zahle nur einen reinen Strompreis um die fünf Cent.“ Wirtl hat sich mit seiner Firma AEP unter anderem auf Energiegemeinschaften spezialisiert und stellt eine Software zur Verfügung, um damit Verbrauch und Einspeisung abzurechnen. Damit ist es Bürgern und Unternehmen möglich, saubere Energie über Grundstücksgrenzen hinweg gemeinschaftlich zu produzieren, zu speichern, zu verbrauchen und auch zu verkaufen.
„Ziel eines jeden Unternehmens ist, möglichst viel Eigenstrom zu verbrauchen. Unser Ansatz ist es daher, uns mit anderen Firmen und PV-Betreibern zu verbrüdern und Energie-Überschusskapazitäten auszutauschen. Das geht so weit, dass Sie in Wien ein Windrad betreiben und in Vorarlberg den Strom verbrauchen“, sagt der Energie-Experte. Auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist das ein Vorteil: „Mit der Energiegemeinschaft kann ich genau nachweisen, von welchem Windrad oder welcher PV-Anlage ich den Strom bezogen habe und kann dies dann in meine CO2-Bilanz aufnehmen.“