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Energie sagt der Hausverstand
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urfinguss/ iStock / Getty Images Plus

Energie sagt der Hausverstand

13.05.2025 um 09:00, Jürgen Philipp
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Energiepolitik. Fast jeder fordert sie, fast jeder versteht etwas anderes darunter: Energiepolitik mit Hausverstand. Wie wird diese möglich?

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Juli 2021: Liberaler Klub fordert „Energie und Wirtschaft – mit Hausverstand in die Zukunft“. Jänner 2022: SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl will „Energiepolitik mit Hausverstand“ und kritisiert „grüne Scheuklappen“. Juli 2023 – Presseaussendung Axel Kassegger / FPÖ-Nationalrat: „Energiepolitik mit Hausverstand statt grüner ideologiegetriebener Klimapolitik“. September 2024: Die ÖVP fordert „Klimaschutz mit Hausverstand“. Dezember 2024: Die burgenländische Liste „Hausverstand“ fordert im Zuge der Landtagswahl „eine radikale Umkehr in der Energiepolitik“. Eigentlich sind sich ja fast alle einig – nur wie Hausverstand definiert wird, bleibt Interpretationssache, obwohl offensichtlich jeder davon ausgeht, dass „seine“ Definition die richtige sei. Schon Aristoteles hat sich darüber den Kopf zerbrochen, nannte ihn „koine aisthesis“ und definierte ihn als „innerer Sinn mit Sitz im Herzen“. Immanuel Kant sieht den Hausverstand als „nichts anderes als der durchschnittliche Verstand eines gesunden Menschen“, daher auch der Begriff „Gesunder Menschenverstand“.
 

Vorbild Deutschland?

Energiepolitik mit Hausverstand ist auch in Deutschland ein Thema. WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer bezieht sich auf den Koalitionsvertrag der neuen deutschen GroKo. Dort wird die dauerhafte Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern um mindestens 5 Cent pro kWh festgehalten. „Die heimische Wirtschaft steht unter massivem Druck. Hohe Energiekosten, schleppender Netzausbau und Unsicherheiten bei der Transformation gefährden den Standort. Die österreichische Regierung muss jetzt entschlossene Maßnahmen setzen, um die Energiewende effizient zu gestalten und wettbewerbsfähige Energiepreise sicherzustellen“, fordert Hummer. Wie Deutschland soll auch Österreich die Stromsteuern auf das EU-Minimum senken, zudem sollen die Netzentgelte sinken. Diese stiegen zuletzt kräftig. Im Schnitt bezahlen die Österreicher um 23  Prozent mehr. Die Energieversorger rechtfertigen das mit hohen Investitionen in die Netzinfrastruktur, um es resilienter gegen starke Schwankungen, unter anderem durch Einspeisungen von grünem Strom aus PV-Anlagen, zu machen. Strom ist nicht die einzige Energiequelle, doch „Strom-­Ströme“ lassen sich lenken. Gelingt es, in Überschusszeiten grünen Strom in die Wasserstoffproduktion zu leiten, könnten damit Gasexporte reduziert werden, eine zentrale Forderung der WKOÖ ist daher „der Aufbau der Wasserstoff-­Infrastruktur“.

 

Energiepolitik beim Hausbau.
Energiepolitik beim Hausbau.

Österreich ist Strom-Netto-Exporteur

Hummer wünscht sich die gleiche Ambition beim Energiethema wie beim großen Nachbarn. „Deutschland macht es vor und Österreich muss nachziehen! Es braucht jetzt eine klare Strategie, um Energiekos­ten zu senken, Versorgungssicherheit zu garantieren und die Industrie zukunftsfit zu machen. Die Bundesregierung darf ­keine Zeit mehr verlieren!“ Die Forderungen der Industriellenvereinigung (IV) decken sich im Großen und Ganzen mit der WKOÖ: Netzausbau, Diversifizierung und Wasserstoff sind auch dort die großen Themen. Die Forderung der IV, die deutsche Gasspeicherumlage abzuschaffen, wurde mittlerweile umgesetzt. Deutschland beschloss, diese Art von „Zoll“ bzw. „Maut“, die westliche Gasimporte nach Österreich deutlich verteuerten, zu streichen. Es scheint also einiges in die richtige Richtung zu gehen. So zeigen sich mittlerweile deutliche Effekte der vergangenen Pakete zur Förderung von erneuerbarer Energie. 2024 konnte Österreich zu 95  Prozent mit Erneuerbaren versorgt werden. Das Land wurde damit zum Netto-Exporteur von Strom. Das zeigt sich auch bei den kurzfristigen Strom- und Gaspreisen. Im Mai 2025 fiel der Strompreisindex laut der Österreichischen Energieagentur um 18,1  Prozent gegenüber dem Vormonat, bei Gas um 11,1  Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr bleibt dennoch eine saftige Steigerung: 15,4  Prozent höhere Strompreise wie im Mai 2024 und sogar 28,7  Prozent höhere Gaspreise im Vergleich zum Vorjahr belasten die Budgets von Wirtschaft und ­Privathaushalten. Warum muss das so sein, wenn Österreich doch so viel unabhängiger geworden ist?
 

Speichersysteme, wie jene des Freistädter Unternehmens neoom, spielen bei der Netzbe- und -entlastung eine entscheidende Rolle.
Speichersysteme, wie jene des Freistädter Unternehmens neoom, spielen bei der Netzbe- und -entlastung eine entscheidende Rolle.

Energieflüsse brauchen Steuerung

Wenn man Hausverstand bei der Energiepolitik verstehen ­möchte, braucht es Menschen aus der Praxis, wie etwa ­Andreas Grabner, Geschäftsführer von MAGTEC. Sein Unternehmen beschäftigt sich unter anderem mit dem „Smarthome  2.0“. Die großen Fördertöpfe und der rasante Ausbau mit ­PV-Anlagen waren wichtig, so Grabner, doch: „Jetzt ist der Zeitpunkt da, den Fokus auf die optimale und intelligente Nutzung zu setzen. Es geht darum, wie man Bürger und Unternehmen dazu bringt, den Eigenverbrauch bei Überschussstrom zu erhöhen.“ Grabner definiert den Hausverstand in der Energiepolitik so: „Will ich mit Hausverstand agieren, muss ich zuerst mein Haus verstehen.“ Der Experte meint damit konkret die Energieflüsse. „Kenne ich die, kann ich Überschussstrom aus der PV-Anlage – oder dann, wenn er am billigsten ist – antizyklisch nutzen.“ Das Manko: Es gibt in fast allen Gebäuden zu wenig Messstellen: „Meistens kenne ich nur den Hauptstrom- und den ­Wärmezähler.“ Grabner will das ändern. „PV produziert Strom, diese Energie kann perfekt in Wärme oder Kälte transformiert werden. Es geht also um die Frage, wie ich meine Verbrauchsstellen so optimieren kann, dass das Lastprofil bei Überschussstrom so hoch wie möglich ist. Dazu muss ich meine Verbraucher kennen.“ Energie mit Hausverstand zu nutzen, beginnt für Grabner deshalb mit einer „Hausübung“: Was verbraucht wie viel? Dazu setzt er auch auf Forecasts, wie z. B. Wetterberichte. „Ich kann schon viel im Vorfeld planen, etwa die intelligente Beschattung. Wird es heiß, kann die rechtzeitige Beschattung mir Energie für die Klimaanlage sparen. Wird es kalt, kann ich mit Überschussstrom schon vorher die Wohnung elektrisch temperieren. Wärme ist träge. So kann ich meine Wasserwärmespeicher dann arbeiten lassen, wenn zu viel Energie da ist.“ 
 

Andreas Grabner, Geschäftsführer MAGTEC
Andreas Grabner, Geschäftsführer MAGTEC

Dynamische Bepreisung

Im Hintergrund stehen dynamische Stromtarife, welche die Netze entlasten sollen. „Gibt es Verbrauchsspitzen, wird der Strom teuer, gibt es Überschuss, wird er billiger. Ich nehme also immer dann Energie, wenn sie am billigsten ist und nutze sie, wenn sie am teuersten ist.“ Leider wird durch das generelle Nichtwissen massiv Energie vergeudet. „Viele installieren eine PV-Anlage und denken, das wird sich alles von selbst regeln. Dann sind sie oft enttäuscht, weil sich das nicht so rechnet, wie sie dachten, etwa indem sie kaum Geld für die Einspeisung bekommen. Mein Rat ist daher, immer auf eher kleinere Anlagen zu setzen, sprich nur so viel Energie zu produzieren, wie man wirklich auch wirtschaftlich selbst verbrauchen kann.“ Etwa durch antizyklisches Laden eines E-Autos. „Früher wurde ursprünglich pro Haushalt mit etwa 1,4  kW beim Netzausbau gerechnet. Jetzt zieht man aber für mind. fünf Stunden 11  kW aus der Wallbox für das Laden eines Elektro­autos.“ Entlastung bringen auch Wasserspeicher, die dann erwärmt werden, wenn Strom billig ist. Dazu hat sich der Preis von Speichersystemen eingependelt und ist „nun auch für Private inte­ressant“. Sie rechnen sich, wenn man sie mit Hausverstand einsetzt. „Sie können den dynamischen Netzpreisen entgegenwirken und die Netze entlasten.“
 

„Wow-Effekte“ bei intelligenter Nutzung

Ein weiteres Thema sind Wärmepumpen, die auch zum Kühlen eingesetzt werden. „Sie funktionieren super und haben einen guten Wirkungsgrad, aber gerade in der Übergangszeit schalten sie sich oft ein und aus. Das schadet dem Kompressor. Nutze ich Überschussstrom für meine Warmwasserspeicher oder für Heiz- bzw. Kühlzusatzgeräte, entlaste ich die Wärmepumpe und erhöhe die Lebensdauer.“ Strom lässt sich dabei in alle Richtungen lenken. Das sei auch bei Großprojekten möglich, so Grabner. „Vor allem in der Hotellerie gibt es enormes Potenzial. Der ROI von Großspeichern ist bei intelligenter Handhabung schnell erreicht.“ Hotels haben Spitzenverbräuche in der Früh und am Abend, wenn die Gäste duschen oder Essen gehen. „Hier gibt es echte Wow-Effekte.“
 

Darf ein EV meine PV abschalten?

Auch Heinz Platzer, Ziviltechniker und Sachverständiger (SV) für Bau, kennt die Hausverstandsthemen aus seiner Praxis. Das Hauptproblem: „Es gibt zu wenig Wissen und Know-how vom Gesetzgeber bis zum Endverbraucher. Tatsächlich sind viele politische Fehler gemacht worden. Man hat es vielleicht gut gemeint, aber oft einigen Schaden angerichtet. Wie etwa das Fiasko rund um Wärmepumpen in Deutschland.“ Dazu kommt das ganz Europa betreffende Netzthema, wie man kürzlich in Spanien und Portugal sehen konnte. Über- und Unterproduktion von Strom führt zu Schwankungen, die das sensible Netz nur schwer wegstecken kann. Gerade in den ­Sommermonaten belastet der massenhaft produzierte PV-Strom die Grids. „Ich bin überzeugt davon, dass es irgendwann einmal kommen wird, dass man für die Übertragung von PV-Strom ins Netz bezahlen wird müssen. Das würde die Anstrengungen und Förderungen der vergangenen Jahre ad absurdum führen und könnte sogar Energiegemeinschaften killen.“ Es fehle an klaren rechtlichen Lösungen, so Platzer, etwa ob Netzbetreiber PV-Anlagen bei Netzüberlastung aus der Ferne abschalten dürfen. Damit könnten Anlagen stillgelegt werden und selbst der Haushalt oder das Unternehmen könnten nicht mehr auf den selbst produzierten Strom zurückgreifen. Ein herber Schlag für die Produzenten.
 

Österreich wurde nicht zuletzt durch PV-Initiativen und Förderprogramme zum Strom-Exporteur, dennoch fehlt laut Experten die Rechtssicherheit.
Österreich wurde nicht zuletzt durch PV-Initiativen und Förderprogramme zum Strom-Exporteur, dennoch fehlt laut Experten die Rechtssicherheit.

Richtlinien-Chaos

Platzer sieht aber auch in der ­Baubranche, einem der größten Ressourcenverbraucher überhaupt, einen enormen Hebel in der Energiepolitik und großes „Hausverstandspotenzial“. Die Baupreise explodierten, daran sind nicht zuletzt überbordende Regel- und ­Normenwerke verantwortlich. „Die Richtlinien und Normen, die man kennen sollte, kann man teilweise gar nicht mehr kennen. Dazu kommen Richtlinien, die sich widersprechen, etwa eine Richtlinie für Installateure, die im Widerspruch zu einer für Fliesenleger steht. Man kann daher faktisch nicht alles richtig machen.“ Ein Zurück in alte Zeiten sei aber nicht mehr möglich. „Die Baustoffe und die technischen Möglichkeiten sind komplexer geworden. Es gibt eigene Verarbeitungsrichtlinien. Baustoffe sind heute Systemkomponenten, die auf­einander abgestimmt sein müssen. Das treibt natürlich den Preis nach oben. Dazu kommen höhere Anforderungen an die Bauphysik. Wenn ich neue Fenster einbaue und das Umfeld nicht kenne, dann werde ich Schimmel Ende nie im Haus haben.“ 
 

Hausverstand versus Gier

Den größten Hebel sieht Platzer bei den Planern und Architekten: „Den Hausverstand lernt man nicht auf der Uni, den bekommt man nur in der Praxis und da fehlt es oft an Know-how. Dazu kann es, wie bei einem aktuellen Projekt von mir, vorkommen, dass bei einer Sanierung sich alle Eigentümer einig sind und nur ein Einziger legt sich quer. Bis das ausjudiziert wird, vergeht wertvolle Zeit und das verteuert die Projekte. Das kann drei bis fünf Jahre Verzögerung bedeuten.“ Dazu kommen gesetzliche bzw. regulatorische Eigenartigkeiten: „So muss etwa ein Holzbau aus SV-Sicht theoretisch hundert Jahre lange halten, während es bei einem Massivbau nur achtzig Jahre wären. Warum? Das ist komplett unlogisch und wider jeglichen Hausverstands. Das Thema dahinter sind natürlich gewisse Lobbys, die mit Normen und Richtlinien im Sinne ihrer Kunden versuchen zu beeinflussen. Und schließlich sieht Platzer die größte Verschwendung, wenn zu fehlendem Hausverstand auch noch die Gier dazukommt: „Viele Bauträger wollen das schnelle Geld machen. Planungsfehler wälzt man dann auf die Professionisten ab, die dann nicht oder sehr spät bezahlt und damit oft in die Pleite getrieben werden. Es wird viel zu wenig in die Planung investiert. Die Honorare werden gedrückt. Dabei erspart eine gute Planung mit Hausverstand spätere Probleme und zahlt sich somit immer aus.“ Fehler, die im Vorfeld vermieden werden – ob auf europäischer oder auf individueller Ebene –, sparen auf lange Sicht viel Energie, sagt zumindest der Hausverstand.
 

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