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Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria
Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria
Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria
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"Wir müssen mehr und länger arbeiten"

09.05.2025 um 10:08, Klaus Schobesberger
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Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria, über die ernste Wirtschaftslage, verfehlte US-Politik und die Frage, ob wir durch schwaches Wachstum verarmen.

CHEFINFO: Im Jänner sagten Sie im Rahmen eines Jahresausblicks für Kapitalanleger, dass uns das Wasser bis zum Hals steht und es punkto Reformen keine Zeit mehr für Spielchen gibt. Wie ist Ihre heutige Einschätzung?
Stefan Bruckbauer: Meiner Meinung nach hat die Intensität zugenommen, aber auch die Aktivitäten haben sich verstärkt. In Europa, worauf sich ­meine Aussage bezog, haben wir einige wichtige Fortschritte erzielt. Vor allem in Deutschland mit der Überwindung der Schuldenbremse und den angekündigten Mehrausgaben für Infrastruktur und Verteidigung. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Äußerungen von US-Präsident Trump gegenüber der Ukraine und der Auftritt seines Vizepräsidenten JD ­Vance in München haben diese ­Entwicklung noch beschleunigt und Europa gezeigt, dass es sich in einem neuen geopolitischen Umfeld befindet. Auch dass Österreich nach langem Zögern überraschend schnell eine neue Regierung gebildet hat, ist ein positives Zeichen. Am Ende haben sich drei Parteien zusammengefunden, die über ihren Schatten gesprungen sind. Das werden sie wohl auch bei den bevorstehenden Budgetmaßnahmen im Mai tun.

Hat die Regierung den Ernst der Lage erkannt?
Bruckbauer: Sie hat das ­ursprünglich vereinbarte Budgetpaket der ­blau-schwarzen Beinahe-Koalition ohne große Diskussion fast zur Gänze übernommen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass man um die Dringlichkeit der Situation weiß. Andernfalls hätte die Sozialdemokratie erheblichen Widerstand geleistet. Es werden wohl weitere Maßnahmen folgen. Man muss abwarten, ob es gelingt, die Lasten gleichmäßig zu verteilen und so eine breite Akzeptanz zu schaffen. Ich denke, für die kurzfristig notwendigen Schritte wird es gelingen. Mittel- und langfristig sind auf europäischer Ebene die richtigen Weichen zu stellen. Aber auch in Österreich selbst gibt es eine sehr hohe Priorität, Anreize zu schaffen, um die Finanzierung des Sozialstaats zu erleichtern.

Wo muss der Hebel angesetzt werden?
Bruckbauer: Aufgrund der demografischen Entwicklung müssen wir eine Lücke füllen, wofür es mehr Arbeit braucht. Das bedeutet, längere Arbeitszeiten – was natürlich sehr schwierig umzusetzen ist. Aber mehr Arbeitsstunden, also Anreize, die auf den ersten Blick positiv klingen, gehen mit Einschnitten im Sozialsystem einher. Es wird darauf hinauslaufen, dass es mehr Vorteile bringen muss, wenn man mehr in das System einzahlt. Das ist momentan nicht unbedingt der Fall.

Letztlich geht es darum, die Wett­bewerbsfähigkeit des Standorts zu verbessern?
Bruckbauer: Ja, natürlich. Wir haben bei der Wettbewerbsfähigkeit spürbar an Boden verloren, bedingt durch den Energieschock und den darauffolgenden Lohnschock. Strukturell sind wir nicht optimal aufgestellt – insbesondere was unsere Maschinen- und Anlagenbauer sowie die Automobilzulieferer angeht. Zwar sind diese Branchen sehr leistungsfähig, doch sind sie nicht mehr die Speerspitze der globalen Wirtschaft. Hier müssen wir aufholen, was auch den IT-Bereich und andere Technologie­sektoren betrifft.

Laut Internationalem ­Währungsfonds (IWF) ist Österreich Schlusslicht beim Wachstum unter den Industrieländern und bleibt 2025 in der Rezession. Sehen Sie das auch so?
Bruckbauer: Eine Rezession mit zwei negativen Quartalen in Folge wird es in diesem Jahr nicht geben, das ist relativ sicher. Das erste Quartal verzeichnete einen leichten Anstieg, und wir erwarten eine ähnliche Entwicklung in den nächsten Quartalen. Die Wirtschaft wächst also nur leicht, aber zu wenig, um mehr als null oder –0,2 Prozent zu erreichen, wie wir es heuer erwarten. Es stimmt allerdings, dass Österreich laut dem IWF eines der Industrieländer ist, das nach 2022 besonders stark an Boden verloren hat. Österreich hat durch diesen Kostenschock zwei sehr schwierige Jahre erlebt, schwieriger als manch andere Länder. Hinzu kommt die schwache ­globale Nachfrage, die unsere Export­tätigkeit beeinträchtigt.

Haben wir Wohlstand eingebüßt?
Bruckbauer: Ein vielschichtiges Thema, aber ich denke nicht, dass dies der Fall ist. Allerdings sind die Chancen derzeit nicht besonders groß, die gute Entwicklung der vergangenen Jahre zu wiederholen. Unsere Outperformance, also unser überdurchschnittliches ­Wirtschaftswachstum, lässt sich vorerst nicht fortsetzen. Was unseren Wohlstand und den Wirtschaftsstandort Österreich betrifft, gibt es in der Tat viele Herausforderungen. Der Strukturwandel hin zu mehr Technologie, weg vom klassischen Maschinen- und An­lagenbau, in dem wir bislang sehr stark waren, stellt uns vor Aufgaben. Auch die demografische Entwicklung ist eine Bürde. In den vergangenen zehn Jahren hatten wir einen Vorteil gegenüber vielen anderen europäischen Ländern, da wir von der starken Migration aus Osteuropa profitieren konnten. Dadurch konnten wir die demografischen Probleme zeitweise aufschieben. Nun holen sie uns jedoch ein. Das wird es in den kommenden Jahren erschweren, unseren Vorsprung zu halten oder gar auszubauen. Von Verarmung oder ähnlichen Horrorszenarien halte ich jedoch nichts. Wir sind nach wie vor gut aufgestellt, aber es bedarf Anstrengungen. Gewisse Bequemlich­keiten, etwa dass viele öffentliche Leistungen kostenlos sind, werden wir wohl aufgeben müssen.

Die Menschen halten ihr Geld zusammen und tragen es auf die Bank. Das Wort vom Angstsparen macht die Runde.
Bruckbauer: Es ist eher ein Mix aus Unterschätzung des Einkommens und Überschätzung der Inflation. Menschen haben oft die stark gestiegenen ­Preise des täglichen Lebens vor Augen und nicht den gesamten Warenkorb. Das verstärkt das Gefühl, dass die Inflation viel stärker gestiegen ist, als es tatsächlich der Fall ist. Die Menschen könnten real mehr konsumieren, aber gerade jene mit hohem verfügbarem Einkommen sparen viel aufgrund von Unsicherheit über ihre finanzielle Lage, steuerliche Änderungen und die Zukunft. Die hohe Sparquote zeigt, dass Geld vorhanden ist, aber Angst und Vorsicht bremsen den Konsum. Von Verarmung kann nicht die Rede sein.

Sehen Sie Anzeichen, dass sich die Konsumstimmung aufhellt?
Bruckbauer: Nein, ganz im Gegenteil. In den letzten Apriltagen haben wir erneut einen deutlichen Rückgang der Konsumentenstimmung beobachtet. Der ­private Konsum ist jedoch nicht eingebrochen. Das erste Quartal zeigte eher eine seitwärts gerichtete Entwicklung. Aber die Stimmung ist zuletzt, nachdem sie sich im April noch etwas erholt hat, wieder deutlich nach unten gegangen.  Das hängt wahrscheinlich auch mit den Trump-Themen zusammen. Warum sich das in Deutschland nicht in gleichem Maße auswirkt, liegt vermutlich daran, dass dort der positive Effekt einer veränderten Einstellung der Regierung überwiegt – man will dort entschlossen handeln. Das haben wir in Österreich so nicht. Wir hatten auch nicht annähernd eine so schlechte Wirtschaftspolitik wie Deutschland. Aber diesen Schwung nach oben haben wir jetzt nicht.

Nach den Zollankündigungen Trumps verlor der US-Dollar massiv an  Wert. Für die US-Leitwährung gibt es ­derzeit keine Alternative.
Nach den Zollankündigungen Trumps verlor der US-Dollar massiv an  Wert. Für die US-Leitwährung gibt es ­derzeit keine Alternative.

Sie haben es erwähnt: Der neue Kanzler Friedrich Merz plant ein milliardenschweres Investitions- und Konjunkturpaket in Rüstung und Infrastruktur. Wie wird sich das auf Österreich auswirken?
Bruckbauer: Die Entwicklungen in Deutschland werden positive Auswirkungen auf Österreich als wichtigen Handelspartner haben, auch wenn diese 2025 noch nicht spürbar sein werden. Allerdings wird Deutschland, insbesondere im Infrastrukturbereich, viele Ressourcen binden, auch von österreichischen Baufirmen, die dort aktiv sind. Dies wird die Baupreise weiter steigen lassen, da die Kapazitäten in Europa begrenzt sind. Insgesamt ist dies jedoch positiv. Wächst Deutschland, profitiert Europa – und Deutschland ist für uns als Handelspartner deutlich wichtiger als die USA.

Wie fällt Ihre Bilanz nach hundert Tagen Trump aus? 
Bruckbauer: Für mich als Ökonom und Europäer ist die US-Politik ein einziges Desaster – für die Menschen in ­Amerika wahrscheinlich noch mehr. Wir erleben eine extreme, beispiellose Verunsicherung durch die Zollpolitik. Anfangs haben die Finanzmärkte noch nicht ganz verstanden, dass es Trump ernst meint. Nun sehen sie, dass er es tatsächlich durchzieht. Es gibt eine gewisse Vertrauenskrise in den US-Dollar, die bisher nicht überwunden werden konnte. Zwar versucht Trump, in einigen Punkten zurückzurudern, aber das Vorgehen wirkt unprofessionell und scheint teilweise aus Rache motiviert zu sein – eine Weltsicht von vor 40 Jahren. Das verunsichert die Finanzmärkte stark.

Kann sich das zu einem Problem auswachsen, wenn die Anleger also das Vertrauen in den US-Dollar weiter verlieren?
Bruckbauer: Auf jeden Fall. Der Dollar steht bei allen Transaktionen auf der Gegenseite. Er ist das zentrale Instrument am Finanzmarkt, etwa bei Staatsanleihen. Es gibt dafür keine wirkliche Alternative. Der Euro ist noch zu klein, und der Rest der Währungen ist irrelevant. Das ist also schon ein ernsthaftes Thema. Nicht nur, dass rund 30 bis 40  Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung auf amerikanische Aktien entfallen, sondern auch etwa 50 Prozent der globalen Schulden sind amerikanische Staatsschulden. Der Dollar ist die dominierende Transaktionswährung an den Finanzmärkten. Wenn es dort zu einem signifikanten Vertrauensverlust kommt, wäre das mit Sicherheit ein Hemmschuh für die Weltwirtschaft.

Die Dreierkoalition muss angesichts des hohen Budgetdefizits, der demografischen Lücke und des strukturellen Aufholbedarfs unpopuläre Reformen angehen.
Die Dreierkoalition muss angesichts des hohen Budgetdefizits, der demografischen Lücke und des strukturellen Aufholbedarfs unpopuläre Reformen angehen.

Ist ein Crash-Szenario realistisch?
Bruckbauer: Einen kompletten Crash sehe ich zwar nicht, aber es gibt durchaus Potenzial für größere Turbulenzen. Wenn Trump die amerikanische Notenbank weiter angreift und ihren ­Präsidenten Jerome Powell tatsächlich entlassen würde, könnte es durchaus zu einem Crash an den Aktienmärkten, insbesondere in den USA, kommen. Wir beobachten statt­dessen, dass die anderen Märkte von dieser Entwicklung profitieren, während Amerika gewisse Vorteile, die es ­bislang hatte, verliert. 

Wie sehen Sie die Zinsentwicklung?
Bruckbauer: Unsere Prognose ist, dass wir in den nächsten Monaten noch zwei weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank EZB sehen werden. ­Aktuell liegt der Leitzins bei 2,25 Prozent, wir erwarten, dass er bis auf 1,75 Prozent sinken wird. Eine weitere Senkung halten wir im Juni für relativ sicher. Möglicherweise folgt im dritten Quartal noch eine weitere Zinsreduktion, dies hängt aber natürlich von der weiteren konjunkturellen Entwicklung und dem Inflationsverlauf in den kommenden Monaten ab. Nicht zuletzt wird auch die Auswirkung der aktuellen Entwicklungen in den USA auf die dortige Wirtschaft eine Rolle spielen.  

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