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Ein Bote stellt Temu-Pakete zu: In einem Wiener Warenlager wird wegen grober Verstöße ermittelt.
In einem Wiener Lager von Temu-Partner Clevy Ltd. hat die Finanzpolizei illegale Beschäftigung und gravierende Verstöße gegen Arbeitsrecht aufgedeckt.
In einem Wiener Lager von Temu-Partner Clevy Ltd. hat die Finanzpolizei illegale Beschäftigung und gravierende Verstöße gegen Arbeitsrecht aufgedeckt.
Michael Bihlmayer / ChromOrange / picturedesk.com

China-Lager in Wien: Massive Missstände aufgedeckt

22.10.2025 um 07:25, Stefanie Hermann
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Stundenlanges Paketschupfen ohne Pausen, ohne Versicherung, ohne gültige Papiere. Die aufgedeckten Missstände in einem Wiener Warenlager sind massiv.

Zwischen hohen Paketstapeln und flackerndem Neonlicht schleppten Arbeiter stundenlang Rücksendungen, viele ohne Pausen, ohne Versicherung, ohne gültige Papiere. In einer Lagerhalle im 21. Wiener Gemeindebezirk hat die Finanzpolizei bei einer Kontrolle gravierende Verstöße gegen Arbeits- und Sozialrecht aufgedeckt.

Die Halle wird vom britischen Logistikunternehmen Clevy Ltd. betrieben, das europaweit für chinesische Billig-Plattformen wie Temu Retouren abwickelt. Die Firma steht wegen des Verdachts auf Scheinselbstständigkeit und illegaler Beschäftigung im Fokus der Behörden. Wie der Standard berichtet, dürfte prekäre Beschäftigung in den Logistikstrukturen chinesischer Onlinehändler europaweit System haben.

Kontrolle nach Hinweis der ÖGK

Bereits im Sommer hatte die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) Unregelmäßigkeiten bei dem Betrieb festgestellt und eine Anzeige erstattet. Daraufhin führte die Finanzpolizei am 6. August eine unangekündigte Kontrolle in der Lagerhalle in Wien-Floridsdorf durch. Insgesamt wurden 14 Personen angetroffen. Drei von ihnen waren direkt bei Clevy Ltd. angestellt, eine davon nicht ordnungsgemäß sozialversichert. Die übrigen elf Arbeiterinnen und Arbeiter standen beim Grazer Subunternehmen Wherhouse Eleni GmbH unter Vertrag, doch nur zwei waren korrekt angemeldet. Aufgrund der festgestellten Verstöße wurden auch das Arbeitsinspektorat, die Fremdenpolizei und das Amt für Betrugsbekämpfung eingeschaltet.

Scheinselbstständigkeit und fehlende Aufenthaltstitel

Ein Großteil der Arbeiterinnen und Arbeiter gab an, als „Freelancer“ beschäftigt zu sein. Diese Bezeichnung trifft auf selbstständig Tätige zu, die frei über Arbeitszeit und Arbeitsort verfügen. Nach Einschätzung der Ermittler war das in diesem Fall nicht gegeben: Die Beschäftigten arbeiteten zu festen Zeiten und erhielten Stundenlöhne zwischen neun und zehn Euro. Ein klarer Fall von Scheinselbstständigkeit, so die Behörden.

Zudem verfügten viele der Anwesenden nur über Aufenthaltstitel anderer EU-Staaten, die keine Erwerbstätigkeit in Österreich erlauben. Gegen Clevy und das Subunternehmen wurden Anzeigen nach dem Sozialversicherungs- und Ausländerbeschäftigungsgesetz eingebracht.

Mängel beim Arbeitsschutz

Auch das Arbeitsinspektorat hatte das Lager bereits im Sommer überprüft und zahlreiche Mängel festgestellt. Laut den Unterlagen fehlten grundlegende Sicherheitsvorkehrungen: Brandmelder waren außer Betrieb, Notausgänge durch Pakete blockiert, ergonomische Hilfsmittel nicht vorhanden.

Beschäftigte berichteten gegenüber dem Standard, sie hätten bis zu zehn Stunden täglich gearbeitet, häufig ohne Pausen und unter körperlich belastenden Bedingungen. Die festgestellten Verstöße betreffen sowohl den Arbeits- als auch den Gesundheitsschutz und werden derzeit von den zuständigen Behörden weiter geprüft.

Hinweise auf ähnliche Fälle im Ausland

Wie der Standard berichtet, ist Clevy Ltd. nicht nur in Österreich, sondern in mehreren europäischen Ländern aktiv. In der Schweiz führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Ermittlungen wegen Schwarzarbeit und Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzbestimmungen in einem Lager des Unternehmens in Eglisau. Ehemalige Beschäftigte schildern dort ähnliche Zustände wie in Österreich, von fehlender Sicherheitsausrüstung bis zu unbezahlter Sonntagsarbeit.

Auch in Frankreich steht eine Clevy-Tochter vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, bei der Verzollung von Temu-Paketen Mehrwertsteuer hinterzogen zu haben, indem Leistungen fälschlich in Hongkong abgerechnet wurden.

Prekäre Lage für Beschäftigte

Besonders perfide: Betroffene Beschäftigte haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Missstände zu wehren.

Beschäftigt werden laut Zeugenaussagen häufig Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, viele aus Indien oder Georgien und ohne Arbeitserlaubnis. Melden sie Missstände, haben sie meist selbst rechtliche Konsequenzen – vom Verlust der Lebensgrundlage bis hin zur Abschiebung – zu befürchten.

In Wien mussten nach der Kontrolle mehrere Beschäftigte Österreich verlassen. Neun der Betroffenen sollten abgeschoben werden, einige verließen Österreich freiwillig.

Clevy teilte dem Standard mit, man habe „voll kooperiert“ und die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Subunternehmen beendet. Eine weitergehende Stellungnahme liegt bisher nicht vor. Nach Angaben von Insidern werden Temu-Retouren aus Österreich mittlerweile über Tschechien abgewickelt.

Wirtschaftliche Gefahr für Österreich

Die Enthüllungen über illegale Beschäftigung im Umfeld chinesischer Billigplattformen bleiben auch auf politischer Ebene nicht unkommentiert. „Unternehmen, die Gesetze und Arbeitnehmerschutzregeln umgehen, um sich Wettbewerbsvorteile zu schaffen, schaden damit nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern auch jenen Betrieben, die sich an die Spielregeln halten“, so Arbeitsministerin Korinna Schumann (SPÖ).

„Wer betrügt, schadet nicht nur dem Staat, sondern allen ehrlichen Steuerzahlerinnen und allen ehrlichen Steuerzahlern. Toleranz gegenüber Steuerbetrug können wir uns nicht leisten. Betrug darf sich nicht lohnen, das ist eine Frage der Gerechtigkeit", ergänzt Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ).

Gleichzeitig wächst vor allem in der Wirtschaft die Sorge um faire Wettbewerbsbedingungen für heimische Betriebe. Seit chinesische Anbieter nach den US-Strafzöllen verstärkt auf den europäischen Markt drängen, ist das Paketaufkommen massiv gestiegen. Über 100 Millionen Sendungen aus China sind bereits nach Österreich gekommen, kontrolliert wurde bislang nur rund ein Prozent. Für Anbieter wie Temu oder Shein bleibt Europa ein weitgehend unregulierter Absatzmarkt.

Quellen und weiterführende Informationen

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