Gewessler im Sommergespräch: "Dann friss i an Besen"
- Wenig Kompromissbereitschaft
- Energiegesetz mit klaren Bedingungen
- Teilzeit als Folge fehlender Betreuung
- Migration ohne Symbolpolitik
- Sicherheitspolitik mit angepasster Linie
- Nahostkonflikt: Doppelte Botschaft
- Überwachung und politische Glaubwürdigkeit
- Budget und Regierungsbilanz
- On-/Off-Dialekt
Mit dem Auftritt von Leonore Gewessler haben am Montagabend die ORF-Sommergespräche mit Klaus Webhofer begonnen. Die Bundessprecherin der Grünen steht in ihrem ersten ORF-Sommergespräch vor einer doppelten Aufgabe: Sie muss ihr Profil als Oppositionsführerin schärfen und zugleich zeigen, dass die Grünen mehr zu bieten haben als Klimapolitik. Nach fünf Jahren Regierungsverantwortung und deutlichen Verlusten bei der letzten Nationalratswahl wirkt der Rollenwechsel zeitweise noch etwas eckig, der Spagat zwischen Angriff und konstruktiver Alternative teilweise ungelenk.
Wenig Kompromissbereitschaft
Der Neustart an der Parteispitze findet unter denkbar schwierigen Vorzeichen statt. Bei der Nationalratswahl 2024 haben die Grünen rund 40 Prozent ihrer Stimmen verloren: ein Minus von etwa 262.000 Wählern. In der Bundespolitik spielen sie nur noch die Rolle der Opposition, Regierungsverantwortung tragen sie derzeit lediglich im Burgenland. Eine aktuelle ORF-Umfrage bescheinigt Gewessler zwar 33 Prozent Zustimmung bei der Frage nach Klimakompetenz, doch nur zwölf Prozent halten sie für kompromissfähig – der niedrigste Wert unter allen Parteichefs. Ein wunder Punkt für Gewessler. Wiederholt betont sie im Gespräch, dass Zuhören für sie „ein Tun-Wort“ sei und dass politische Gegensätze nicht ausschließen, mit einem politischen Gegner auch „ein Bier trinken“ zu gehen. Damit versucht sie, den Eindruck einer reinen Konfrontationspolitik zu vermeiden.
Gleich geht’s los! @lgewessler ist zum ersten Mal zu Gast im ORF-Sommergespräch auf ORF2. Hier geht’s zum Livestream 👇https://t.co/UqaxEKC7Vt#orfsg25 pic.twitter.com/vhPn8y1KF8
— Die Grünen (@diegruenen) August 11, 2025
Energiegesetz mit klaren Bedingungen
Ein Prüfstein für Gewesslers Kompromissbereitschaft ist das geplante Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Sie lehnt die Vorlage zwar nicht prinzipiell ab, Unterstützung der Grünen gibt es dafür aber nicht. "So wie es jetzt am Tisch liegt nicht", sagt Gewessler, die noch zentrale Mängel ortet. Ginge es nach ihr, würde bis 2030 ausschließlich erneuerbarer Strom fließen. Dafür fordert sie einen Netzinfrastrukturfonds, gespeist aus Übergewinnen öffentlicher Energieversorger und abgeschriebenen Großkraftwerken. Es brauche einen nationalen Schulterschluss für günstige, heimische Energie, einen beschleunigten Netzausbau und ein System, das Klimaschutz belohnt statt bestraft. Vor allem aber müsse auch die Infrastruktur modernisiert werden: "Unser Stromsystem arbeitet quasi noch mit Windows 95."
Teilzeit als Folge fehlender Betreuung
Als das Gespräch auf die Teilzeitdebatte kommt, spricht Gewessler von einer „unsäglichen“ Wortmeldung des ÖVP-Wirtschaftsministers. Hier wechselt sie den Blickwinkel: Teilzeit sei kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles, verursacht durch fehlende Kinderbetreuung. Allzu oft stehe keine freiwillige Entscheidung dahinter, sondern eine Notwendigkeit. Ihre Forderung nach 50.000 zusätzlichen Betreuungsplätzen, einem Rechtsanspruch ab dem ersten Geburtstag und einem Anspruch auf Arbeitszeitaufstockung für Teilzeitkräfte ist bewusst als wirtschaftspolitisches Programm formuliert. Soziale Infrastruktur will sie nicht nur als Gerechtigkeitsthema, sondern auch als Standortfrage begriffen wissen.
Migration ohne Symbolpolitik
Bei der Migration zeigt sich nach wie vor eines der Kernprobleme der Grünen. Zehn Jahre nach der großen Flüchtlingswelle setzt Gewessler auf "Menschlichkeit und Ordnung" im Kontrast zu "Law and Order". Die grüne Leitlinie bedeutet für sie Kontrolle der EU-Außengrenzen, aber auch Offenhalten geregelter Migrationswege. Den Stopp des Familiennachzugs lehnt sie als kontraproduktiv ab. Im Inland setzt sie auf mehr Deutschförderkräfte, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr und eine ausgewogenere Schülerverteilung. Abschiebungen nach rechtskräftigen Urteilen unterstützt sie auch nach Syrien, auch bei schweren Straftaten.
Sicherheitspolitik mit angepasster Linie
Überraschende Töne gibt es bei den sonst im Pazifismus verwurzelten Grünen in puncto Sicherheitspolitik. Wenn sie sagt, „Frieden muss verteidigt werden“, markiert sie damit eine bemerkenswerte Verschiebung im sicherheitspolitischen Kurs ihrer Partei. Gewessler unterstützt die Aufstockung des Bundesheer-Budgets, wohl wissend, dass dies bei Teilen der grünen Basis skeptisch gesehen wird. "Wenn sich Realitäten ändern, muss sich auch eine moderne Friedenspartei damit auseinandersetzen", erklärt Gewessler. Mit der Einschränkung, dass sie persönlich lieber in Schulen, Klimaschutz und soziale Absicherung investieren würde, versucht sie den Balanceakt zwischen realpolitischer Anpassung und ideologischer Herkunft. "Wir müssen in der Lage sein, uns selbst zu verteidigen."
Nahostkonflikt: Doppelte Botschaft
Im Nahostkonflikt formuliert sie eine Position, die gleichzeitig klar und differenziert sein will: Die Hamas sei „eine Terrororganisation“ und müsse Geiseln freilassen, gleichzeitig sei „die humanitäre Situation in Gaza untragbar“. Ihre Forderung, das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen, ordnet sich in eine Strategie ein, politischen Druck ohne vollständige diplomatische Entkopplung aufzubauen.
Überwachung und politische Glaubwürdigkeit
Beim Bundestrojaner bleibt Gewessler in der Rolle der Verfassungswächterin. Sie verweist auf mögliche Grundrechtsverletzungen und will den Verfassungsgerichtshof einschalten. Dass SPÖ und NEOS trotz früherer Ablehnung nun zustimmen, nimmt sie als Beleg dafür, dass Oppositionsprinzipien in Regierungsnähe oft verwässern.
Budget und Regierungsbilanz
Auf den Vorwurf der Mitverantwortung für die Budgetkrise reagiert sie mit einem knappen „Ich war keine Sekunde lang Finanzministerin“. Stattdessen betont sie ihre Rolle in der Kaufkraftstützung und der sozialen Abfederung in der Energiekrise. Selbstkritisch räumt sie ein, dass die Mietpreisbremse zu spät gekommen ist.
On-/Off-Dialekt
Auffällig ist, dass Gewessler immer wieder ins Steirische wechselt. Interviewer Klaus Webhofer spricht sie direkt darauf an: Es sei auffallend, dass sie mit dem Wechsel aus der Regierung und an die Spitze der Oppositionspartei immer öfter in den Dialekt falle. "Ist das Teil des Imagewechsels?" Der Wechsel geschehe automatisch, wenn sie persönliche Geschichten erzählt oder sie etwas, und das passiere nun eben öfter, betont etwas. Bewusst eingesetzt sei es nicht. "Dafür bin ich hervorragend untalentiert."