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15. Dokumenta | Credit: Karsten Socher Fotografie / Action Press / picturedesk.com
Der Stein des Anstoßes: das 5 mal 10 Meter große Plakat auf dem Friedrichsplatz in Kassel.  
Der Stein des Anstoßes: das 5 mal 10 Meter große Plakat auf dem Friedrichsplatz in Kassel.  
Karsten Socher Fotografie / Action Press / picturedesk.com

Antisemitismus-Skandal auf der Dokumenta in Kassel

23.06.2022 um 13:49, Gert Damberger
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Ein Plakat mit antisemitischen Pinseleien führt zum bisher größten Skandal in der Geschichte der renommierten Kunstschau. Jetzt hagelt es Rücktrittsforderungen.

Das Riesenbild, ein häuserwandgroßes Gemeinschaftswerk von indonesischen Künstlern, heißt „People’s Justice“ und stellt angeblich den Kampf des indonesischen Volkes gegen die Suharto-Diktatur dar. Unversehens tauchen in dem comicartigen Figurengewusel aber auch antisemitische Stereotypen auf. Zu sehen ist da ein jüdischer "Kapitalist" mit Schläfenlocken, Zigarre, Haifischzähnen und den SS-Runen auf dem Bowler-Hut. Und da ist auch ein Soldat mit Schweinekopf und Davidstern, auf seinem Helm ist „Mossad“ zu lesen. Hasserfüllt, wie das Gepinsel ist, könnte es sich um ein Graffiti der Terrororganisation Hamas auf einer Häuserwand im Gaza-Streifen handeln.

„Bild der Schande“ (Bild-Zeitung)

Kaum war das Banner auf dem Gerüst sichtbar (es wurde erst nach der offiziellen Eröffnung angebracht), wurde heftige Kritik laut. „Bild-Zeitung“, jüdische Organisationen, das „Auschwitz-Komitee“ und schließlich auch noch die Politik wiesen empört auf die Darstellungen hin und verlangten deren Entfernung. Die Dokumenta-Direktion ließ die anstößigen Teile zuerst mit einem schwarzen Tuch verhängen, um das Bild dann einen Tag später sang und klaglos komplett abzubauen.

 

Skandal auf der Dokumenta | Credit: Uwe Zucchi / dpa / picturedesk.com
Zuerst verhängt, dann abgehängt: antisemitische Stereotype im Wuselbild.  

Direktorin kannte das Bild nicht

Die Leitung der Kasseler Weltkunstschau ist um Schadensbegrenzung bemüht, was bei einem augenkundigen Totalschaden kein leichtes Unterfangen ist. Direktorin Sabine Schormann stellte bedauernd fest, dass sie das Bild vor der Hängung leider nicht gesehen habe und dass es sowieso nicht ihre Ausgabe sei, sich in die Auswahl der Werke einzumischen.

Nähe zur Israel-Boykott-Bewegung

Diese Auswahl obliegt normalerweise dem Chefkurator der Ausstellung. Für das Konzept der aktuellen „Dokumenta Fifteen“ ist ein Kuratorenkollektiv aus Indonesien verantwortlich, das sich „Ruangrupa“ nennt und das für seine Nähe zu „antizionistischen“ Initiativen wie der Israel-Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment & Sanctions) durchaus bekannt ist. BDS wird vom deutschen Bundestag als antisemitisch eingestuft.

Der Kanzler hat abgesagt

Natürlich fällt jetzt der Skandal auf die zurück, welche auf das „antikolonialistische“ Vorhaben verfielen, die Dokumenta-Leitung einer weitgehend unbekannten Kuratorengruppe aus Indonesien anzuvertrauen. Das sind: die Dokumenta-Leitenden selbst, die Kulturverantwortlichen der Stadt Kassel sowie des Landes Hessen und letztlich die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Die vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegebene „Jüdische Allgemeine“ forderte Ministerin Roth am Dienstag zum Rücktritt auf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Besuch der diesjährigen Dokumenta – seit 30 Jahren ein Termin, den er gerne wahrnimmt – abgesagt.

 

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