SOS-Kinderdorf: Neue Vorwürfe belasten Ex-Präsident
- Die ersten Anschuldigungen
- Bericht und Reaktionen
- Neue Dokumente belasten ehemalige Führung
- Reaktionen auf die neuen Vorwürfe
- Neue Fälle in Oberösterreich
Neue Enthüllungen belasten die Leitung von SOS-Kinderdorf schwer. Der „Falter“ wirft dem ehemaligen Präsidenten Helmut Kutin und dem suspendierten Geschäftsführer Christian Moser Mitwisserschaft in einem Missbrauchsfall vor. Es geht um einen inzwischen verstorbenen Großspender, der in Nepal Kinder missbraucht haben soll. Der Fall reicht Jahre zurück.
Die ersten Anschuldigungen
Im Jahr 2021 brachte SOS-Kinderdorf einen Fall bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten zur Anzeige. Der beschuldigte Mann war ein österreichischer Großspender, der zwischen 2010 und 2014 Reisen nach Nepal unternahm. Er hatte den Aufbau eines Dorfes im hohen sechsstelligen Eurobereich mitfinanziert. Laut Angaben von SOS-Kinderdorf sollen acht minderjährige Buben betroffen gewesen sein. Während seiner Aufenthalte im nepalesischen Kinderdorf soll es zu sexuellen Übergriffen an Minderjährigen gekommen sein. Zum Zeitpunkt der Anzeige war der Mann bereits verstorben.
Ende 2022 wurde der Fall öffentlich. Die damalige Geschäftsführerin Elisabeth Hauser erklärt: „Wir müssen eingestehen, dass das Wohlergehen und der Schutz der Kinder nicht immer an erster Stelle gestanden sind. Die Interessen des Spenders und sein Wohlwollen gingen zum Teil auf Kosten der Kinder.“
Bericht und Reaktionen
Im Jahr 2023 präsentierte die Independent Childprotection Commission (ICC) unter Leitung der ehemaligen steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic ihren Bericht. Die Kommission stellte fest, dass Führungspersonen im Verein bereits seit 2015 von Missbrauchsvorwürfen in Nepal gewusst hätten. Laut Klasnic habe sich die Untersuchung auf die Angaben von Helmut Kutin gestützt. „Ich habe mich ausschließlich auf sein Wort verlassen müssen, aber ich wollte es von ihm persönlich hören“, sagt sie im Ö1-Morgenjournal.
Die Zuständigkeit für die Großspenden lag laut Klasnic bei einem „dritten Herrn“, der später gekündigt wurde. Hinweise auf eine Mitwisserschaft Kutins oder Mosers habe sie damals nicht gefunden. Beide waren 2021 zu Gesprächen geladen, Klasnic schildert: „Er hat gesagt, er weiß von nichts.“
Neue Dokumente belasten ehemalige Führung
Der „Falter“ veröffentlicht im Oktober 2025 neue interne Dokumente. Darin befindet sich ein E-Mail aus dem Jahr 2017, in dem Helmut Kutin dem Großspender drei Nächte in einem SOS-Trainingslager in Nepal zusagte. Zu diesem Zeitpunkt galt dort bereits seit zwei Jahren ein Besuchsverbot. Laut der Wochenzeitung war Kutin zu diesem Zeitpunkt über die sexuellen Neigungen des Mannes informiert. Zudem soll auch Christian Moser über die Vorwürfe Bescheid gewusst haben. Der Bericht zitiert aus internen Unterlagen, wonach die Leitung in Österreich „seit spätestens 2015“ Kenntnisse über Missbrauchsanschuldigungen hatte.
Auf Anfrage des „Falter“ teilt SOS-Kinderdorf mit: „Wir nennen im laufenden Aufarbeitungsprozess keine Einzelpersonen.“ Der Aufsichtsrat erklärte gegenüber dem „Standard“, es handle sich um einen „intern bereits aufgearbeiteten Fall“. Eine frühere Untersuchung durch zwei Aufsichtsratsmitglieder und einen Richter habe ergeben, dass weder Moser noch Kutin von den sexuellen Neigungen des Mannes wussten.
Reaktionen auf die neuen Vorwürfe
Waltraud Klasnic nahm am Mittwoch erneut Stellung. „Über so ein E-Mail haben wir gar nicht gesprochen. Ich glaube, das war mir auch in der Form nicht bekannt“, sagt sie. Moser sei bei der Befragung Kutins anwesend gewesen, habe aber nichts von einer Mitwisserschaft erwähnt. Hinweise auf eine Vertuschung habe die Kommission nicht festgestellt. Auch SOS-Kinderdorf selbst reagierte zurückhaltend und betonte, man werde „Hinweisen lückenlos nachgehen, sollte es neue Erkenntnisse geben“.
Wolfgang Fürweger (FPÖ), Sprecher der Kinder- und Jugendlandesräte, fordert in der ZIB2 ein klares Signal: „Eine transparente und ehrliche Untersuchung ist notwendig, um das Vertrauen in die Organisation wiederherzustellen.“ Fürweger verlangt eine öffentliche Entschuldigung gegenüber den Betroffenen und eine personelle Neuaufstellung. Außerdem spricht er sich für die Umbenennung von Straßen und Parks aus, die den Namen des Gründers Hermann Gmeiner tragen.
Neue Fälle in Oberösterreich
Nach ORF-Recherchen ist inzwischen ein weiterer Fall aufgetaucht. In Altmünster (Oberösterreich) wurde die Leitung eines SOS-Standorts freigestellt. Ein ehemaliger Betroffener berichtet von „körperlichen Übergriffen, entwürdigenden Situationen sowie einem Klima unzureichender Intervention bei sexueller Gewalt“ in den 1980er- und 1990er-Jahren. Die schwereren Vorwürfe richten sich gegen zwei frühere Mitarbeitende, die nicht mehr im Dienst stehen. Die laufende interne Prüfung soll klären, ob auch aktuelle Leitungspersonen betroffen sind. Die Freistellung sei laut SOS-Kinderdorf eine „Standardmaßnahme“ zur unabhängigen Untersuchung.