Wirtschaftskammerwahlen: Kleiner Wahlüberblick
Inhalt
- Unspektakulärste Wahl der Welt
- Sparten, in denen (fast) nicht gewählt wird
- Bunte Mischung bei den Wirten
- Die ewige Debatte um eine (Nicht-)Reform
- Warum sinkt die Wahlbeteiligung?
- Umlage- und andere Verfahren
Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt“, sagte einst der legendäre Kabarettist Helmut Qualtinger. Die alle fünf Jahre wiederkehrenden Wirtschaftskammerwahlen sind ein Mikrokosmos dieses Labyrinths. Am 12. und 13. März wählen heimische Unternehmer in neun Bundesländern ihre gesetzliche Vertretung. Zur Wahl stehen nicht – oder zumindest nicht direkt – die bekannten Spitzenkandidaten oder einzelnen Fraktionen, sondern die von den wahlwerbenden Gruppen nominierten Unternehmer der jeweiligen Branche. In der Kammer firmieren sie als Fachgruppen (Berufsgruppen, Zünfte), die in sieben Sparten organisiert sind. Die zahlenmäßig größte Sparte „Gewerbe und Handwerk“ zählt 29 verschiedene Landesinnungen, Fachgruppen und Fachvertretungen. Dazu zählen etwa Maler und Tapezierer, Berufsfotografen, Bestatter, gewerbliche Dienstleister oder persönliche Dienstleister. In 76 der 98 Fachgruppen wird gewählt. Die meisten der 88.944 aktiven Kammermitglieder in Oberösterreich tun das vorab per Wahlkarte. Den rund 17.500 Mitgliedern mit ruhender Mitgliedschaft ist die Stimmabgabe nicht erlaubt. Das Wahlergebnis bestimmt in der Folge die Verteilung der Mandate im Wirtschaftsparlament, in den Fachverbandsausschüssen oder Spartenkonferenzen. Das Wirtschaftsparlament selbst ist nur ein Beschlussgremium, aber kein gesetzgebendes Gremium und am Ende klassische Interessenvertretung – oder Lobbyingarbeit. Die meisten Kandidaten, nämlich rund 1.400 in mehr als 70 Fachgruppen, stellt der Wirtschaftsbund, der wie vor fünf Jahren als „Team Doris Hummer – Wirtschaftsbund OÖ“ antritt. Damals erreichte die ÖVP-Teilorganisation mit 69,7 Prozent eine satte Zweidrittelmehrheit. Diese Dominanz mag leicht schwanken, aber sie erinnert an einen weiteren berühmten Sager, und zwar aus der Welt des Sports: „Fußball ist ein schönes Spiel, aber am Ende gewinnt Deutschland“ (Gary Lineker).
Wir haben nicht nur die Kammerumlagen zweimal gesenkt, sondern auch unsere Leistungen und Strukturen neu ausgerichtet.

Unspektakulärste Wahl der Welt
Ob der Wirtschaftsbund auch diesmal die Wahl haushoch oder nur hoch gewinnen wird, sorgt wahrscheinlich nur bei einem kleinen Kreis an Funktionären für Nervenkitzel. So viel lässt sich jetzt schon jedenfalls sagen: In der „unspektakulärsten Wahl der Welt“ („Die Presse“) werden auch nach dem 13. März Harald Mahrer, Präsident der Bundeswirtschaftskammer, und Doris Hummer, Präsidentin der Wirtschaftskammer Oberösterreich (WKOÖ), wiedergewählt werden. Die anderen Fraktionen geben sich diesbezüglich zwar auch keinen Illusionen hin, aber sie wittern Morgenluft. Sei es wegen der geänderten politischen Großwetterlage, der neuen wirtschaftlichen Realitäten, der Machtverschiebung hin zu immer kleineren Unternehmenseinheiten – und auch, weil fast alle Mitbewerber bei der Zahl der Kandidaten zulegen konnten. Je mehr Wahlwerber in den Fachgruppen, desto größer die Erfolgschancen bei dieser Urwahl und desto höher der Sockelbetrag für die jeweilige Fraktion. So tritt der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV) erstmals in 71 Fachgruppen mit 311 Kandidierenden an. Die Freiheitliche Wirtschaft (FW) ist in einer ähnlichen Stärke vertreten. Gut gewappnet sieht sich die Grüne Wirtschaft mit 223 Kandidaturen in 62 Branchen. Die UNOS treten in 33 Branchen an und verdoppelten die Anzahl der Kandidaten von 39 auf 95. Die pink „Unternehmensplattform“ der NEOS strebt in Oberösterreich ein Ergebnis von sechs bis acht Prozent an (2020: 3,6 Prozent). Der SWV, die Freiheitliche Wirtschaft (FW) sowie die Grüne Wirtschaft wollen diesmal die Zehn-Prozent-Hürde überspringen, was ihnen 2020 versagt geblieben ist.
Man muss die Pflegerinnen in ihrer Sprache informieren, dann können sie auch ihr Wahlrecht ausüben.

Sparten, in denen (fast) nicht gewählt wird
In den Sparten Banken und Versicherung sowie in der Sparte Industrie wird – mit drei Ausnahmen – mangels Gegenkandidaten nicht gewählt. Dass die Fachvertretungen der Raiffeisenbanken zwangsläufig unter sich bleiben, ist wenig überraschend. In der Industrie zeigt sich ein anderes Bild. Die Grünen haben in der chemischen Industrie Manfred Schmirl von den Pernauer Chemiewerken und in der Lebensmittelindustrie den Craftbier-Brauer Maximilian Meindl nominiert. Die dritte Ausnahme ist René Brunner von der Paul Ott GmbH in Lambach, der in der Fachgruppe der metalltechnischen Industrie für „WIR – Das Wirtschaftsnetzwerk WIR – Interessenvertretung ohne Parteipolitik“ kandidiert. Auch wenn er nicht zur Wahl antritt: Mit Markus Hofer, der jahrelang Finanzvorstand bei der Miba AG war und seit dem letzten Jahr als Unternehmensberater sowie Nationalratsabgeordneter der NEOS tätig ist, haben auch die UNOS jemanden mit Industrie-Expertise im Angebot. In den 18 Fachvertretungen ist die „Liste der Oberösterreichischen Industrie“ (dahinter steht die Industriellenvereinigung) mit ihren nominierten Kandidaten also fast ohne Konkurrenz. Das ist laut Wolfgang Greil, dem Direktor des Wirtschaftsbunds Oberösterreich, nicht gottgegeben. „Jeder kann bis zur Einreichfrist seine eigene Liste erstellen.“ Manche davon klingen skurril, wie etwa jene der „Unabhängigen Kontaktlinsenanpasser“, die in der Fachgruppe Gesundheitsberufe kandidieren. Zu den kleinsten Berufsgruppen zählen die Rauchfangkehrer mit 80 Mitgliedsbetrieben und zehn Mandaten, die größte ist die Gastronomie mit 5.800 Unternehmen und 31 Mandaten.
Warum sollen wir politische Wahlen abhalten, wenn es um Interessenpolitik für die Mitglieder geht.

Bunte Mischung bei den Wirten
Die Wirte haben Gewicht in der Kammer und verstanden es schon immer, sich lautstark medial in Szene zu setzen. In den vergangenen Jahren zum Beispiel gegen Rauchverbot, Registrierkassenpflicht, Bürokratie oder Corona-Maßnahmen. Der ÖVP-Wirtschaftsbund geht mit dem Trio Gerold Royda, Karl Wögerer und Andrea Hammerle in die Wahlen. Auch der langjährige Wirtesprecher Thomas Mayr-Stockinger (Gasthof Stockinger in Ansfelden) will es noch einmal wissen, wechselt aber vom Wirtschaftsbund zur parteifreien gemischten Liste, die vom Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband SWV und dem von Gerold Edelsbacher mit gegründeten Wirtschaftsnetzwerk WIR unterstützt wird. Mit dabei: der Linzer SPÖ-Gemeinderat Harald Katzmayr (Pianino) und Gastro-Rebell Günter Hager (Josef). Die Liste hat den Fachkräftemangel der Branche im Fokus, setzt auf flexible Arbeitszeitmodelle, eine modulare Ausbildung und abgabenfreies Trinkgeld. Für die Liste „Freiheitliche Wirtschaft (FW) und Parteifreie“ tritt Michael Fürtbauer als Spitzenkandidat in dieser Fachgruppe an. Der Gmundner führt das Gasthaus Kirchenwirt, ist Nationalratsabgeordneter und seit 2019 Landesobmann der Freiheitlichen Wirtschaft Oberösterreich. Was ihn mit den anderen Fraktionen eint, ist, „die Allmacht des Wirtschaftsbundes“ zu brechen. Die aktuelle Struktur der Wirtschaftskammer sei der Inbegriff der illiberalen Demokratie und gehöre verschlankt. „Im letzten Wirtschaftsparlament habe ich den Antrag für die Installierung einer breit angelegten Reformkommission eingebracht. Alle Fraktionen haben zugestimmt – außer der Wirtschaftsbund. Wir können doch nicht vom Staat verlangen, dass er sich reformiert und halten selbst an den alten Kammerstrukturen mit neun Landeskammern und einer Bundeswirtschaftskammer fest.“
Wir können nicht vom Staat verlangen, dass er sich reformiert und halten selbst an alten Kammerstrukturen fest.

Die ewige Debatte um eine (Nicht-)Reform
Die Wirtschaftskammerwahlen sind immer auch eine willkommene Bühne für die Fraktionen, um auf Erreichtes hinzuweisen, Reformen einzufordern oder das „System“ grundsätzlich zu kritisieren.Doris Hummer ist Rudolf Trauner (+70) im Jahr 2017 an der Spitze der WKOÖ nachgefolgt, ist erfolgreiche Gründerin sowie Unternehmerin und hat sich in den sieben Jahren ihrer Präsidentschaft trotz aller Streitpunkte in Sachfragen über die Fraktions- und Landesgrenzen bei vielen Respekt und Anerkennung verschafft. Der spektakuläre und smarte Umbau der Kammerzentrale am Linzer Hessenplatz hat ihr am Ende auch Pluspunkte eingebracht. Das ist wahrscheinlich der große Unterschied zur Landes- und Bundespolitik, dass die Wirtschaftskammer am Ende eine Standesvertretung ist. „Wenn ich zu einem Fachgruppentag gehe, dann treffe ich einfach Branchenkollegen, egal welcher Couleur“, sagt Wolfgang Greil. Gefragt nach ihren Wahlzielen nennt Hummer wenig überraschend „ein Entlastungspaket für unsere Betriebe zu erkämpfen bei Lohnnebenkosten, Bürokratie und Energie“. Und die eigene Bürokratie sowie die angesprochenen mangelnden Reformen? Es sei völlig richtig, dass sich jede Organisation und vor allem die öffentlichen Vertretungen laufend einem Effizienzprogramm unterziehen sollen, sagt Hummer. „Wir in der Wirtschaftskammer tun das. Seit meiner Präsidentschaft haben wir nicht nur die Kammerumlagen zweimal gesenkt, sondern auch unsere Leistungen und Strukturen neu ausgerichtet.“ Hummer verweist auf eine aktuelle Umfrage des IMAS-Instituts, wonach acht von zehn Unternehmen sagen, dass die Wirtschaftskammer sehr wichtig beziehungsweise wichtig ist.
Mit der Abschaffung der Kammerumlage 2 könnten Unternehmen um rund 440 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden.

Warum sinkt die Wahlbeteiligung?
Die gesunkene Wahlbeteiligung, zuletzt auf 32,5 Prozent in Oberösterreich, sollte allen Verantwortlichen zu denken geben. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsmodelle. Zum einen wird die wachsende Zahl der 24-Stunden-Pflegerinnen aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei oder Rumänien genannt. Sie machen als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) den Löwenanteil der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung aus. Immerhin gehören ihr 9.500 Mitgliedsbetriebe an, rund zehn Prozent der Unternehmen in Oberösterreich. Ohne ihre Hilfe und jene der registrierten Organisationen, die Personenbetreuer vermitteln, würde Pflegenotstand herrschen. Das sieht auch Wolfgang Greil so. Andererseits sei die Verbundenheit einer 24-Stunden-Pflegerin mit der Wirtschaftskammer meist nicht wahnsinnig groß. Sie pendelt alle zwei Wochen nach Hause und beherrscht die deutsche Sprache in der Regel nicht so gut, um selbst Wahlkarten auszufüllen. Manfred Zaunbauer, Präsident des SWV OÖ, will das so nicht stehen lassen. „Auch die Pflegerinnen sind Wirtschaftskammermitglieder und könnten die ganzen Vorzüge, die auch eine Wirtschaftskammer bietet, auch nutzen, wenn es mehrsprachige Informationen gäbe. Man muss die Pflegerinnen in ihrer Sprache informieren, dann können sie auch ihr Wahlrecht ausüben.“

Umlage- und andere Verfahren
Karin Doppelbauer, Nationalratsabgeordnete und UNOS-Landessprecherin, sieht in der Pflichtmitgliedschaft ein weiteres Indiz für eine sinkendende Wahlbeteiligung. Sie fordert die Abschaffung der Kammerumlage 2. Die Umlage ist von der Höhe der ausgezahlten Bruttolöhne abhängig und stellt einen der vielen Faktoren dar, die in Österreich die Arbeitskosten in die Höhe treiben. „Allein mit der Abschaffung der Kammerumlage 2 könnten Österreichs Unternehmen um rund 440 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden.“ Dass in der Kammer auf der untersten Ebene direkt gewählt und dann in einem komplizierten Verfahren (D’Hondt) bis in die höchste Ebene hochgerechnet wird, hebt für Bernhard Seeber, Sprecher der Grünen Wirtschaft Oberösterreich, nicht unbedingt den Anreiz, wählen zu gehen. Auch weil das Verfahren kleine Fraktionen tendenziell benachteiligt. „Warum sollen wir politische Wahlen abhalten, wenn es um Interessenpolitik für die Mitglieder geht“, fragt Seeber. Er schlägt vor, das Wirtschaftsparlament durch politische Wahlen zu besetzen, die Interessenvertreter aber durch Hearings oder ähnliche Verfahren zu bestimmen. Das würde die Kammer „entpolitisieren“. Die Bürgermeisterwahl in Linz war auch eine Direktwahl und die Wahlbeteiligung dort auch nicht herausragend, entgegnet Hummer. „Die Branchen, die Fachorganisationen sind das Herzstück der Wirtschaftskammerorganisation und dort fühlen sich die Unternehmer zu Hause – sie wählen ihre Vertretung. Daher ist es auch richtig, auf dieser Ebene zu wählen.“