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Ist das Kandidaten-Meer wirklich leer gefischt?
Ist das Kandidaten-Meer wirklich leer gefischt?
Getty Images

Wie angle ich neue Mitarbeiter?

26.04.2022 um 06:00, Klaus Schobesberger
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Ist der Kandidatenmarkt wirklich leer gefischt, wie viele sagen? Oder müssen Unternehmen ihre Strategien anpassen?

Schon mal den Begriff Hidden Champions gehört? Kaum ein anderes Land der Welt hat mehr davon als Österreich. Hidden Champions sind Firmen, die in der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, aber dank ihrer Innovationskraft in ihrer Branche den Takt angeben. Sprecher Automation zählt zu dieser Kategorie. Das Linzer Unternehmen produziert Anlagen und Systeme für die Digitalisierung von Stromnetzen und Industrieanlagen und macht diese damit effizien­ter und sicherer. Weil Schwankungen in Stromnetzen durch den steigenden Anteil an ­Sonnen- und Windstrom immer höher werden, ist eine digitalisierte Netzsteuerung unverzichtbar, um die Versorgungs­sicherheit auf dem gewohnt hohen Niveau zu halten. Die Lösungen von Sprecher Automation sind weltweit gefragt. Acht von zehn der in Österreich produzierten Geräte gehen in den Export. Treiber ist die Energiewende. „Wir wachsen jedes Jahr im Schnitt um zwölf Prozent“, erklärt Geschäftsführer Erwin Raffeiner, der das Unternehmen mit Kollegen in einem Management-Buyout 2002 von einem französischen Konzern übernommen hat. Damals beschäftigte das Unternehmen 160 Mitarbeiter und verbuchte einen Auftragseingang von 16 Millionen Euro. Heute finden 600 Mitarbeiter Arbeit und der Auftragseingang lag im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr bei 112 Millionen Euro.

 

Unternehmen müssen sichtbar werden

Doch der Erfolg hat auch einen Haken: Fehlende Mitarbeiter drohen das Wachstum zu bremsen. Der Hidden Champion muss aus der Deckung heraus und für eine breite Öffentlichkeit sichtbarer werden. „Wir waren in der Vergangenheit etwas konservativ, was Employer-Branding-Maßnahmen betrifft. Jetzt ist es an der Zeit, uns zu präsentieren“, sagt Raf­feiner. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind das Festhalten am Produktionsstandort Österreich und die Mitarbeiterbeteiligung, beides Gründe, , dass die Wechselbereitschaft im Unternehmen sehr gering ist. Gesucht werden vom Hard- und Softwareentwickler bis zum Fertigungspersonal. Doch wie angle ich Top-­Leute für mein Unternehmen? „Jobinserate zu schalten reicht nicht mehr. Es braucht Recruiting, aktives Werben auf Social-Media-Plattformen und das Beschreiten neuer Wege“, sagt Raffeiner. Eine rückläufige Anzahl an Bewerbungen und ausgeschriebenen Jobs bestätigt Recruiting-Profi Sam Zibuschka. „Einen Job über ein Print- oder ein Online-Inserat zu besetzen ist ein Glückstreffer“, sagt der Managing Director beim Recruiting-Unternehmen ePunkt. Deshalb rüsten Firmen stark auf in verschiedenen HR-Bereichen, allen voran im Bereich Employer Branding, um bei der Arbeitgeber-Attraktivität wieder ganz vorne zu landen.

 

Erwin Raiffeiner
Erwin Raffeiner, Geschäftsführer bei Sprecher Automation, Linz: "Wir waren in der Vergangenheit etwas konservativ, was Employer- Branding-Maßnahmen betrifft…

Recruiter sind das „neue Gold“

„Man kann sich heute nicht mehr ­darauf verlassen, dass Kandidaten von alleine kommen, sondern muss sich selbst auf die Suche begeben und Leute etwa auf Social-Media-Kanälen aktiv ansprechen“, sagt Zibuschka. Dieses „Active Sourcing“ ist nicht neu, aber hochkomplex und verlangt ausgeklügelte Strategien. Ein weiterer Trend ist der Aufbau eigener Kandidatenpools. Weil Kandidat und Unternehmen in engerem Kontakt stehen, fällt damit ein großer Teil des Bewerbungsaufwands weg. Einen grundlegenden Wandel in Unternehmen sieht auch Gerhard Heidlmair, der sich als Kommunikationsprofi intensiv seit zwei Jahrzehnten mit HR-Themen beschäftigt: „Die Erwartungshaltung nicht nur der jungen, sondern auch der etablierten Arbeitnehmer hat sich geändert. Wenn ich als Arbeitgeber nicht proaktiv die Bedürfnisse stille, dann bekomme ich ein noch größeres Problem, weil ich dann auch bestehende Mitarbeiter verliere.“ Gerade in Traditions- und Familienunternehmen herrscht immer noch der Glaube vor, wenn die Mitarbeiter monatlich pünktlich das Gehalt erhalten und der Chef jedem Mitarbeiter zu Weihnachten die Hand schüttelt, sei dies völlig ausreichend. Die Wahrheit ist, dass heute Vorstand oder Geschäftsführer vor den Gesellschaftern oder Aufsichtsräten wegen nicht erledigter Kundenaufträge Rede und Antwort stehen müssen. Die Begründung der geknickten Manager lautet: „Uns fehlen leider die Mitarbeiter dafür.“ Der Mitarbeitermangel bringt die Wirtschaft in eine existenzielle Notlage. „Wenn der Vertrieb akquiriert, aber Mitarbeiter fehlen, um die Aufträge zu bearbeiten, habe ich ein unternehmerisches Problem“, bringt es Heidlmair auf den Punkt. Für ­Zibuschka sind Re­cruiter daher „das neue Gold im Unternehmen“. Viele Firmen würden erkennen, dass nicht der Vertrieb oder die Entwicklungsabteilung, sondern „personelles Wachstum heute der ultimative Hebel für das Erreichen der Unternehmensziele ist“.  

 

Wer bei uns kostenlos studiert, sollte auch bei uns einige Jahre arbeiten müssen. (Bettina Kern, Geschäftsführerin Kern engineering careers, Linz)

Firmenübernahmen als Talent-Akquisition

Am ausgeprägtesten ist Fachkräftemangel am IT-Sektor. Mehr als 24.000 IT-Fachkräfte fehlen in Österreich – in den nächsten fünf Jahren könnten es bis zu 30.000 sein. Dadurch entstehe ein Wertschöpfungsverlust von 3,8 Milliarden Euro pro Jahr, rechnet die Branche vor. Die Maßnahmen der Unternehmen sind vielfältig: Sie reichen von üppigen Mitarbeiterbenefits, Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, Standorteröffnungen in Bundesländern oder „unmoralischen“ Einstiegsgehältern von bis zu 8.000 Euro für Absolventen, die frisch von der Uni oder der Fachhochschule kommen. Der Fachkräftemangel im Bereich der Informationstechnologie ist ein globales Phänomen. Obwohl große IT-Unternehmen in der Regel über ausgefeilte Rekrutierungssysteme verfügen, liegt die Zahl der Firmenübernahmen in den USA auf einem Rekordniveau. Akquisitionen wurden bisher als Wachstums- oder Wettbewerbsstrategie eingesetzt, viele Technologieunternehmen nutzen sie aktuell als Talent-Akquisition. Und man hat mit „Acquihire“ auch bereits ein neues Kofferwort dafür kreiert – zusammengesetzt aus „Acquisition“ (Übernahme) und „hire“ (jemanden einstellen). M&A-Spitzenreiter dürfte das IT-Beratungsunternehmen Accenture sein, das im Geschäftsjahr 2021 rund 4,2 Milliarden Dollar für 46 Übernahmen investierte, „um Kompetenzen und neue Fähigkeiten in strategischen, wachstumsstarken Marktbereichen hinzuzufügen“, wie das Unternehmen mitteilte. In Österreich sind solche Entwicklungen eher die Ausnahme. Für Personalexpertin Bettina Kern, Gründerin von Kern engineering careers mit 140 Mitarbeitern, liegt das Personalproblem auch im österreichischen Bildungssystem. Absolventen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sind Mangelware. „Wer bei uns kostenlos studiert, sollte auch bei uns einige Jahre arbeiten müssen. Viele Talente, die wir hier in Österreich ausbilden, gehen nach dem ­Studium wieder zurück in ihr Heimatland. Umgekehrt gilt: Jenen Leuten, die bei uns arbeiten möchten, machen wir es unnötig schwer, wie das Beispiel der zum Teil hervorragend ausgebildeten ukrainischen Flüchtenden zeigt“, sagt Kern.

Netzwerken und Guerilla-Marketing

Wie und wo erreiche ich aber neue ­Mitarbeiter? „Das ist mittlerweile sehr vielschichtig und kommt auf die einzelnen Bereiche an. Bei Lehrlingen muss ich anders vorgehen als bei Spezialisten“, sagt Heidlmair. Die Jungen erreicht man über TikTok und Instagram. Facebook bietet nicht mehr diese Möglichkeiten wie früher, um ganz gezielt Personen oder Regionen einzugrenzen. Targeting wird nicht mehr zugelassen. Grundsätzlich sollen sich Arbeitgeber fragen, welche Strategien zielführend sind. „Das geht bis zu Guerilla-Maßnahmen mit speziellen Aktionen, um auf mich aufmerksam zu machen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die von der Wirtschaftskammer Oberösterreich initi­ierte „Job Week“, die in der Woche von 28. März bis 2. April 2022 unter dem Motto „Arbeitgeber trifft Arbeitnehmer“ Premiere feierte. „Das Unternehmen muss sich heute bei potenziellen Mitbewerbern bewerben. Das ist ein kompletter Perspektivenwechsel, der aktuell stattfindet. Es braucht zwar eine Anlaufstelle im Unternehmen, wo sich Kandidaten bewerben können. Aber es braucht viel mehr unterschiedliche Maßnahmen“, sagt auch Gerhard Preslmayer von SPS Marketing, das seit Jahren Unternehmen erfolgreich im Bereich Employer Branding berät. Der Social-Recruiting-Bereich sei wichtig. Vor allem LinkedIn bewähre sich im Bereich gut ausgebildeter Personen. „Ich kann mir schon ein gutes Bild machen, wo potenzielle Mitarbeiter sitzen und kann sie mit speziellen Maßnahmen kontaktieren.“ Eigene Mitarbeiter als Botschafter? „Mir gefällt Fürsprecher besser. Jemand, der für jemanden eintritt, hat auch mehr Überzeugungskraft. Dabei geht es um Unternehmenskultur. Daran arbeiten viele Unternehmen, aber es gibt noch Aufholbedarf“, sagt Preslmayer.

Know-how, Erfahrung und Ausdauer

„Es fischen zwar viele Unternehmen im selben Teich, aber dieser Teich ist nicht leer“, ist Bettina Kern überzeugt. Der Markt habe sich vom Job- zum Kandidatenmarkt verändert. Die ganze Suche hat sich verändert. Der Wandel ist so schnell, man muss sehr viel dazulernen, damit man am Ball bleibt. „Ich ­glaube, es ist auch gar nicht so wichtig, alle Kanäle zu bespielen, als vielmehr zielgerichtet zu arbeiten. Wir wollen alles schnell haben, sofort – so funktioniert der Kandidaten- und Jobmarkt nicht“, sagt Kern. Es gehe darum, eine Beziehung aufzubauen, sich für die Kandidaten zu interessieren. „Sie können 750 Leute anschreiben und keine Rückmeldung erhalten. Sie können aber auch zehn Leute anschreiben und sie bekommen zehn Rückmeldungen.“ Wie beim echten Fischen zählen eben auch beim Recruiting Know-how, Erfahrung und Ausdauer.

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