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Soziologe Martin Schröder
Martin Schröder ist Professor für Soziologie der Wirtschaft und Arbeit an der Philipps-Universität Marburg.
Martin Schröder ist Professor für Soziologie der Wirtschaft und Arbeit an der Philipps-Universität Marburg.
Martin Schröder

Was macht uns wirklich zufrieden?

10.02.2021 um 14:37, Friederike Ploechl
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Der Soziologe Martin Schröder liest keine Ratgeber, um diese Frage zu beantworten, sondern gräbt sich lieber durch einen Datensatz mit über 600.000 Interviews einer Langzeitstudie.

Rund 85.000 Menschen wurden seit 1984 wiederholt nach ihrer Lebenssituation und -zufriedenheit befragt. Die Daten aus diesen Befragungen hat Martin Schröder analysiert. Die Ergebnisse, die er in einem Buch zusammengefasst hat, sind zum Teil ziemlich überraschend.

CHEFINFO: Welches Ergebnis Ihrer Analysen hat Sie selbst am meisten überrascht?

Martin Schröder: Dass Kinder keinen Einfluss auf die eigene Zufriedenheit haben, weder positiv noch negativ. Das hätte ich vorher wirklich nicht vermutet. Auch, dass Geld nur bis etwa 2.000 Euro monatlich einen starken Einfluss auf die Zufriedenheit hat, hat mich erstaunt.

CHEFINFO: Dabei betonen die Menschen oft, dass Kinder das Beste sind, das ihnen je passiert ist. Wie erklären Sie sich diesen Effekt?

Schröder: Psychologen nennen das „eskalierendes Commitment“. Umso mehr sie schon in etwas investiert haben, desto weniger können sie sich eingestehen, dass es eigentlich gar nicht so relevant für ihre Zufriedenheit ist. Und das sieht man ja auch ganz konkret, (fast) niemand will seine eigenen Kinder tatsächlich loswerden, das ist ja irgendwie auch klar. Aber ein zweiter Grund, warum Kinder nicht zufrieden machen, erschließt sich, wenn man das Ganze mal umdreht: Ich sage ja nicht, dass Kinder unglücklich machen, vielmehr kann man auch einfach sagen: Kinderlose sind so zufrieden mit ihrem Leben wie Eltern.

CHEFINFO: Unsere Zufriedenheit scheint ein ziemlich stabiler Wert zu sein – selbst nach einem Lottogewinn oder nach einer unfallbedingten Behinderung kehrt unsere Zufriedenheit nach einiger Zeit wieder annähernd zum Ausgangswert zurück ... gibt es dennoch „Stellschrauben“, an denen ich drehen kann, um zufriedener zu werden?

Schröder: Dankbarkeit! Es hört sich vielleicht albern an, aber sich jeden Abend vor dem Schlafengehen ­aufzuschreiben, wofür man heute dankbar war, polt nachweislich Ihr Gehirn um, stärker auf das zu achten, was schön in ihrem Leben ist, so werden Sie zufriedener. Ansonsten zeigt sich, dass sozialer Kontakt stark mit Zufriedenheit einhergeht und die Zufriedenheit wohl auch tatsächlich steigern kann, zumindest insofern Einsamkeit schon fast eine Garantie für Unzufriedenheit ist. Aber das heißt umgekehrt nicht, dass Sie jeden Tag jemanden treffen müssen, wenn Sie gar kein Bedürfnis danach haben, nur einsam sollten Sie sich eben nicht fühlen.

CHEFINFO: Es gibt einige Faktoren, die überraschend wenig für die Zufriedenheit bringen ... welche Ziele und Aktivitäten können wir getrost von unserer To-do-Liste streichen?

Schröder: Noch mehr zu verdienen, wenn man sowieso schon mehr hat als die meisten anderen. Ganz generell scheint der Versuch, andere zu überflügeln, keine positiven Auswirkungen auf die eigene Zufriedenheit zu haben, obwohl die meisten von uns sehr viel Energie darauf verwenden.

Zitat Martin Schröder
Schröder forscht über soziale Ungleichheit, Sozialstaat, Kapitalismusvarianten, Wirtschaftssoziologie, ­Generationen, Moral und Lebenszufriedenheit.

CHEFINFO: Nichts beeinflusst unsere Zufriedenheit so entscheidend wie die Gesundheit – oder genauer: das subjektive Empfinden, gesund zu sein. Sollte ich manchmal vielleicht mehr zum Psychologen als zum Arzt gehen?

Schröder: Nein, zumindest nicht, wenn es Ihnen nicht schlecht geht. Denn es stimmt zwar, dass gesunde Menschen zufriedener sind und das gilt besonders für psychische Gesundheit. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir selbst zufriedener werden, nur weil wir das Verhalten zufriedener Menschen imitieren. Ganz im Gegenteil stecken wahrscheinlich sowohl hinter Gesundheit als auch hinter Zufriedenheit Einstellungen, vielleicht sogar gute Gene, die man nicht so leicht imitieren kann. Auch zeigen Studien der sogenannten Positiven Psychologie, dass es wenig bringt, noch mal alles auszugraben, was in Ihrer Kindheit vermeintlich schiefgelaufen ist, zumindest wenn Sie keine ernsten Probleme haben. Wenn Sie unbedingt zufriedener sein wollen, nutzen Sie ­lieber den Dankbarkeitstrick.

CHEFINFO: Eine herbe Enttäuschung für die Vertreter der Gleichstellungsbewegung ist sicherlich das Ergebnis, dass wir scheinbar am zufriedensten sind, wenn wir uns entsprechend der traditionellen Geschlechterrollen verhalten. Bewegt sich hier gar nichts in den Daten, macht auch jüngere Frauen mehr Gleichstellung nicht zufriedener?

Schröder: Zumindest wird der Effekt nicht schwächer, wenn ich mir später geborene Kohorten anschaue oder die spätere Hälfte der Daten. Aber auch hier muss man sagen: Man kann nicht direkt von den Beobachtungsdaten darauf schließen, was im eigenen Leben passiert. So haben Sie beispielsweise recht: Ja, im Schnitt sind Väter zufriedener, wenn sie länger arbeiten, Mütter aber nicht. Aber Väter, die bewusst in Elternzeit gehen, sind dann trotzdem etwas zufriedener als sonst mit ihrem Leben. Es spricht also natürlich nichts dagegen, das zu tun, was man möchte, auch wenn das von traditionellen Rollenbildern abweicht. Allerdings zeigen die Daten durchaus: Männer und Frauen in andere Rollen zu pressen, die uns vielleicht moderner vorkommen, funktioniert im Schnitt nicht, das müsste schon jeder für sich selbst entscheiden.

CHEFINFO: Sie haben bereits erste Auswirkungen der Corona-Krise ausgewertet – wie haben sich der Lockdown und die Krise auf unsere Zufriedenheit ausgewirkt?

Schröder: Erstaunlicherweise überhaupt nicht. Die Einsamkeit ist etwas angestiegen, der soziale Zusammenhalt dafür auch und an der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit hat sich bisher nichts geändert. Wie Sie schon gesagt haben: Menschen erholen sich von fast allem, sie werden sich also auch hiervon erholen.

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