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Stefan Beham, Illustrator
Der gebürtige Engelhartszeller Stefan Beham, 41, ist der Designer der Punkrockwelt.
Der gebürtige Engelhartszeller Stefan Beham, 41, ist der Designer der Punkrockwelt.
Herman Wakolbinger

Was ist Innovation? Neue Punkwelle

20.07.2022 um 10:57, Jürgen Philipp
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Stefan Beham hat mit SBÄM ein Punkrockimperium geschaffen. Der Illustrator des Punks spricht in unserer Innovations-Serie über (mangelnde) Innovation in der Musik und eine längst überfällige neue Punkwelle.

Im einzigen Trappistenkloster Österreichs in Engelhartszell geht es naturgemäß ruhig zu. Es wird schweigend Bier gebraut und Eierlikör produziert, Produkte, die in alle Welt gehen. Mit Ruhe hat das Business des gebürtigen Engelhartszellers Stefan Beham nicht viel zu tun, und dennoch geht auch sein Punkrock-Label SBÄM um die Welt. Als Punk Mitte der 1970er-Jahre in New York und London aufschlug, war das ein Schock und löste die größte Welle musikalischer Innovation seit Little Richard und Chuck Berry aus, die als „Erfinder“ des Rock ’n’ Roll gelten. Eine wahre Welle an innovativen Bands von den Stooges über die Ramones bis zu Patty Smith, von den Sex Pistols bis Clash und sogar Police – sie alle brachten die lange verschlafene Musik­industrie auf Trab. Punk wurde zum Ventil frustrierter Teenies, „No future“ wurde zu ihrem Credo. In den 1990ern folgte eine zweite Welle, die auch Stefan Beham erfasst hat und den Grundstein für SBÄM legte. „Es gibt fast immer das gleiche Lineup wie vor 20 Jahren. Es ist schon erschreckend, wenn man weiß, die Typen sind 55, 60 Jahre alt, und wenn die nicht mehr spielen, gibt es ein Vakuum.“ Dieses Vakuum will er mit seinem Label, das junge innovative Bands, unter Vertrag nimmt, füllen: „Es gibt gefühlt 99 Prozent reine Männerbands. Unsere Mission ist es, dass bis 2024 mindestens 50 Prozent aller bei uns unter Vertrag stehenden Bands ein oder mehrere weibliche Bandmitglieder haben.“ Bei Österreichs größtem Punkfestival, dem SBÄM-Fest in der Tabakfabrik Ende Juli, sind bereits die Hälfte aller Acts Teil von SBÄM. „Sie bringen ihren eigenen Stil rein, der nach den 2020ern klingt.“

Unsere Mission ist es, dass bis 2024 mindestens 50 Prozent aller bei uns unter Vertrag stehenden Bands ein oder mehrere weibliche Bandmitglieder haben.

Digitale Innovationen als „Weichspüler der Musik“?

Ausgerechnet die technischen Innovationen der letzten Jahre, von Homerecording, digitalen Masteringtools oder Strea­mingplattformen sieht der 41-Jährige als Hemmnis der Weiterentwicklung des Genres. Sie ersetzen teure Studios, doch: „Dadurch entsteht ein Überangebot. Als ich zum Punk kam, habe ich einen ganzen Tag im Record Store verbracht und mir alles durchgehört. Heute findet man auf Spotify eine coole Band, die man in einer halben Stunde schon wieder vergessen hat.“ Wer nicht vergessen werden will, der „muss gezwungenermaßen innovativ sein und sich vom Einheitsbrei unterscheiden.“ Die Digitalisierung in der Musik bewirkt aber oft das Gegenteil: „Travis Barker ist der berühmteste Produzent der Welt, doch es ist nicht real, alles klingt gleich und weichgespült. Ein Song wie Bohemian Rhapsody würde heute mit digitalen Tools geschliffen und so seinen Charakter verlieren.“ Und eine weitere vermeintliche Innovation bekrittelt Beham: „Man fühlt die Musik nicht mehr, weil bei Konzerten die Kids das Live-Erlebnis durch ihre Smartphones zerstören, die in die Höhe gehalten werden.“

 

Kommt der Punkrock 3.0?

Mittlerweile „wartet“ Beham ­geradezu darauf, dass eine weitere Punkwelle losbrechen könnte – eine Art „Punk 3.0“. „Die ist längst überfällig“. Gründe dafür findet er genug: „Punk hatte immer etwas mit sozialen Missständen zu tun, und die Punkszene gibt dir ein Zusammengehörigkeitsgefühl, etwas, was junge Menschen in unserer digitalen Zeit oft vermissen. Social Media wird abflauen, weil es zu stressig ist, permanent irgendetwas zu posten. Das echte Leben, das Offline-Leben, wird wichtiger werden.“ Und es sind nicht zuletzt die politischen Umstände, die ihn ein Revival erwarten lassen. „Punk war immer ein Ventil für Unzufriedenheit. Daher poppt das Genre in den USA, aber auch in Russland wieder auf, überall dort, wo ein Rückfall in erzkonservative Gesellschaften droht.“ Diese Unzufriedenheit, dieser Protest und vor allem die Sehnsucht, Teil der Punkfamilie zu sein, in der jeder akzeptiert wird, schafft für Beham eine Melange, die hoch innovativ sein könnte. „Punkrock ist immer etwas, was den Zeitgeist trifft, und damit ist er per se innovativ.“

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