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Brigitte Hütter, Kunstuni-Rektorin
Brigitte Hütter, 50, ist seit 2019 Rektorin der Kunstuniversität Linz.
Brigitte Hütter, 50, ist seit 2019 Rektorin der Kunstuniversität Linz.
Herman Wakolbinger

Was ist Innovation? Kreativität als Motor

18.07.2022 um 06:00, Jessica Hirthe
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Brigitte Hütter ist als Rektorin der Kunstuniversität Linz von sprudelnder Kreativität und Innovation umgeben. In Teil 3 der Innovations-Serie spricht sie über den Stellenwert von Kunst und Design in der Wirtschaft.

Was bedeutet für Sie Innovation?
Brigitte Hütter: Das Neue, jetzt nicht Vorstellbare, aber morgen vielleicht schon Vorhandene, was unser Leben wesentlich mitgestaltet. Der Begriff ist für mich weit zu fassen, auch im Sinne von sozialer Innovation, die Formen des Umgangs und Zusammenlebens, neben den Produkten in der Wirtschaft.

Innovation scheint zurzeit nur etwas wert zu sein, wenn sich damit Geld verdienen lässt – doch welchen Wert hat Kreativität für die Gesellschaft?
Hütter: Die Kreativität ist unser Motor. Sie ist das, wozu wir als Menschen fähig sind, nämlich neu zu denken, uns weiterzuentwickeln und neu zu handeln. Das kann vernunftgesteuert sein, aber auch kreativ im Sinne von ausprobierend und Materialien wählend, die wir so noch nie in der Hand hatten. Im Prinzip geht es bei der Kreativität um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, natürlich auch der Wirtschaft und des sozialen Zusammenlebens.

Bei Kreativität geht es um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Welchen Beitrag leistet dabei die Kunst?
Hütter: Die Kunst hat die Fähigkeit, ­Fragen zu thematisieren, die sonst nicht stellbar wären. Kunst ist zweckfrei und nicht sofort auf die Lösung eines Problems gerichtet. Kunst bietet die Möglichkeit, Kreativität einzusetzen, als Experiment mit einer Methodenvielfalt. Kunst hat den Freiraum, nachzudenken, zu fühlen und zu schauen, welche Fragen kommen. Es ist nicht immer die Antwort, die die Kunst liefern muss.

Welche spannenden Trends gibt es im Bereich Design?
Hütter: Ein wesentlicher, der auch in der Wirtschaft angekommen ist, ist: kollaboratives, interdisziplinäres Arbeiten. Auf Augen­höhe verschiedene Blickwinkel nicht nur zuzulassen, sondern auch fruchtbar zu nutzen. Der andere Ansatz ist das große Thema Nachhaltigkeit in all seinen Ausprägungen. Kritisches Design ist auch ein Thema. Wir sind sehr stark anwendungsorientiert und nah an der Wirtschaft. Unsere Studenten arbeiten sehr viel in Projekten, die praxisorientiert in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sind. Diese Wirtschaftsnähe heißt aber nicht nicken und willfährig sein, sondern auch kritischer Spiegel zu sein.

Welcher Gegenstand verkörpert für Sie die perfekte Symbiose von Design und Innovation?
Hütter: Der interaktiver Blindenstock, den mir Industrial-Design-Studenten kürzlich präsentiert haben. Dieser Blindenstock arbeitet mit Vibration und Wärmeempfinden, um die Umgebung für Blinde fühlbar zu machen. Wenn Sie mich nach Design und Innovation fragen, geht es für mich nicht nur um Ästhetik, sondern im besten Fall auch um Nutzung von neuen Technologien in Verbindung mit dem Design, um einen Mehrwert für den Nutzer zu generieren.

Wenn von anwendbarer Innovation die Rede ist, denkt man nicht gleich an die Kunstuni. Zu Unrecht?
Hütter: Ob man innovative ­Produkte mit uns verbindet oder nicht, hängt wohl damit zusammen, dass es nicht ­unsere primäre Zielrichtung ist, innovative Produkte auf den Markt zu bringen, sondern Studierende in ihrer Entwicklung zu begleiten, damit sie die Innovation von morgen liefern können. Das tun wir sehr wirtschaftsnah. Wenn wir mit der Wirtschaft kooperieren, stellen die Unternehmen die Produkte natürlich als ihre dar, und das ist auch in Ordnung so. Der Stellenwert von Kreativität, Gestaltung und Kunst in der Wirtschaft ist immens gewachsen – auch die Bedeutung von Design. Das war in den vergangenen 50 Jahren nicht immer so. Und zwar Design nicht nur im Sinne von Ästhetik oder Funktion, sondern auch im Bezug auf Prozesse.

Welche interessanten ­Erkenntnisse liefert die künstlerisch-wissenschaftliche Forschung der Kunstuni?
Hütter: Sehr viele. Zum Beispiel sind nachwachsende oder organisch gezüchtete Materialien ein großes Thema: Bei uns wurde in Fashion und ­Technology kürzlich eine Hose aus einer Zellkultur gezüchtet. Creative Robotic ist auch ein wesentlicher Bereich bei uns. Wir machen Soft- und Hardware nutzbar für Kreativprozesse in KMU.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich Innovation und Kreativität ausdrücken können?
Hütter: Ganz viel Freiheit im ­Sinne von Handlungsfreiheit, Unabhängigkeit des Denkens, Vertrauen, Fehler­toleranz, Vielfalt, Austausch. Alle Rahmenbedingungen, die Lernen ermöglichen. Wir machen etwas, haben eine Reflexionsphase und sehen: Wir sollten es nochmal probieren, aber vielleicht anders. Das macht kreativ, doch braucht es Zeit, Raum und Freiheit. Da dürfen Curricula nicht zu eng, der ökonomische, persönliche Druck und der von wirtschaftlichen Abteilungen nicht zu groß sein.

Somit ist im Schulsystem kaum Platz für Kreativität. Sollte auch die universitäre Lehre innovativer sein?
Hütter: Natürlich muss sie sich auch weiterentwickeln. Man kann nicht überall Innovation fordern und bei der Lehre nicht. Wir sind keine große Uni, wo ein paar Hundert Leute im Hörsaal sitzen. Wir haben eine sehr innovative Lehre immer an Projekten, wir haben 40 Prozent internationale Studierende, sehr divers zusammengesetzt, und arbeiten in kleinen Gruppen. Es gibt hier viel Freiheit und Augenhöhe: Wir sehen unsere Studenten von Beginn an als junge Designer, Künstler und Architekten und sind stark darauf erpicht, deren Entwicklung zu fördern. Wir haben auch einen gesellschaftlichen Auftrag, in der Wirtschaft und unserem ganzen Umfeld. Da viele Impulse aufzunehmen ist wichtig und auch die Fragen, die die Gesellschaft beschäftigen, nicht auszuklammern.

Wohin soll uns das ständige Streben nach Innovation überhaupt bringen?
Hütter: Letztendlich geht es bei jeder Innovation um unsere Zukunft und damit um den Wandel, den wir gerade durchleben auf allen Ebenen. Wenn wir wollen, dass wir energieautark sind, CO2-neutral wirtschaften, leben und arbeiten können, muss das in den Unis und Schulen Thema sein. Die junge Generation beweist, dass sie unserer sehr weit voraus ist. Wir haben uns auf anderes konzentriert, obwohl die Probleme in den 1980ern schon da waren. Das ständige Weiterentwickeln ist wichtig. Menschen wollen immer noch eins weiter denken. Schauen wir doch gemeinsam, dass die Welt gerechter wird, dass das Leben ökologisch so gestaltet wird, dass wir noch länger auf der Erde leben können, und dass wir es auch sozial packen. Es gibt immer auch Verlierer von Wandel, diese müssen mitgedacht und mitgenommen werden. Sonst haben wir riesige Unruhen zu befürchten. Das ist keine Dystopie, sondern meine Hoffnung ist, das zu schaffen. Man muss sich nicht fürchten. Die Menschheit ist fähig dazu.

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