Schlaf ist Maßarbeit
Ist weiches Liegen gefährlich, da es das natürliche Drehen im Schlaf hemmt?
Ilyas Merl: In der Nacht sind Bewegungen nur in einem gewissen Ausmaß notwendig, da Körpersysteme wie Blut und Lymphe diese benötigen. Die Bandscheibe braucht allerdings keine Bewegung während der Nacht, weil sie diese bereits tagsüber bekommt. Beim Schlafen werden die Bandscheiben regeneriert und mit Nährstoffen versorgt. Dies geschieht mittels Diffusion, da die Bandscheibe nicht durchblutet ist. Die Behauptung, dass Weichliegen gefährlich ist und der Bandscheibe schadet, kann den sogenannten Nocebo-Effekt auslösen, das Gegenteil eines Placebos. Es wird jemandem Angst gemacht und durch den Glauben der Person, dass es ihr schlecht gehen wird, wird es ihr in der Folge auch schlecht gehen. Diese Angstmache ist sehr kritisch zu betrachten. Ob jemand weich oder fest liegen soll, hängt immer von individuellen Umständen ab. Aufgrund unterschiedlicher Beschwerdebilder kann eine weiche oder harte Lagerung notwendig sein. Es gibt kein Pauschalrezept, das für alle passt!
Wie entlastet man die Wirbelsäule am besten durch die Schlafunterlage?
Merl: Die Anpassung der Schlafunterlage an die individuelle Anatomie ist essenziell. Becken-, Schulter- und Taillenbreite sowie Gewichtsverteilung sind entscheidende Faktoren. Hier gilt wieder, dass es kein Pauschalrezept sowie kein One-Size-Fits-All geben kann. Eine Analyse ist erforderlich, um eine Matratze individuell an den Körper anzupassen.
Welche Vorteile bietet die Seiten- gegenüber der Rückenlage?
Merl: Die Seitenschlafposition mit angewinkelten Beinen entlastet die Lendenwirbelsäule. Schmerz-Spezialisten meinen, dass dadurch die Muskulatur vehement verkürzt wird. Dies ist aber nicht wissenschaftlich nachgewiesen! Gerade bei Lendenwirbelsäule-Problemen ist die seitliche Schlafposition schmerzlindernd und entlastend. Das weiß jeder, der im Krankenhaus auf einer orthopädischen Station arbeitet. Außerdem ist die Rückenlage schlechter bei Atemwegsbeschwerden wie etwa Schlafapnoe und bei Herzerkrankungen, da vermehrt Beschwerden auftreten können. Auch Schnarchen findet häufig in der Rückenlage statt und kann durch Umlagerungen vermieden werden. Bei Beschwerden spricht vieles gegen die Rückenlage – jedoch passt nicht jede Schlafposition für jeden!
Was möchten Sie abschließend noch betonen?
Merl: Manche Dinge im Leben sind, wie sie sind. Die Annahme, dass wir nachts „weitersitzen“, weil wir tagsüber viel sitzen – während Menschen, die kaum sitzen, dennoch normal schlafen –, ist eine stark verkürzte Sichtweise. Sie dient oft dazu, Angst zu schüren und ein Geschäftsmodell daraus abzuleiten. Statt Angst zu verbreiten, sollten wir unsere Ressourcen stärken, um gesund zu bleiben. Mehr Selbstvertrauen in unseren Körper zu haben und ihn selbst zu spüren, statt darauf zu hören, was andere sagen, ist dabei essenziell. Unser Körper kann nicht durch eine einzige normale Bewegung aus dem Konzept gebracht werden und er ist belastbar. Wenn wir uns dessen bewusst sind und unsere Umgebung ihm anpassen, dann macht auch die Individualität bei der Matratzenwahl einen Sinn!