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Geschäftsführer und Haftung
Es gibt viele Mythen um die Geschäftsführerhaftung.
Es gibt viele Mythen um die Geschäftsführerhaftung.
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Geschäftsführung mit (un)beschränkter Haftung?

09.06.2023 um 10:01, Jürgen Philipp
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Wann Geschäftsführer haftend gemacht werden können, ist klar geregelt. Und dennoch gibt es viele Mythen und Mysterien. Ein Aufklärungsversuch.

Landgericht München, 13. Februar 2023, alle Blicke sind auf einen Mann im schwarzen Rollkragenpullover, der ein wenig an Steven Jobs erinnert, gerichtet: Markus Braun, ehemaliger CEO der Wirecard AG und damit einer der Hauptakteure in einem der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Geschichte. Er wirkt selbstbewusst und siegessicher, denn seine Anwälte bauen eine Verteidigungslinie auf, die er selbst knapp verkündet: „Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen.“ Natürlich gilt für Braun die Unschuldsvermutung, doch Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor Strafe, schon gar keinen Geschäftsführer oder CEO. Auch wenn der Fall Wirecard sehr speziell und atypisch ist, es ist ein Mythos, zu glauben, dass eine Aussage à la „Damit habe ich nichts zu tun“ Geschäftsführer aus ihrer Haftung entlässt.

Mythos 1: Damit habe ich nichts zu tun

Eine von vielen Mythen und Mysterien rund um die Geschäftsführerhaftung. Daniela Huemer, Partnerin von Haslinger / Nagele Rechtsanwälte, hilft mit, diesen aufzuräumen. Zentral ist dabei, dass „die Geschäftsführer nicht für einen bestimmten Erfolg haften, aber für sorgfältiges Vorgehen“. Ist diese Sorgfaltspflicht nicht gegeben, kann die Haftung eintreten. Auch bei mehreren Geschäftsführern. „Viele glauben, bei der Bestellung von mehreren Geschäftsführern sei jeder nur für sein eigenes Handeln verantwortlich – das ist pauschal so nicht richtig. So sieht beispielsweise das GmbH-Gesetz explizit vor, dass Geschäftsführer zur ungeteilten Hand haften. Eine klare, auch tatsächlich gelebte Ressortverteilung unter den Geschäftsführern kann zwar helfen, das Haftungsrisiko zu reduzieren, schützt aber nicht zu 100 Prozent.“

Ex-Wirecard-CEO Markus Braun
Die Verteidigungs­linie von Ex-Wirecard-CEO Markus Braun – „Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen“ – steht auf dünnen Beinen.

Mythos 2: Rücktritt schützt vor Haftung

Geschäftsführer, die bei einer deutlichen Schieflage des Unternehmens dieses verlassen und stattdessen ahnungslose Nachfolger einsetzen, retten sich nicht ins vermeintliche Rettungsboot, wie die Expertin schildert. „Eine Rücktrittserklärung eines Geschäftsführers zur Unzeit kann schadenersatzrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“ Das Insolvenzrecht hat klare Regeln: „In bestimmten Konstellationen ist der Rücktritt des Geschäftsführers bei materieller Insolvenz des Unternehmens unzulässig. Auch sind die Geschäftsführer verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber binnen 60 Tagen nach Eintritt der Voraussetzungen der Insolvenz, den Insolvenzantrag zu stellen.“ Für einen neu hinzugekommenen Geschäftsführer gibt es keine „Schonfrist“, sprich: „Das heißt, die 60-Tage-Frist beginnt nicht mit der Bestellung neu zu laufen.“

Mythos 3: Prinzip Hoffnung

Eine ordentliche Finanzplanung bzw. -überwachung ist das A und O eines Geschäftsführers. Entscheidungen müssen sauber dokumentiert sein. Gerät das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten muss eine positive Fortbestehensprognose erstellt werden. „Es ist laufend zu prüfen, ob die Fortbestehensprognose noch haltbar und ein Soll-Ist-Vergleich zu den Prognosedaten notwendig ist.“ Ein „Weiterwurschteln‘“ nach dem Prinzip Hoffnung, „kann für den Geschäftsführer drastische Konsequenzen haben“, so Huemer.
 

Geschäftsführer haften nicht für einen bestimmten Erfolg, aber für sorgfältiges Vorgehen.

Daniela Huemer

Mythos 4: Mitarbeiter ist schuld

Selbstredend ist ein „Ausräumen der Gesellschaft kurz vor Insolvenzeröffnung“ nicht erlaubt. „Auch übersehen viele, wann ein Fall der ,verbotenen Einlagenrückgewähr‘ vorliegt; also fremdunübliche Geschäfte mit Nahebeziehungen abgeschlossen werden.“ Und es gelten auch keine Ausreden, etwa, dass ein Mitarbeiter an einem eventuellen Fiasko schuld sein soll: „Der Geschäftsführer hat eine Überwachungspflicht – er kann sich daher nicht auf das Verschulden eines nachrangigen Mitarbeiters berufen.“

Mythos 5: Ich konzentriere mich auf mein Kerngeschäft

Doch wie gut sind Geschäftsführer eigentlich auf ihre Tätigkeit, ihre Rechte und Pflichten vorbereitet? „Es kommt in der Praxis durchaus vor, dass sich Geschäftsführer hauptsächlich auf das ,Kerngeschäft‘ – den eigentlichen Betrieb des Unternehmens – konzentrieren und andere Geschäftsführeraufgaben vernachlässigt werden.“ Geschäftsführer sollten sich daher in ihre Rechte und Pflichten einlesen oder entsprechende rechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung einholen, um das „eigene Problembewusstsein zu fördern“. Fehlen dem Geschäftsführer die notwendigen Kenntnisse, so sind diese „durch Berater oder Sachverständige ,zuzukaufen‘, um hier bestmöglich als Geschäftsführer abgesichert zu sein.“

Rechtsanwältin Daniela Huemer
Expertin Daniela Huemer räumt mit Mythen und Mysterien rund um die Geschäftsführerhaftung auf.

Mythos 6: Jeder kann Geschäftsführer werden

Diese Frage lässt sich mit einem deutlichen „Ja“ und „Nein“ beantworten. „Für bestimmte Gewerbe sieht das Gesetz bereits vor, dass ein gewerberechtlicher Geschäftsführer einen Befähigungsnachweis zu erbringen hat – dies ist auch gut so. Ich denke, niemand möchte ein Hausdach von jemandem, der dies nicht gelernt hat.“ Eine Art Geschäftsführerausbildung könnte, so Huemer, per se keinen Rückschluss über das Können einer Person bieten. ‚„Ein top ausgebildeter Akademiker, der keinen Hausverstand besitzt, kann als Geschäftsführer ungeeignet sein.“ Huemer plädiert dennoch dafür, dass sich Entscheidungsträger regelmäßig fort- und weiterbilden.

Mythos 7: Ich bin dann mal weg

Was passiert, wenn Geschäftsführer ihre Tätigkeit beenden? Wie schon vorher ausgeführt, hat „eine Beendigung der Geschäftsführertätigkeit keinen Einfluss auf eine potenzielle Haftung für die bisherige Tätigkeit“. Es gibt klare Verjährungsregeln. „Die Verjährungsdauer richtet sich nach der Anspruchsgrundlage, weshalb keine generelle Aussage getroffen werden kann. Bei der GmbH verjähren Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer – bzw. Vorstandsmitglieder bei einer AG – nach fünf Jahren, ab Kenntnis von Schaden und Schädiger.“ Zivilrechtliche Ansprüche verjähren in der Regel nach drei Jahren. „Strafrechtliche Normen haben wiederum verschiedene Verjährungsfristen. Im Extremfall ist eine Anspruchsstellung auch noch bis 30 Jahre möglich.“
 

Der Geschäftsführer hat eine Überwachungspflicht - er kann sich daher nicht auf das Verschulden eines nachrangigen Mitarbeiters berufen.

Daniela Huemer

Mythos 8: Immer  in der Haftung?

Für Geschäftsführer gibt es, wie dargelegt, viele (Haftungs)Fallen. Wie können Geschäftsführer ihr Haftungsrisiko einschränken? Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. „Es gibt die Möglichkeit einer Ressortverteilung. Gegenüber der Gesellschaft selbst kann sich der Geschäftsführer durch die Einholung einer Weisung von den Gesellschaftern von seiner Haftung befreien. Unter gewissen Aspekten erscheint auch der Abschluss einer Haftpflichtversicherung durchaus sinnvoll.“ Diese gibt es auch für Cyberattacken, bei denen es zu einer Geschäftsführerhaftung kommen kann.
 

Mythos 9: Für Cyberattacken kann ich echt nichts dafür

Aktuell zieht eine Welle von Cyberattacken durchs Land. Drei von zehn oberösterreichischen Unternehmen haben bereits Bekanntschaft mit dieser Bedrohung gemacht. Die Frage, die bleibt: „Wer haftet dafür?“ Die Rechtslage ist nach wie vor dünn. Entscheider können dennoch mit ihrem Privatvermögen zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu gehört auch, dass laut DSGVO Artikel 33 eine solche Attacke, sobald der Schutz personenbedingter Daten gefährdet ist, „unverzüglich und möglichst binnen 72 Stunden“ gemeldet werden muss. Bedrohungen, die durch Homeoffice und Remote Work ständig steigen. Cyber Security gilt als eine „nicht delegierbare Chefsache“, wie die Deutsche Gesellschaft für Cybersicherheit (DGFC) berichtet. Ferdinand Grieger, CLO der DGFC, dazu: „Die Rechtslage ist eindeutig: Ist ein Unternehmen bei einem Hackerangriff nicht hinreichend abgesichert, haften hierfür sämtliche Führungsorgane.“ Absichern können sich Entscheidungsträger, indem sie ein abwehrfähiges Information-Security-Management-System nach anerkannten Standards etablieren. Verkompliziert wird die Materie, wenn das Unternehmen internationale Standorte betreibt. Dieses relativ neue Feld zeigt auf, dass sich Geschäftsführer neuen Themen und Trends nicht verschließen dürfen, läuft das Geschäft auch noch so gut. Platz für Mythen und Mysterien bleibt daher kaum. Wie dies im Landgericht München gesehen wird, bleibt abzuwarten.

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