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Philipp Wassenberg und Ronald Kraule von der Ergo Versicherung AG
Philipp Wassenberg, CEO, und Ronald Kraule, Vorstand, von der Ergo Versicherung AG (v. l.).
Philipp Wassenberg, CEO, und Ronald Kraule, Vorstand, von der Ergo Versicherung AG (v. l.).
Ergo Group

Ergo Versicherung: „Wir agieren wie ein Startup“

28.05.2021 um 10:00, Klaus Schobesberger
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Die Vorstände der Ergo Versicherung AG über Digitalisierung, Klima­wandel und die Kunst, in einem stark umkämpften Markt Kunden zu gewinnen.

CHEFINFO: Mehr als ein Jahr ohne die üblichen Kundenkontakte: Wie ist es Ihnen dabei ergangen?

Wassenberg: Es gibt seit vielen Jahren einen deutlichen Branchentrend punkto Digitalisierung hin zum Kunden. Corona wirkte dabei wie ein Brandbeschleuniger. Die beiden häufigsten Kundenkontakte – der Antrag beziehungsweise der Abschluss einer Polizze und die Schadensmeldung – konnten mit einer beispiellosen Geschwindigkeit digitalisiert werden. Aus Sicht der Versicherungen war das fast schon revolutionär, was im Frühjahr des vergangenen Jahres passiert ist. Wir bei Ergo haben schon vor der Pandemie viel für die Digitalisierung getan, wovon unser Vertrieb sehr profitiert hat.

CHEFINFO: Steht am Ende dieses Prozesses die Handy-App, über die dann alles ­laufen wird?

Wassenberg: Die Revolution wird nicht so dramatisch sein, wie viele denken. Das liegt daran, dass bei Verkaufsgeschäften von komplexeren Versicherungen die gesetzliche Regulierung Grenzen setzt. Wir müssen eine Beratung sicherstellen und diese dokumentieren. Was bleiben wird, ist die digitale Signatur. Diese wurde bei uns bereits vor der Pandemie vor rund eineinhalb Jahren eingeführt und erleichtert die Abläufe enorm, weil Polizzen elektronisch verschickt werden können.

Kraule: Die persönliche Beratung wird bei Lebensversicherungen als erklärbedürftiges Produkt immer einen Stellenwert haben. Während der Pandemie hat sich aber auch hier die Videoberatung vermehrt durchgesetzt. Makler und Agenten haben wendig und schnell reagiert, ­viele konnten ­Zuwachsraten von mehr als 50 Prozent erzielen, während klassische Vertriebsnetze wie ­Banken länger benötigten, sich auf die Situation einzustellen.

Wassenberg: Auch auf der Schaden­seite ist die Welt heute eine andere. Seit den großen Naturkatastrophen, wie etwa dem Hurrikan Katrina im Jahr 2005, findet Schadensbegutachtung in digitaler Form – zuerst durch Film- und Fotoaufnahmen von Flugzeugen aus, in den vergangenen fünf bis acht Jahren auch über Drohnen – statt. In Ländern mit wiederkehrenden Massenschäden wie in Australien ist das ein längst etabliertes Modell.

Zitat Ronald Kraule

CHEFINFO: Welche Rolle spielt der Klimawandel im Versicherungsalltag?

Wassenberg: In unseren Konzern-Genen ist das Thema fest verankert. Wir gehören ja zur Munich Re Gruppe, die als Rückversicherungsgesellschaft den Klimawandel und seine Folgen bereits seit mehr als vier Jahrzehnten erforscht und eine der weltweit umfangreichsten Datenbanken zur Analyse und Bewertung von Schäden aus Naturkatastrophen aufgebaut und auch bereits weitere ambitionierte Ziele verkündet hat. Österreich hat das Glück, dass es von Naturkatastrophen, wie wir sie von anderen Ländern kennen, verschont geblieben ist.

CHEFINFO: Welche Auswirkungen wird die Pandemie auf die Branche haben?

Wassenberg: Corona wirkt katalytisch. Die nicht innovativen Player werden weiter ins Abseits gedrängt, die innovativen gewinnen deutlich Marktanteil hinzu. Das Rennen macht, wer mit seinen Vertriebs- und Angebotsmodellen schneller und wendiger agiert.

CHEFINFO: Die Versicherungsbranche leidet nicht an einem Mangel an Wettbewerb, dennoch sind Sie heuer in den Bereich der privaten Krankenver­sicherung eingestiegen. Warum?

Kraule: Wir sind bei der Lebensversicherung ein etablierter Player. Bei der Krankenversicherung haben wir uns auf Nischen wie Zahnersatzversicherung und Sonderklasse nach Unfall fokussiert. Warum? Die Österreichinnen und Österreicher legen einen besonderen Wert auf schöne Zähne. Beide Produkte sind online abschlussfähig und Kunden müssen keine Gesundheitsfragen ausfüllen. Speziell ist auch, dass die Zahnersatzversicherung bei keinem anderen Versicherer als eigenständiges Produkt enthalten ist. Wir sind in diesem Bereich gut unterwegs. Die Dunkelverarbeitungsquote, also die automatisierte Bearbeitung von Geschäftsvorfällen, die ohne Sachbearbeiter auskommt, liegt in manchen Vertriebskanälen der Krankenversicherung bei 95 Prozent.

Wassenberg: Wir agieren im Krankenversicherungsmarkt wie ein Startup. Unabhängig von unserer Legacy oder jener anderer Versicherer. Wir gehen ganz bewusst den Weg, den auch junge Startups gehen. Gesucht werden Nischen, die cool, jung und dynamisch sind. Wir sind nicht an einem Verdrängungswettbewerb interessiert, sondern wir wollen uns unseren eigenen Markt bewirtschaften und unsere eigene Innovation unter Beweis stellen.

Zitat Philipp Wassenberg

CHEFINFO: Ist die klassische Lebensversicherung ein Auslaufmodell?

Kraule: Auslaufmodell würde ich nicht sagen. Es gibt nach wie vor Kunden mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis. Aber sie verliert aufgrund der Niedrigzinspolitik an Attraktivität. Ich bin seit jeher ein Freund der fondsgebundenen Lebensversicherung. Dementsprechend haben wir das Angebot verbreitert. Jeder Fonds wird quartalsweise geratet, wodurch Kunden immer gut informiert sind. Der Transfer von der klassischen zur fondsgebundenen Lebensversicherung wurde vor fünf Jahren eingeleitet – mit sehr gutem Erfolg. Während der Gesamtmarkt im Vorjahr stark rück­läufig war, haben wir beim abschluss­getriebenen Neugeschäft einen Zuwachs von fünf Prozent erzielt.

CHEFINFO: Sie haben die Strategie angepasst. Welche Rolle spielt Österreich in der Ergo Group?

Wassenberg: Die Ergo Group hat sich in den vergangenen fünf Jahren von einigen Märkten getrennt – darunter Tschechien, der Slowakei, Slowenien und ­Kroatien –, um sich nur noch auf klar definierte Kernmärkte zu fokussieren, zu denen auch Österreich zählt. Gleichzeitig wird in drei asiatischen Ländern stark expandiert, nämlich in China, Indien und Thailand. In Österreich durchlaufen wir gerade eine Repositionierung, indem wir zum Multikanalversicherer werden, Wert auf weitere Vertriebskanäle legen und mehr beim Endkunden sind.

 

ÜBER DIE ERGO GROUP

Die österreichische Ergo Versicherung AG erwirtschaftete 2020 ein Prämienvolumen von 516,5 Mio. Euro (–3,5 %) und beschäftigt rund 600 Mitarbeiter. Bilanzgewinn: 11,2  Mio. Euro (–23,4). Schwerpunkte sind Lebensversicherung ­(Prämienanteil 79,9 %), Schaden / Unfall (20,1 %) und seit 2021 neu die Krankenversicherung. Haupt-Vertriebspartner sind UniCredit Bank ­Austria und Volksbanken. Die Ergo Versicherung AG ist Teil der Ergo Group mit Sitz in Düsseldorf (18,5 Mrd. Euro Prämienvolumen, 26.400 Mitarbeiter), die in rund 30 Ländern in Europa und Asien tätig ist. Eigentümerin der Ergo Group ist die Munich Re, einer der größten Rückversicherer der Welt.

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