Der stille Riese an der Donau
Inhalt
- David kauft Goliath
- „Neuer Markt“: vom Boom zum Bumm.
- Kurzzeitpensionär
- David kauft Goliath 2.0
- Alles kommuniziert mit allem
- „Unhackbares“ Betriebssystem?
Oft ist es Unbekümmertheit, die so manchen großen Businessplan schlägt. So wie im Fall von Hannes Niederhauser. Es ist das Jahr 2000, als der gebürtige Linzer, der damals ein Startup in München betreibt, davon hört, dass die Kontron geschlossen werden soll. „Die Kontron“ war ein Unternehmen, das 1959 im Bereich Medizintechnik in der Schweiz gegründet wurde und 1962 nach Deutschland ging. 1990 wurde es an BMW verkauft. „Es gab damals ein Match zwischen BMW und Mercedes-Benz um den integrierten Technologiekonzern. Mercedes kaufte die AEG, BMW setzte auf Kontron“, so Niederhauser. Die Strategie der Autoriesen scheiterte und so entschied sich BMW, nachdem mehrere Abteilungen bereits verkauft wurden, schließlich den Kern mit 200 Mitarbeitern, 80 Millionen DM Umsatz und der Konzentration auf industrielle Steuerungen zuzusperren.
David kauft Goliath
Niederhauser witterte eine Chance. „Ich kannte ein paar Kontron-Manager und bin vorstellig geworden. Ich hatte damals 20 Mio. Umsatz und ein Zehntel der Mitarbeiter.“ Keine gute Ausgangslage und dennoch überzeugte er den Autobauer: „Ihr habt Schließungskosten von 60 Millionen DM und Euer Betriebsrat macht Probleme. Es ist also günstiger, es an mich zu verkaufen.“ Das saß. Der gebürtige Linzer kaufte die Kontron um eine Million DM. „Ich hatte aber kein Geld, die Löhne für das nächste Monat zu bezahlen, also hab ich zu BMW gesagt: ‚Wenn es an die Wand fährt, habt ihr schlechte Presse, also leiht mir Geld.‘“ Auch diese Pille schluckte BMW. Statt an die Wand zu fahren, hob die „neue“ Kontron aber regelrecht ab. „Die Produkte waren interessant, wir waren das Gegenstück zu Wintel (Anm.: eine Kooperation aus Windows und Intel) und wir hatten ein eigenes Betriebssystem namens KOS.“ Technologie, die auf ein perfektes Marktumfeld traf. „SPS-Steuerungen von Siemens waren schwierig und aufwendig zu programmieren. Wir konnten das in Hochsprache.“
„Neuer Markt“: vom Boom zum Bumm.
Ein Jahr später ging Kontron an die Börse. „Der Kurs ging durch die Decke. Wir waren, wie alle Unternehmen des neuen Markts, extrem hoch bewertet.“ Doch der „neue Markt“ schaute bald ganz schön alt aus und crashte. „Die Kontron war weniger wert als das Cash, das wir hatten.“ Niederhauser nutzte diese Flaute geschickt. „Ich habe bei einem Kurs von zwei Euro alles gekauft, was ich bekommen konnte und habe dafür sogar mein Haus verpfändet.“ Das zahlte sich aus. „Das Unternehmen verdiente immer gutes Geld. Wir haben nie Geld verloren.“ Dazu kam 2007/08 die Weltmarktführerschaft bei Industriesteuerungen. „An der Börse gab es immer ein Auf und Ab, aber die Gewinne gingen kontinuierlich nach oben.“ Zu dieser Zeit entschloss Niederhauser, seine Anteile zu verkaufen und „in Pension“ zu gehen. „Meine beide Kinder wurden geboren und ich wollte wieder zurück nach Österreich.“
Kurzzeitpensionär
Hannes Niederhauser genoss seine „Pension“ nur bedingt. „Ich war drei Monate zu Hause und saß um 11 Uhr Vormittag mit einer Flasche Rotwein vor dem Fernseher, um Fußball zu schauen.“ Als er dann in der Garage 40 Limonadenkisten fand und brüllte: „Die Lagererhaltungskosten bringen uns um“, war es klar: Er brauchte wieder eine Aufgabe – und die fand er in der Gericom, einem Linzer Notebook-Hersteller. Niederhauser kam in den Aufsichtsrat und es kam zum Eklat. „Das endete alles vor Gericht.“ Und mit einem Vergleich. „Ich habe alle Anteile gekauft.“ Aus Gericom wurde Quanmax, dazu wurde chiligreen gekauft. „Dann konnte ich wieder machen, was ich wollte, nämlich Computer für Maschinen zu bauen und vor allem Firewalls für diese Maschinen.“
David kauft Goliath 2.0
Währenddessen ging in Wien die S&T pleite. „PwC hatte einen Verkaufsauftrag. Die S&T hatte zu jener Zeit 250 Mio. Euro Umsatz, unsere Quanmax 80 Mio.“ Damaliger Mitbieter war der Linzer Sanierer Erhard Grossnigg. „Die S&T war zu teuer für mich und ich wollte mich nicht mit Grossnigg anlegen, also ging ich zu ihm und startete eine Präsentation. Ich war bei Seite drei von 16 und er meinte: ‚Machen wir.‘ Wir kauften also gemeinsam die S&T und verschmolzen sie mit der Quanmax.“ Das Geschäftsfeld „Firewalls für Maschinen“ boomte und ließ die S&T weiter wachsen. „Niemand will, dass Maschinen gekapert werden.“ Während es mit der S&T wieder aufwärtsging, ging es in München bei seinem Ex-Unternehmen Kontron steil bergab. „Ich nahm Kontakt zu den Besitzern, zwei Equity-Fonds, auf, ob sie mir die Kontron verkaufen würden. Doch sie redeten kein Wort mit mir. Sie verhandelten mit Foxconn über eine Übernahme.“ Und wieder schlägt Niederhausers Unbekümmertheit zu. Er machte sich auf nach Shanghai und schlug Foxconn ein Geschäft vor: „Ihr gebt Geld in die S&T und die S&T kauft die Kontron.“ Der Plan ging tatsächlich auf. „Das ist wahrscheinlich eine Stärke von uns Österreichern, dass wir nicht immer streiten und kämpfen, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten.“ Der Deal ging 2017 über die Bühne. „Kontron kam in Schwierigkeiten, weil ein Technologieunternehmen auch technologisch geführt werden muss.“ Das tat Niederhauser wieder und es begann eine Phase des stürmischen Wachstums. 2022 wurde der Name „S&T“ abgelegt und die Strategie „Volle Konzentration aufs Kerngeschäft“ konsequent umgesetzt. Mittlerweile macht der Konzern 1,8 Milliarden Euro Umsatz.
Alles kommuniziert mit allem
Doch was ist dieses Kerngeschäft eigentlich? „Wir sind etwa Weltmarktführer für Datenverbindungen bei Hochgeschwindigkeitszügen.“ Die Hälfte aller Linien in Europa ist mit Kontron-Technologie ausgestattet. Damit lassen sich Züge fernsteuern, statt Ampeln und Verkehrsschilder regieren nun Daten und GPS. „Wir haben einen neuen Standard mit einer richtig großen Bandbreite etabliert und sind die Einzigen, die das können.“ Außerdem stellt Kontron NAT-Verbindungen von Autos zu Servern her, um autonomes Fahren zu ermöglichen. „Es geht um Echtzeitdaten.“ Verkehrszeichen werden obsolet. „Es gibt nur sechs Anbieter auf der Welt, die das können: Vier kommen aus China, einer aus Korea und einer sind wir.“ Zum Portfolio gehört auch HEMS (Home Energy Management System). „Man kann die Kollektorfläche auf seinem Dach verdoppeln oder Hirnschmalz reinstecken, es kommt dasselbe dabei raus. Es darf keine Netzgebühren auslösen und ich verwende den Strom dann, wenn er billig ist.“ Kontron bekam dafür den größten Auftrag für Ladestationen von VW. „Auto laden kann jeder, aber die Batterie ist diffizil. Wir verbinden ein Auto zentral mit dem VW-Server. Das kann die Batterie heilen.“ Werden E-Autobatterien mit Spitzen von ein paar 100 Ampere geladen, werden sie mit Ionen-Schlamm verstopft. Das intelligente Kontron-System kann zudem billigen Strom so nutzen, dass VW selbst sagt, „dass man fast gratis tanken kann“. Auch in der Militärtechnik stecken Innovationen von Kontron. „Wir liefern VPX, das schnellste Kommunikationssystem für Militärtechnik, mit Encryption und Verschlüsselung.“ Fazit: Kontron lässt alles mit allem kommunizieren, etwa im Flugzeug: „Wenn FlyNet, also Internet im Flugzeug, draufsteht, dann steckt unserer Technologie drin.“
„Unhackbares“ Betriebssystem?
Die hohen Sicherheitsstandards haben etwas mit dem alten Betriebssystem KOS zu tun. „Wir lassen das in IoT-Netzwerken wiederauferstehen, denn ich behaupte, dass unser KOS unhackbar ist.“ Während andere Systeme bis zu 50 verschiedene ausgelagerte Sharepoints haben, hat KOS nur einen „Eingang“, der sich beliebig kaskadieren lässt. „Damit können wir problemlos 10.000 Schweißroboter zusammenschalten oder Maschinen aus dem Netzwerk heraus mit höchster Sicherheit updaten. Ich muss also nicht – bildlich gesprochen – mit dem USB-Stick aufs Windrad.“ Das alles macht ein Konzern fast im Verborgenen: „Kontron kennt kein Mensch, weil es nirgendwo draufsteht, aber es ist überall drin“, meint Niederhauser und ergänzt: „Wenn Kontron nicht funktioniert, dann steht die Welt und das meine ich auch so.“