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Das Welser Autohaus Leeb gehört zu den größten des Landes.
Das Welser Autohaus Leeb gehört zu den größten des Landes.
© AUTO LEEB

Autohandel: AUTOkratie statt AUTOnomie?

26.02.2024 um 12:49, Jürgen Philipp
min read
Fast 126 Jahre lang funktionierte das Geschäftsmodell des Autohandels weltweit gleich. Nun wird es komplett auf den Kopf gestellt.

Wertheim in Baden-Württemberg. Rund 50 Kilometer westlich von Würzburg liegt das 24.000-Einwohner-Städtchen mit einem Kloster, einer Burg und Weinwanderwegen. 1898, nur zwölf Jahre nachdem Carl Benz seinen Motorwagen patentieren ließ, gründete ebendort Georg Ebert das erste Autohaus der Welt und er begründete damit ein Geschäftsmodell, das bis vor Kurzem daraus bestand, Autos vom Hersteller zu kaufen, um sie dann an Kunden weiterzuverkaufen – samt dem jahrzehntelang beliebten Volkssport „Rabattverhandlungen“. Das ändert sich nun radikal.


Vom Händler zum „Agenten“
Fast alle großen Hersteller diskutieren derzeit ein Agentursystem bzw. führen und führten es bereits ein. Die Händler werden damit zu Vermittlern der Autos, zu „Agenten“. Sie verdienen, je nach System, für jedes verkaufte Auto eine fixe Prämie. Die Fahrzeuge werden ihnen vom Importeur zur Verfügung gestellt. Autos gibt es zum Fixpreis. Händler müssen damit auch keine Lager mehr anlegen. Das klingt vordergründig nach einem Vorteil. Doris Seipl, Geschäftsführerin des Autohauses Seipl in Leonding, sieht das skeptisch, auch wenn sie mit ihren Marken (Land Rover, Jaguar, Hyundai, MG) davon noch nicht betroffen ist: „Wir sind von unserem Naturell her Unternehmer. Ich fände es schade, wenn uns diese unternehmerische Freiheit genommen wird. Doch wir müssen es nehmen, wie es kommt, und haben kein Mitspracherecht mehr. Auch wenn das Wegfallen des Lagerrisikos ein Plus sein mag, ich bin lieber Unternehmerin.“

 

1898

Hersteller reduzieren Verkaufsstellen
Stefan Leeb, Geschäftsführer des Autohauses Leeb in Wels mit seinen Stellantis-Marken (Opel, FIAT, Jeep, Peugeot, Citroën, DS, Abarth), kennt das Agentursystem seit Sommer 2023. „Grundsätzlich ist Agentursystem nicht gleich Agentursystem. Die Systeme sind verschieden. Beim BMW, Mini oder Mercedes fakturieren die Hersteller die Autos selber. Der Händler ist nur noch Vermittler. Das Stellantis-System ist anders. Nach der Fair Price Strategy gilt zwar in allen Verkaufsstellen derselbe Preis, das Fahrzeug wird aber über den Händler fakturiert.“ Das muss kein Vorteil sein, denn somit bleibt der Umsatz hoch – und nach dem richten sich einige Abgaben, etwa Umlagen. „Die Margen sind klar definiert.“ Leeb, der eines der größten Autohäuser Österreichs führt, sieht kleinere Händler im Vorteil. „Wir konnten durch hohe Stückzahlen günstiger einkaufen. Das fällt nun weg.“ Kleinere Händler sind jedoch deutlich gefährdeter, einen Liefervertrag zu verlieren. Der Stellantis-Konzern etwa hat in Österreich die Zahl der Point of Sales von 600 auf 200 reduziert. Stefan Leeb führt aber ein ähnliches Argument ins Feld wie Doris Seipl – das Wegfallen des freien Unternehmertums. „Der Druck, den der Händler hat, um Lagerfahrzeuge oder Vorführwagen zu verkaufen, fällt weg, weil es nicht mehr unsere Autos sind. Es ist also ein Unterschied, ob der Händler in der Verantwortung und im Risiko ist.“

Ein Auto im Amazon-Warenkorb?
Welches Agentursystem auch immer kommen wird, es ist definitiv die größte Revolution eines tradierten Geschäftsmodells. Teslas etwa sind nur noch online zu kaufen. Hyundai – eine Marke, die Doris Seipl im Programm hat – will im April 2024 in den USA Autos via Amazon verkaufen. Das ist hierzulande noch kein Thema: „Unser Hyundai-Importeur hat sich ganz deutlich für den stationären Handel ausgesprochen. Ich hoffe generell, dass man da zurückrudert. Speziell bei unseren Premium-Marken Land Rover und Jaguar sehe ich das persönliche Gespräch als essenziell an. Unser Geschäftsmodell steht und fällt mit dem Kunden. Ich bin ein schwerer Fan von stationärem Handel und möchte auch nicht, dass in der Innenstadt einmal die Lichter ausgehen.“ Stefan Leeb kennt das Onlinegeschäft bei Auto-Abos. Er gründete mit Kollegen die ocay Auto-Abo GmbH, die ihre Abo-Fahrzeuge digital verkauft. „Wir haben ca. 1.000 solcher Fahrzeuge auf der Straße, davon sind 650 Privatkunden. Die brauchen trotzdem mehr Beratung als im B2B-Bereich.“ Mittlerweile ist ocay – nach Vibe – die Nummer zwei am Markt. „Leasing oder Kauf werden Abos aber nie ersetzen können.“

 

Doris Seipl
Doris Seipl sitzt seit 1995 im Familienbetrieb am Steuer. Einen derartigen Umbruch in der Branche hat sie bisher noch nie erlebt.

Comeback der Verbrenner?
Vibe setzt rein auf E-Mobilität, die schon bessere Zeiten erlebt hat. Mit der Streichung von Förderungen bremst sich der Verkauf von Stromern deutlich ein. Leeb: „Im gewerblichen Umfeld ist das E-Auto durch den Wegfall des Sachbezugs nicht nur populär, sondern wird von den Mitarbeitern sogar eingefordert. Sollte dieses Privileg fallen, könnte das zu einem Problem werden.“ Doris Seipl sieht das ähnlich: „Durch den Wegfall der Förderungen zeigt sich eine ­gewisse noble Zurückhaltung am Markt. Der Verbrenner ist wieder in aller Munde.“ Seipl sieht ein Comeback kommen. „Wir haben mit MG eine Marke, die gänzlich auf Elektromobilität setzen wollte. Jetzt sehen wir, dass der neue MG 3 ab Mai als Mildhybrid und gegen Ende des Jahres sogar als Benziner kommt. E-Mobilität ist eben ein Subventionsmarkt. Bei Kundengesprächen war der Verbrenner noch vor ein paar Monaten tabu, jetzt dreht sich das.“

Bleierne E-Autos am Gebrauchtwagenmarkt?
Der rasante Fortschritt bei E-Autos wirkt sich auf den „Secondhandmarkt“ aus. Sobald die Garantie für die Batterie ausläuft, könnten gebrauchte E-Autos zum Problem werden. „Alte Verbrenner konnten wir so lange verkaufen, so lange sie straßentauglich waren.“ Lief das „Pickerl“ ab, gab es noch immer Abnehmer in Osteuropa. Der Gebrauchtwagenmarkt steht generell unter Druck. Auch hier kommen verschiedene Agentursysteme zum Tragen. Nehmen manche Hersteller die Autos wieder zurück, dürfen bei anderen Systemen die Händler diese selbst verwerten. Stellantis wählte einen Mittelweg. „Wir können alleine über das Gebrauchtwagengeschäft verfügen, haben aber gleichzeitig die Möglichkeit, Gebrauchte zurückzugeben, eine faire Lösung.“ Waren die Coronajahre für den Gebrauchtwagenmarkt noch ein „Lottogewinn“, wie Leeb meint, zeigt sich nun die Kehrseite der Medaille: „Seit dem zweiten Quartal 2023 ist es schwieriger geworden. Wir verlieren derzeit einiges an Geld bei jungen Gebrauchten, die aus großen Buy-Back-Geschäften stammen.“ Die Preise waren in den Pandemiezeiten hoch, die Gebrauchtwagenplätze leer gefegt. Mittlerweile sinken Preise für Neue und Gebrauchte wieder. „Bei einem privaten Eintausch ist das kein Problem, da gilt der aktuelle Marktwert. Bei großen Firmengeschäften mit Rücknahmevereinbarungen ist der Restwert zu hoch. Banal gesagt: Den Mehrwert, den wir 2021/2022 erwirtschaftet haben, zahlen wir jetzt wieder zurück.“

 

Autohändler
Autohändler werden zu Autovermittlern, zu "Agenten".

Tablet statt Drehmomentschlüssel?
Dazu kommen Umbrüche im Werkstattgeschäft, das selbst bei der enormen Transformation hin zum Agenten den bisherigen Händlern bleiben sollte. „Die Karosserieabteilung oder die Rädereinlagerung werden zunehmend wichtiger. Doch die klassische Reparatur und der Service werden durch die E-Mobilität weniger zum Geschäft. Bei den ersten MG-Kunden, die zu uns zum Service kommen, backen wir deutlich kleinere Brötchen“, so Seipl. Sie stellt daher Überlegungen an, auf Perspektive auch Batteriereparaturen anzubieten. Das stellt die Branche vor eine weitere Herausforderung, denn die Mobilitätswende benötigt passende Qualifikationen. „Wir bräuchten junge motivierte Elektroniker und Mechatroniker.“ Qualifikationen, die am Arbeitsmarkt rar gesät sind. Ölverschmierte Arbeitskleidung könnte durch CSI-Anzüge ersetzt werden, das Tablet Vergaser-Schraubendreher substituieren.

Konkurrenz süßsauer
Und noch ein Gamechanger mischt den Autohandel derzeit auf: neue Marken aus China. Sowohl Doris Seipl (MG) als auch Stefan Leeb (Maxus Nutzfahrzeuge) haben solche Autos im Programm. Sind die Kunden dafür bereit? „MG hat einen großen Vorteil, der für uns entscheidend war. MG wirbt mit ,Born in Britain‘. Design- und Marketingabteilung sitzen in London und man überlegt, eine Produktion in Europa aufzubauen. Die britische Identität und das Know-how der Chinesen sind eine optimale Kombination. Für uns ist MG ein sehr guter und fairer Partner.“ Vorbehalte gegen chinesische Marken sieht Seipl daher nicht: „Man muss das global sehen. Bei einem iPhone hat auch niemand etwas dagegen, dass es Teile aus China beinhaltet bzw. dort auch produziert wird.“ Stefan Leeb sieht das anders: „Ich persönlich empfinde diese Welle schon als Bedrohung für meine Marken. Als ich ein kleiner Bub war, rollten die ersten Japaner nach Europa, nur waren sie technisch einige Jahre hinten. Als die Japaner am Stand der Europäer waren, kamen die Koreaner, und auch die waren damals weit zurück. Die Chinesen kommen jetzt am Stand der Technik und sind im Thema Antrieb vielleicht sogar leicht überlegen. Sie werden durch attraktive Preise eher im Teich unserer Marken fischen.“ Doch Leeb sieht bereits gute Ansätze bei seinen Stellantis-Marken. „Citroën geht da in die richtige Richtung und bringt mit dem e-C3 das günstigste Elektro­auto auf den Markt. Man reagiert damit auf die drohende Konkurrenz aus Fernost, denn wenn die technischen Daten gleich sind, glaube ich immer noch, dass man mit europäischen Produkten Oberwasser hat.“ Und noch einen Vorteil der Europäer sieht Leeb. „Die Individualisierungsmöglichkeiten sind bei chinesischen Autos weitaus geringer als bei Europäern. Sie unterscheiden sich fast nur in der Farbe.“

 

Stefan Leeb
Stefan Leeb führt in Wels eines der größten Autohäuser Österreichs. Die Transformation des Handels hat bei ihm schon längst begonnen.

Blick ins Autoglas-Kugellager
Der überwiegend größte Teil der Autohändler wird Doris Seipl und Stefan Leeb bei ihrer Einschätzung der aktuellen Lage beipflichten. Wie es mit der Branche aber langfristig weitergeht, darüber lässt sich nur spekulieren. Seipl: „Da wage ich keine Prognose abzugeben. Individuelle Mobilität ist wichtig und es wird kein Weg an ihr vorbeiführen. Doch man muss wachsam sein, muss die Ohren spitzen. Wer wendig und flexibel bleibt, den wird es mittel- und langfristig noch geben.“ Der generelle gesellschaftliche Wandel und neue Generationen beeinflussen diese Entwicklung, wie Stefan Leeb denkt: „Das Auto nimmt an Stellenwert ab. Für junge Menschen, die ein Auto brauchen, stehen die Marke und das Markenimage nicht mehr im Vordergrund.“ Generell, so Leeb, bekommen Autos immer mehr einen negativen Touch. „Es wird immer mehr zu einem bloßen Gebrauchsgegenstand und einen solchen kann man auch online kaufen“, ob in Leonding, Wels oder in baden-württembergischen Städtchen Wertheim.

 

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