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Romain Saïss und Hakim Zyiech feiern den Einzug ins Viertelfinale
Romain Saïss und Hakim Zyiech feiern den Einzug ins Viertelfinale
Dylan Martinez / reuters / picturedesk.com

So viel Weltmeister-Potenzial steckt in Marokko

07.12.2022 um 12:30, Philipp Eitzinger
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Belgien besiegt, gegen Kroatien nicht verloren, Spanien und Portugal eliminiert! Marokko spielt eine bärenstarke WM, steht als erste afrikanische Mannschaft in einem Halbfinale. Ist womöglich sogar der WM-Titel möglich?

Die Experten des britischen "Guardian" waren sich vor dem Match einig: Marokko wird Spanien eliminieren! Und genauso kam es auch. Nach Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 steht nun Marokko als viertes afrikanisches Land in einem WM-Viertelfinale. Die drei Vorgänger haben knapp verloren – Kamerun (gegen England) und Senegal (gegen die Türkei) nach Verlängerung, Ghana (gegen Uruguay) im Elfmeterschießen.

Was spricht dafür, dass es Marokko im Viertelfinale gegen Portugal – und darüber hinaus – besser macht, womöglich sogar Weltmeister werden kann?

Kein Durchkommen für Gegner

Der Eindruck war in allen vier Spielen gleich: Marokkos Gegner haben es wahnsinnig schwer, überhaupt in die Nähe des marokkanischen Tores zu gelangen. Die Zahlen untermauern das, tatsächlich hat keines der anderen 31 Teams in der Nähe des eigenen Strafraums so wenige gegnerische Pässe zugelassen. Besonders deutlich wurde das eben im Achtelfinale gegen Spanien, als die Spanier 120 Minuten lang zumeist vergeblich versuchten, durch den Riegel durchzukommen.

Erstaunlich, aber wahr: In den letzten sieben Spielen ist es keinem einzigen Gegner gelungen, gegen Marokko zu treffen. Das einzige Gegentor war ein Eigentor.

Zugegeben, das ist für Freunde des Spektakels nicht gerade attraktiv - die 36,9 Prozent Ballbesitz bedeuteten in der Gruppenphase Platz 28 unter 32 Teams bei der WM und gegen Spanien waren es gerade mal 24,4 Prozent. Marokko ist der einzige der acht Viertelfinalisten, die über das ganze Turnier gesehen weniger als 50 Prozent Ballbesitz hatten.

Sie haben aber definitiv das Maximum daraus gemacht.

Spieler der Top-Kategorie

Die Außenverteidiger spielen bei Paris St. Germain (Hakimi) und Bayern München (Mazraoui), Torhüter Bounou und Stürmer En-Nesyri bei Sevilla, Flügel-Trickser Ziyech bei Chelsea. Sechser Amrabat organisiert das taktisch sehr anspruchsvolle Spiel der Fiorentina in Italien und Abwehr-Boss Saiss ist es von Beşiktaş gewohnt, unter hohem Erwartungsdruck zu spielen.

Selbst zahlreiche europäische Teams sind nicht auf so breiter Basis bei Top-Klubs vertreten. Zudem ist die Truppe extrem eingespielt: In drei der vier Matches begannen die selben elf Spieler, nur einmal durfte ein einziger andere Spieler beginnen.

Große Investitionen

Marokko hat in den letzten Jahren Millionen in die fußballerische Infrastruktur investiert: Das modernste Trainingszentrum am ganzen Kontinent, massiver Ausbau der sportmedizinischen Möglichkeiten und vieles mehr. Marokko berwarb sich (erfolglos) um die Ausrichtung der WM 2026, die Möglichkeiten haben absolut europäischen Standard erreicht - und etwa die Uralt-Anlagen des ÖFB um Lichtjahre hinter sich gelassen. Damit ist man - anders als etwa Algerien, der Senegal oder auch Kamerun - nicht mehr darauf angewiesen, dass sich französische Auswandererkinder mit afrikanischen Wurzeln für Marokko entscheiden, sondern kann seine Talente selbst auf hohem Niveau ausbilden.

Damit soll sichergestellt sein, dass die starke WM 2022 keine Eintagsfliege bleibt, wie das bei Kamerun, dem Senegal und Ghana der Fall war.

Auf der Erfolgswelle

Wydad Casablanca hat zuletzt die afrikanische Champions League gewonnen, Trainer Walid Regragui wurde prompt zum Teamchef befördert. Marokkos Frauen wurden im Sommer vor rund 50.000 begeisterten Fans überraschend Afrika-Meister. Und nun haben Marokkos Männer mit sieben Punkten die beste Gruppenphase gespielt, die jemals einer afrikanischen Mannschaft bei einer WM gelungen ist, gefolgt vom Coup gegen Spanien.

Zudem herrscht lockere Stimmung, Teamchef Regragui erlaubte den Familien der Kicker, ins Team-Camp zu kommen. Die positive Stimmung, die strategische Arbeit und die Nichts-zu-verlieren-Mentalität erinnern frappant an Dänemark 1992 - dem damaligen Überraschungs-Europameister...

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