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Die Macht der Angst

14.09.2021 um 14:27, Alexandra Nagiller
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Angst vor Corona, vor Impfschäden, vor dem Klimawandel – und Angst vor noch so vielem mehr. Man möchte fast meinen, wir fürchten uns aktuell „zu Tode“. Doch warum ist das so? Und ist unsere Welt tatsächlich so erschreckend?

Panikattacken, Phobien und Depressionen – noch nie waren so viele Menschen von Angststörungen betroffen wie heute. Die Pandemie samt den Corona-Maßnahmen scheinen dabei fast wie Brandbeschleuniger zu wirken. Experten schätzen, dass in Österreich 16 Prozent der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Angstkrankheit leiden. Frauen sind deutlich häufiger betroffen, aber auch Kinder und Jugendliche leiden zunehmend unter der psychischen Belastung. Die Lockdown- Maßnahmen, die Isolation und das Fehlen sozialer Kontakte haben ihnen besonders zugesetzt. Eine Studie der Donau-Universität Krems ergab, dass rund die Hälfte der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren für sich Zeichen der Depression und Angst beschreibt, fünfmal mehr als vor der Pandemie.

Der Ursprung

Doch wie entsteht überhaupt Angst? In riskanten oder als riskant empfundenen Situationen schütten die Nebennieren die Hormone Noradrenalin und Adrenalin aus. Das Herz schlägt schneller und das Blut bindet mehr Sauerstoff. Der Körper ist dadurch besser in der Lage, sich zu verteidigen oder zu flüchten. Per se ist Angst also nichts schlechtes, wie Psychiater und Autor Reinhard Haller bestätigt: „Angst ist eine wichtige menschliche Reaktion, die primär eine Schutzfunktion erfüllt. Ein Problem ist diese erst, wenn sie einen großen Teil des Lebens bestimmt bzw. das Leben einschränkt.“

Die Monster im Kopf

Eine besonders starke Ausprägung ist die Phobie. Rund zehn Prozent der Bevölkerung leiden daran. Experten verstehen darunter eine dauerhafte, unverhältnismäßige Furcht vor bestimmten Objekten oder Situationen. Besonders häufig ist die panische Angst vor Spinnen, Schlangen oder Höhen. Oft ist sie dabei so stark, dass die Betroffenen in ihrem Leben beeinträchtigt werden: Das Herz rast, die Hände zittern, der Magen rebelliert – man ist wie paralysiert.

Angst macht krank

Solche Symptome kennen allerdings nicht nur Angstpatienten.    Fakt ist, dass Angst und der resultierende Stress krank machen. Studien belegen sogar, dass negativer Dauerstress uns ganze vier Lebensjahre kostet. Was richtet also die aktuelle Unsicherheit erst bei den Kindern und Jugendlichen an? „Diese sind natürlich stark betroffen. Ich denke aber, dass alte und einsame Menschen sowie psychisch Kranke noch viel mehr leiden. Wir trauen unseren Kindern zu wenig zu – diese sind viel resistenter als wir meinen. Unsere Eltern und Großeltern, die Kriegsgeneration, ist auch recht gut über diese Zeit hinweg gekommen“, so Haller.

 

Gesunde Angst hat ihre Grenzen:  Viele blocken dann ab und verweigern z.B. die Coronaregeln.

Politik mit der Angst

Angst sorgt auch dafür, dass Rationalität in den Hintergrund tritt – und ist als Emotion auch ein gerne genutztes Instrument der Politik, wie Politologe Peter Filzmaier bestätigt: „Das funktioniert in einer immer komplizierteren und komplexeren Welt immer besser. Denn wenn wir Zusammenhänge nicht oder nur teilweise verstehen, macht uns das Angst. Da steigt die Sehnsucht nach scheinbar einfachen Lösungen. Diese verkünden Populisten, wenn sie zum Beispiel sagen, man kann sich mit viel Zeit an der frischen Luft ausreichend vor Corona schützen. Oder dass jeder einen Job und ein höheres Einkommen hätte, wenn die ,Ausländer raus' wären. Dass ein solches Gerede des Populismus nichts als heiße Luft ist, das merken viele erst viel später als schmerzvolle Erfahrung.“  


Corona als Katalysator

Ist unsere Welt nun also viel erschreckender? Nein, sagt Reinhard Haller und erklärt diesen Eindruck folgendermaßen: „Gerade seit dem Start der Corona-Pandemie herrscht Unsicherheit in vielen Bereichen des Lebens. Und genau dann ist die Angst am größten: wenn man nicht weiß, woher genau die Bedrohung kommt und was sie bedeutet. Kaum etwas ist z.B. so angsteinflößend für ein Kind wie der Schwarze Mann“, so Haller. Auch Filzmaier sieht das ähnich: „Natürlich ist die Corona-Pandemie eine Ausnahmesituation, in der Angst eine natürliche Emotion ist. Doch ich halte es für ein Schönreden der Vergangenheit, dass früher nicht beispielsweise in Wahlkämpfen mindestens genauso viel Angst gemacht worden ist. Berühmt-berüchtigt wurde etwa in den sechziger Jahren der Daisy Girl-Fernsehspot. Damals pflückte ein kleines Mädchen Gänseblümchen – bis im Hintergrund eine Atombombe explodiert.“


Reale Ängste

Impfverweigerer seien laut Haller übrigens besonders anfällig für Verschwörungstheorien, weil sie häufiger misstrauisch und angstanfällig sind: „Viele suchen eine Erklärung, die aus der Unsicherheit befreit und manche konstruieren sich hier ihre eigene Realität – eben weil einige wissenschaftliche Prognosen falsch waren.“


Heile Welt nach Corona?

Dass nach Corona wieder alles gut wird, glaubt der Psychiater aber nicht: „Wir haben schon vor der Pandemie eine Gegenregulation bemerkt: je glücklicher viele Menschen waren, desto mehr stieg die Zahl der an Depression Erkrankten – und je sicherer unsere Welt wird, desto mehr haben die Menschen Angst. Auch schon vor Corona ist die Zahl an Angsterkrankungen gestiegen.“ Was also tun? Sein Rat: „Angstauslösende Situationen sollte man nicht meiden, sondern sich ihnen stellen. Sobald die persönliche Leidensgrenze erreicht ist, man etwa Schlafstörungen etc. bemerkt bzw. Angst häufig und ohne Anlass auftritt, sollte man sich Hilfe holen. Die meisten Ängste – außer Zwangsstörungen – lassen sich gut behandeln.“ Das ist doch mal eine positive Nachricht.

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