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Weekend Online,
10.07.2014 um 12:20 Uhr
Alles im Kasten: Mit der Startnummer 145 nahmen wir auf einem VW Derby von 1977 die Silvretta Classic 2014 unter die schmalen Räder. Die Besonderheit: Der Wagen hat in den Händen seines Erstbesitzers nur 10.000 Kilometer gesammelt und ist unrestauriert.
Gute Vorbereitung ist alles: Das Team Roland Hildebrandt/Manuel Lehbrink vor dem Start. Als provisorischer Schreibtisch eignet sich das charakteristische Stufenheck des Derby hervorragend.
Prominenz ist bei vielen Oldtimer-Rallyes keine Seltenheit: Schauspieler Jürgen Vogel pilotierte bei der Silvretta Classic 2014 einen Jaguar XK 120 OTS.
Die Mischung machts: Dieses Foto zeigt gut die Bandbreite der teilnehmenden Fahrzeuge. Der BMW i3 trat bei der e-Silvretta für Elektroautos an, während der Mercedes 300 SL gleich mehrfach bei der Silvretta Classic zu sehen war. Ganz rechts steht der 60 PS starke "Mille-Miglia-Käfer" von 1956.
Man sieht es dem zweckmäßigen VW Derby nicht an, aber gerade in den Bergen macht der 3,83 Meter kurze Wagen viel Spaß. Kein Wunder, treffen hier 50 PS auf nur 730 Kilogramm Leergewicht. So lässt sich der Derby handlich um die Kurven ziehen. Ein weiterer Vorteil: Bergab werden die Bremsen (vorne schon Scheiben!) wenig beansprucht.
Klare Linien: Die erste Derby-Generation ist ein typisches VW-Produkt der 1970er-Jahre. Im Premierenjahr 1977 verkaufte sich die Limousine sogar öfter als der bis aufs Heck baugleiche Polo. Danach ging es stetig bergab. Die zweite Generation wurde 1985 in Polo Stufenheck umbenannt, 1988 war in Deutschland endgültig Schluss.
Die Geschichte des VW Derby begann vor genau 40 Jahren: 1974 stellte Audi den 50 vor, einen modernen Kleinwagen, der die Fahrer des NSU Prinz ansprechen sollte. Doch auch Konzernmutter VW erkannte das Potenzial des Audi 50 und machte ihn 1975 zum deutlich spartanischeren Polo. Anders als der oft vermutete Golf sollte er den Großteil der bisherigen Käfer-Kundschaft beglücken, die einfache Mobilität suchte. Anfang 1977 kam der Derby dazu, eine stets zweitürige Stufenhecklimousine.
Für den Betrachter erfreulich: Neben hochpreisigen Klassikern wie den Mercedes 300 SL, den BMW 507 oder den Porsche 911 fanden auch Alltagsklassiker der letzten Jahrzehnte den Weg in die Alpen. Der hier gezeigte Escort XR3 stammt aus der werkseigenen Oldtimer-Abteilung von Ford.
Ein Hingucker in jeder Hinsicht war der ultraflache Lamborghini Espada. Die orangefarbene Flunder von 1971 holt 340 PS aus einem V12.
Zu einer Oldtimer-Rallye gehören auch Wertungsprüfungen. Davor kann es sich auch schon einmal stauen, was die Zuschauer freut. Ganz vorne steht hier ein VW-Porsche 914/6 mit nachträglich eingebautem 3,2-Liter-Boxer, der auf 231 PS kommt.
Bei den erwähnten Wertungsprüfungen muss eine vorgegebene Strecke in einer bestimmten Zeit absolviert werden. Cabrio-Beifahrer sind im Vorteil: Sie sehen genau, wann das Auto die Lichtschranke oder den Messschlauch passiert.
Im Regen des zweiten und dritten Tages ist dann aber doch wieder das feste Dach unseres Derby von Vorteil.
Einfahrt zur Zeitkontrolle: Hier ist Pünktlichkeit gefragt, sonst drohen Strafpunkte. Der VW Bus im Hintergrund ist dem Filmauto von "Little Miss Sunshine" nachempfunden.
Scharfes Duell bei der letzten Wertungsprüfung: Am Ende lag unser Derby knapp vor dem Morgan Plus 8 von Hansjörg Kopp. Obwohl Kopps Morgan immerhin 210 PS stärker als der Derby ist, blieben wir ihm in den Bergen auf den Fersen. Sein beeindruckter Kommentar: "Der ist ja immer da. An dem habt ihr doch was gemacht!" Alles original, Hansjörg! Indianer-Ehrenwort!
Tatsächlich kommen einige Stimmen aus dem Publikum: "Das war mein erstes Auto!" Noch genauer will es ein bestimmter Zuschauer wissen: "09er oder 11er?" Gemeint ist der Motor: Entweder 0,9 Liter mit 40 PS oder wie im unserem Fall der 1,1-Liter mit 50 PS. Gewissermaßen der "Big Block" war der Benziner mit 1,3 Liter Hubraum und 60 PS.
Kennen Sie den? Der Skoda 440 Spartak war 1957 die Urversion des Octavia der 1960er-Jahre.
Ein starkes Team: Rennlegende Hans-Joachim "Strietzel" Stuck ging in seinem eigenen VW Golf GTI mit Beifahrer Andreas Schleef (links) auf die Reise. Leider machte kurz vor Ende der Rallye die Benzinpumpe schlapp.
Stilgerechter Empfang: Im österreichischen Montafon, dem Start- und Zielpunkt der Silvretta Classic, gehören Alphornbläser einfach dazu.
In voller Schönheit: Der VW Derby war bei seinem Debüt im Jahr 1977 rund 30 Zentimeter länger als der Polo. Das Plus kam voll und ganz dem Kofferraum zugute, denn den Radstand von 2,33 Meter teilten sich beide Modelle.
Sachlicher geht es kaum: Den VW Derby gab es stets nur zweitürig. Ein rechter Außenspiegel kostete 1977 noch Aufpreis. Die Bodenfreiheit des Derby haben heute allenfalls noch SUVs.
Modellbezeichnungen für Anfänger: Beim 40-PS-Derby gab es den L und den luxuriöseren GL. Mit 50 oder 60 PS wurde daraus LS respektive GLS. Design-Spielereien mit den Rückleuchten wurden seinerzeit nicht betrieben.
Dem durchaus flotten Vortrieb des Derby setzen die Reifen bestimmte Grenzen. In zügig gefahrenen Kurven machen die Gummis vom Format 145 SR 13 lautstark klar, wann Schluss ist.
Von wegen Funk oder Keyless-Go: 1977 reichte ein ziemlich kleiner Schlüssel, um den Derby zu besteigen. Selbst eine Zentralverriegelung war damals noch Luxus.
Lediglich 1,56 Meter ist der Derby breit. Das ist prima auf engen Bergsstraßen, führt innen aber zu einer recht kuschligen Note. Doch mangels Mittelkonsole und riesiger Türverkleidungen lässt es sich durchaus aushalten.
Wer hier Probleme mit der Bedienung hat, sollte besser zu Fuß gehen: Der Derby ist maximal funktional eingerichtet. Kunstholz und ein Radio bringen etwas Wohnlichkeit ins Cockpit. Überaus praktisch ist die Ablage unter dem Armaturenbrett, ein Handschuhfach gibt es nicht.
Ein Tacho, sieben Kontrollleuchten und eine Tankuhr: 1977 reichte das, um zufrieden zu sein. Auffallend sind auch die sehr dünnen Lenkstockhebel.
Ordnung muss sein, dachten sich die VW/Audi-Händler und brachten diesen Aufkleber in ihren Autos an. Sicherheit geht schließlich vor.
Accessoires der Vergangenheit: Unser Derby dürfte nicht das einzige Auto mit solch einem Kugelschreiberhalter gewesen sein. Die vierstellige Postleitzahl von Haar bei München sorgt für pure Nostalgie und Erinnerungen an drei Fernsehprogramme, die D-Mark, Wählscheibentelefone und Dalli Dalli.
Allzu üppig ist das Platzangebot im Fond des Derby nicht: Wer hier mehr wollte, musste entweder den Golf nehmen oder auf den 1979 erschienenen Jetta warten.
Das Hauptargument für Derby-Käufer war der riesige Kofferraum: Üppige 515 Liter beziehungsweise acht Wasserkisten gingen hinein. Beim Fotoauto trübt kein Rost den Anblick: Der Vorbesitzer hatte es in seiner Garage zusätzlich mit Decken verhüllt.
Der 1100er-Benziner füllt den Platz unter der Haube mehr als gedacht aus. In der heutigen Ära von Turbomotoren muss man sich erst einmal zwingen, dem Derby hohe Drehzahlen abzuverlangen. Doch nur dann geht die Post ab: Die maximalen 76 Newtonmeter Drehmoment liegen erst bei 3.500 Touren an. Von null auf 100 km/h braucht die Mikro-Limousine 15,4 Sekunden.
Gruppenbild mit dem VW-Starterfeld der Silvretta Classic 2014: Ganz vorne der von Theo Decker auf 135 PS frisierte VW Käfer 1302 S, dahinter der Mille-Miglia-Käfer, unser Derby und der Golf GTI von Strietzel Stuck.