Wenn alles umsonst scheint: „Kreativität in Krisenzeiten”
Die jüngsten globalen Entwicklungen geben ohne Zweifel Anlass zur Sorge. Die wohl sogar von den konservativsten Hardlinern nicht mehr zu leugnende Klimakrise, ein ziemlich hartnäckiger Virus, der Ukraine-Krieg, steigende Preise, diverse Erdbeben – die Liste könnte definitiv weiter gehen.
Der steinzeitliche Negativitäts-Bias und die Kreativität
Immer wieder ertappe ich mich in letzter Zeit beim Doom-Scrolling. Die Steinzeit lässt grüßen, die uns Menschen wohl darauf konditioniert hat, sich an die Begegnung mit dem Säbelzahntiger eher zu erinnern als an das warme Abendessen am Lagerfeuer. Dieses Phänomen hat sich sogar einen Namen verdient, und zwar „Negativitäts-Bias“. Der Begriff bezeichnet die menschliche Tendenz, negative Reize nicht nur leichter zu registrieren, sondern leider auch diese Ereignisse prägnanter abzuspeichern – erinnern Sie sich eher an das Lob Ihrer Vorgesetzten oder an die Kritik? Na eben. Nun, die gute Nachricht ist, selbst die steinzeitlichen Höhlenmenschen hatten ein wirksames Mittel gegen die allzu harten Lebensbedingungen der damaligen Netflix- und Internetlosen Welt, und zwar: Kreativität.
Die Steinzeit und die Kunst
Die bisher ältesten entdeckten Höhlenmalereien der Welt datieren bis zu 73.000 Jahre zurück. Kunst existierte also schon lange bevor es beispielsweise Geld gab und offenbar befanden es unsere Vorfahren für wichtiger, ihre äußerst temporären Wohnräume zu dekorieren, als sesshaft zu werden. Die Zeit und Energie, die sie in ihre Kunst investiert haben, wäre bei der Jagd nach Essbarem vermutlich rein objektiv betrachtet besser investiert gewesen. Noch dazu gab es damals weder Leinwände noch Papier, daher mussten Malereien zuerst relativ aufwändig in den Stein gekratzt und Farbe aus Naturmaterialien gewonnen werden, die auch noch witterungsbeständig ist.
Da wurde geklotzt, nicht gekleckert und die damaligen Picassos und DaVincis beherrschten ihr Handwerk gut, denn ansonsten würden wir heute nicht in den Genuss von uralten Pferdemotiven auf Stein kommen. Kunst hatte einen derart hohen Stellenwert, sodass viele Ressourcen aufgewendet wurden, sie herzustellen; in einer Zeit, in der es sicher andere und wichtigere Probleme gab.
Kreativität ist es, was uns Menschen ausmacht
Warum würde also eine Gruppe von Steinzeitmenschen nun Wochen und Jahre in Wandbilder investieren, während zig Mammuts darauf warteten, erledigt zu werden, um den Klan zu ernähren? Ich habe einige Minuten über diese Frage nachgedacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Weil Kreativität uns Menschen glücklich macht. So einfach. Vielleicht auch um die Stammesgeschichte an die Wand zu klatschen, damit nachkommende Generationen sich erinnern, was mit dem weißen Mammut geschah, aber hey – das hätte nicht so ästhetisch aussehen müssen und wäre auch ressourcenschonender umsetzbar gewesen.
Der Mensch will erschaffen
Etwas zu erschaffen, macht uns Menschen aus. Sei es der eigene Kräutergarten, ein Aquarellbild oder von mir aus ein Maroni-Männchen für den Kindergarten. Die Menschheit liebt es zu kreieren, weil es uns glücklich macht und weil es das ist, was uns ausmacht. Besonders in Krisenzeiten erlebt Kunst und kreatives Schaffen oft ihren Höhepunkt, denn sie reißt uns aus dem alltäglichen Strom der schlechten Nachrichten. Natürlich gibt es Zeiten, in denen es schwierig sein kann, sich selbst zum Schaffen zu motivieren. Wenn sich die Welt anfühlt, als würde sie auseinanderfallen und man schon Mitte des Monats mit Entsetzen den Kontostand checkt oder die nächste Weltkrise um die Ecke spaziert, fällt es schwer, sich auf etwas so Triviales wie Malen oder Schreiben zu konzentrieren.
Die Freude an kleinen Dingen
Aber ich habe festgestellt, dass selbst die kleinsten kreativen Beschäftigungen einen großen Unterschied machen können, wie ich mich fühle. Ich kann die Welt nicht retten, aber ich kann meinen Tag retten, in dem ich mir zwei Stunden Zeit nehme, eine meiner dauergestressten Mami-Freundinnen schnappe und wir uns eine kleine triviale Handlettering-Session gönnen. Oder ein Sonnenuntergang in Acryl. Oder ein Maroni-Männchen.
Etwas zu erschaffen und das Leben trotz der derzeitigen Lage zu genießen, ist ein Akt der Rebellion. Es ist eine wunderbar freche Art zu sagen: Ich bin noch hier. Wir sind noch hier und wir sind nach 78.000 Jahren immer noch in der Lage, Freude an den kleinen Dingen zu finden. Auch in der Krise, oder eben genau dann.
Zur Autorin
In der Malerei hat die aus Oberösterreich stammende Künstlerin Lena Stöllinger ihre Bestimmung gefunden. Wenn sie nicht gerade unter ihrem Künstlernamen Stella Löninger an einem neuen Bild malt, studiert die Wahl-Salzburgerin Soziologie. Auf www.weekend.at gibt sie Einblicke in die wunderbare Welt der bildenden Kunst.