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Ein lachendes Baby am Arm einer Frau, sie küsst es - Symbolbild für Social Freezing, das den Kinderwunsch künftig legal auch in Österreich erfüllen kann.
In Österreich ist das Einfrieren von Eizellen künftig gesetzlich erlaubt.
In Österreich ist das Einfrieren von Eizellen künftig gesetzlich erlaubt.
erreperdomo / iStock

Historisches Urteil: VfGH kippt Verbot von Social Freezing

21.10.2025 um 13:23, Stefanie Hermann
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Der Verfassungsgerichtshof erklärt das Social-Freezing-Verbot für verfassungswidrig. Ab 2027 dürfen Eizellen auch ohne medizinische Gründe eingefroren werden.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat entschieden, dass das bisherige Verbot des sogenannten „Social Freezing“ in Österreich verfassungswidrig ist. Damit wird künftig das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen oder Samenzellen auch ohne medizinische Indikation erlaubt sein. Das Erkenntnis markiert einen Wendepunkt in der österreichischen Reproduktionsmedizin und stärkt das Recht auf selbstbestimmte Familienplanung. Österreich reiht sich damit in jene europäischen Länder ein, die das Einfrieren von Keimzellen auch aus nicht-medizinischen Gründen zulassen.

Mehr Freiheit: VfGH kippt Verbot

Bislang durften in Österreich Eizellen und Samenzellen nur dann entnommen und eingefroren werden, wenn eine medizinische Behandlung – etwa eine geplante Chemotherapie – die Fruchtbarkeit gefährden könnte. Mit der aktuellen Entscheidung folgt der VfGH der Argumentation einer Frau aus Wien, die ihre Eizellen aus privaten Gründen einfrieren lassen wollte und das Verbot als Eingriff in ihr Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) bezeichnet hatte.

Zuvor hatte am 13. Juni 2025 eine öffentliche Verhandlung beim VfGH stattgefunden, bei der medizinische und ethische Fachleute angehört wurden. Dabei wurden sowohl juristische als auch medizinische Argumente zu möglichen Risiken, ethischen Grenzen und gesellschaftlichen Folgen des Social Freezing diskutiert.

Die Bundesregierung sowie Befürworter des Verbots hatten argumentiert, das Verbot solle verhindern, dass Frauen durch gesellschaftliche oder berufliche Erwartungen unter Druck geraten, ihre Familienplanung aufzuschieben. Der VfGH sieht darin keinen ausreichenden Grund für ein absolutes Verbot.

Das ausnahmslose Verbot sei unverhältnismäßig, so der VfGH in seinem Urteil. Der Staat habe zwar das Recht, gesundheitliche und ethische Rahmenbedingungen zu definieren, ein generelles Verbot gehe jedoch zu weit. Frauen und Männer müssten selbstbestimmt über ihre Fortpflanzung entscheiden können. Das bisherige Verbot bleibt bis 31. März 2027 in Kraft, um dem Gesetzgeber Zeit für eine Neuregelung zu geben.

Meilenstein in der Reproduktionsmedizin

In der Fachwelt wird das Urteil begrüßt. Prof. Dr. Andreas Obruca, ärztlicher Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien und Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft, bezeichnet die Entscheidung als historischen Fortschritt. „Die heutige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist ein bedeutender Meilenstein sowohl für Frauen als auch für Männer zur Selbstbestimmung ihrer Fruchtbarkeit", so Obruca via Aussendung. „Social Freezing ermöglicht es, die Fruchtbarkeit zu erhalten, ohne sich von gesellschaftlichen oder biologischen Zwängen unter Druck setzen zu lassen", erklärt der Mediziner.

Medizinische Vorteile und neue Chancen

Aus medizinischer Sicht bietet Social Freezing die Möglichkeit, die Fruchtbarkeit in jungen Jahren zu bewahren und die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft zu erhöhen. Durch das rechtzeitige Einfrieren von Eizellen oder Samenzellen können genetische Risiken, die mit zunehmendem Alter steigen, stabil gehalten oder sogar reduziert werden.

Das Durchschnittsalter der Mütter steige laufend und liege jetzt bereits bei über 30 Jahren. Das freiwillige Lagern der eigenen "jüngeren" Eizellen biete vor allem Frauen mehr Flexibilität und Wahlfreiheit bei der Lebensplanung. Die Entwicklung könnte dabei auch gesamtgesellschaftliche Vorteile haben. Eine selbstbestimmte Familienplanung stärkt die Gleichstellung, fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und trägt zu mehr Chancengleichheit bei.

Übergangsfrist bis 2027

Das Urteil tritt nicht sofort in Kraft. Der VfGH setzte eine Übergangsfrist bis zum 1. April 2027, um dem Gesetzgeber Zeit für eine umfassende Anpassung des Fortpflanzungsmedizingesetzes zu geben. Damit wird Zeit gegeben, flankierende Maßnahmen wie etwa Aufklärungspflichten, medizinische Beratung oder Altersgrenzen für die Entnahme und Verwendung von Eizellen einzuführen.

Der VfGH betont zudem, dass künftig flankierende Regelungen – etwa zu Werbung oder medizinischer Aufklärung – verfassungsrechtlich nicht nur zulässig, sondern teilweise sogar geboten sein könnten.

Österreich im europäischen Vergleich

In den meisten EU-Staaten ist Social Freezing bereits seit Jahren erlaubt. In Ländern wie Spanien, Schweden und Belgien nutzen viele Frauen und Männer die Möglichkeit, ihre Fruchtbarkeit langfristig zu sichern. In Frankreich übernimmt die Krankenkasse bis zum Alter von 37 Jahren und für maximal zwei Entnahmen die Kosten. Österreich schließt mit dem aktuellen Urteil nun zu diesen Ländern auf.

Quellen und weiterführende Informationen

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