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Porträt von Niki Glattauer mit Brille und schwarzem Sakko, aufgenommen während eines Gesprächs vor einem Bücherregal in der Sendung "Willkommen Österreich"
Niki Glattauer spricht in einem letzten Interview mit dem Falter und Newsflix über seine Krebserkrankung und die Entscheidung für einen begleiteten Suizid.
Niki Glattauer spricht in einem letzten Interview mit dem Falter und Newsflix über seine Krebserkrankung und die Entscheidung für einen begleiteten Suizid.
Hans Leitner / First Look / picturedesk.com

Begleiteter Suizid: Niki Glattauer nimmt Abschied

03.09.2025 um 07:09, Stefanie Hermann
min read
Niki Glattauer ist unheilbar krank. Mit Falter und Newsflix hat er offen über seine Entscheidung für den begleiteten Suizid und seine letzten Tage gesprochen.

Niki Glattauer hat Gallengangkrebs. Die Krankheit gilt als eine der aggressivsten Krebsarten, sie ist im fortgeschrittenen Stadium kaum behandelbar. Weniger als ein Drittel der Betroffenen überlebt zwei oder drei Jahre, viele sterben deutlich früher, auch nach Operationen. Für den beliebten Lehrer und Journalisten steht schnell fest: So will er nicht gehen. Sein Leben will er nicht in einer Klinik ausklingen lassen, sondern selbstbestimmt zu Ende führen. „Ich bin kein Mensch, der um jeden Preis leben will“, sagt er. Am 4. September, an einem Vormittag, wird er in seiner Wohnung in Favoriten einen begleiteten Suizid vollziehen.

Inhaltsverzeichnis

In seiner Wohnung am Laaer Berg hat er FALTER-Chefredakteur Florian Klenk und Newsflix-Gründer Christian Nusser zu einem letzten Interview empfangen. Seine Entscheidung, will er bewusst öffentlich machen; das Interview sollte noch vor seinem Tod, gemeinsam mit seiner Parte erscheinen. „Ich möchte die Menschen darüber informieren, dass man auch in Österreich selbstbestimmt sterben kann, wenn man unheilbar krank ist.“

Ein Interview, das schwer zu ertragen war. Niki Glattauer, früher Lehrer, dann Autor und mein langjähriger Weggefährte, spricht über seinen bevorstehenden Tod. Er hat @klenkflorian.bsky.social und mich zum Interview getroffen. www.newsflix.at/s/ich-bin-ni...

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— Christian Nusser (@nusserchristian.bsky.social) 2. September 2025 um 17:03

Gründe für den Schritt

Seine Entscheidung ist über Jahre gewachsen. Schon als Jugendlicher habe er sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinandergesetzt. „Ich habe mein ganzes Leben lang an den Tod gedacht.“ Vor Augen hat er Bilder von Verwandten, die an Krebs gestorben sind – die Tante, die Großmutter, die lange, qualvolle Monate durchlitten haben. Auch seine Ex-Frau, Krankenschwester auf einer Geriatrie tätig, habe ihm regelmäßig von Menschen erzählt, die „gefühlt ein halbes Leben lang sterben, weil sie nicht zu Tode kommen wollen oder können“. Für Glattauer ist das ein Szenario, das er für sich ausschließt.

Ein Satz, den ihm Florian Klenk am Telefon erzählt hat, ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. Klenks kleiner Sohn habe beim Betrachten eines alten Fotos gefragt: „Papa, hast du da schon gelebt oder warst du da noch tot?“ Glattauer hat diese kindliche Logik aufgegriffen: „Genau. ‚Warst du da noch tot?‘ – Und das trifft es so gut, oder? Bevor man gelebt hat, war man letztlich tot, und nachher ist man es wieder. Das ist nichts Schreckliches.“

Dazu kommen seine eigenen Leiden: eine Hüftoperation, die seit einem Jahr aufgeschoben wird, Herzprobleme, zunehmende Einschränkungen. „Man könnte den Krebs rausschneiden, aber dann wird die Hälfte meiner Gedärme mitgeschnitten. Dann kann ich nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr leben, wie ich will. So will ich nicht leben. Ich habe mein Konzert zu Ende gespielt.“

Niki Glattauer hat angerufen. Er wird diese Woche sterben, im Rahmen eines begleiteten Suizids. Christian Nusser und ich haben mit ihm darüber gesprochen. Ein letztes Gespräch über sein schönes Leben und seinen selbstbestimmten Tod. www.falter.at/zeitung/2025...

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— Florian Klenk 👨🏻‍💻 (@klenkflorian.bsky.social) 2. September 2025 um 17:01

Kritik am Gesundheitssystem

Scharfe Worte findet er in diesem Kontext für das österreichische Gesundheitssystem. Seine persönliche Lage verbindet er mit grundsätzlicher Kritik am Zustand der medizinischen Versorgung. „Ich bin ein Holzklasse-Patient“, sagt er. Überlastete Pflegekräfte und fehlende Zeit seien Ausdruck einer Zweiklassenmedizin. „Die Krankenschwestern sind eh lieb, aber sie haben keine Zeit, weil du der 70. Patient bist, den sie haben.“

Für Glattauer ist das kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems: „Der Kapitalismus – das muss ich jetzt als bekennender Linker sagen – zerstört auch die medizinische Versorgung, weil er auf die Optimierung der Ressourcen setzt.“

Ein würdiges Sterben im Spital hält er unter diesen Bedingungen für kaum möglich. „Du kriegst nicht das Essen, das dir schmeckt, sondern wirst dreimal am Tag von einer Krankenschwester besucht, die keine Zeit hat und die gar nicht weiß, warum du da liegst.“ Seine Entscheidung für ein selbstbestimmtes Ende ist auch eine Reaktion darauf.

Der Weg zum assistierten Suizid

Seit 2022 ist der begleitete Suizid in Österreich gesetzlich erlaubt. Das Verfahren schreibt vor, dass zwei Ärztinnen oder Ärzte unabhängig voneinander bestätigen, dass eine unheilbare Krankheit vorliegt und die Entscheidung bei vollem Bewusstsein und aus freiem Willen getroffen wird. „Am Schluss hat mir ein Notar bescheinigt, dass kein Druck dahintersteht.“ In seinem Fall hätte man die normalerweise dreimonatige Wartefrist auf zwei Wochen verkürzen können, weil die Krankheit bereits zu weit fortgeschritten war, schildert Glattauer.

Die Begleitung kostet mehrere tausend Euro: 250 bis 350 Euro pro Arztgespräch, 400 Euro für den Notar, rund 1.500 Euro für die Ärztin, die das Medikament vorbereitet. Die diplomierte Krankenschwester macht es unentgeltlich, dennoch will er ihr etwas geben. Für ihn bleibt dieser Weg ein Ausdruck von Selbstbestimmung: „Wenn eine Frau das Recht hat, abzutreiben, muss auch ein Mensch das Recht haben zu sagen: Ab jetzt will ich nicht mehr leben – ohne Gewalt, ohne Grauen.“

Alles, was ich jetzt mache, mache ich zum letzten Mal. Wenn ich den Kaffee das letzte Mal trinke, werde ich mir denken: Die schönen Häferln werde ich nie wieder sehen.

Niki Glattauer über seine letzten Tage

Familie und letzte Tage

Seine Kinder hat er schrittweise auf den Entschluss vorbereitet. Beide seien alt genug, um seine Entscheidung mitzutragen. „Meine Kinder brauchen mich nicht mehr. Mir reicht’s.“ Vor allem der 16-jährige Sohn könne den Entschluss verstehen: „Papi, ich würde an deiner Stelle wahrscheinlich genauso handeln", zitiert ihn Glattauer. Auch die 22-jährige Tochter zeige Verständnis, wenn auch weniger direkt.

Die letzten Tage verbringt er mit ihnen so normal wie möglich. „Wir essen gemeinsam, schauen Filme, spielen Karten.“ Die Momente des Alltags sind für ihn zugleich hunderte kleine Abschiede. „Alles, was ich jetzt mache, mache ich zum letzten Mal. Wenn ich den Kaffee das letzte Mal trinke, werde ich mir denken: Die schönen Häferln werde ich nie wieder sehen.“

Wenige Tage zuvor war Glattauer noch in Thailand, wo er seine Lebensgefährtin besuchte. Dort hat er ein letztes Mal das Meer gespürt. „Ich habe mir gedacht: Niki, das war das letzte Mal, dass du im Meer warst. Du gehst nie wieder ins Meer.“ Auch dabei sind ihm die Tränen gekommen.

Verrückbar sei sein Entschluss nicht mehr, auch nicht, je näher der Termin rückt. Panik spürt er nicht, eher die Gewissheit, dass er den richtigen Zeitpunkt erwischt hat. Tränen gibt es oft, Zweifel nicht. „Ich habe keine Sehnsucht, tot zu sein. Ich habe nur den richtigen Zeitpunkt erwischt, um das Leben abzubrechen.“

Ablauf und Abschied

Sterben will er dort, wo er sein Leben verbracht hat: in seiner Wohnung im Gemeindebau am Laaer Berg. „Eine Ärztin und eine diplomierte Krankenschwester werden bei der Tür hereinkommen, und dann wird es schnell gehen.“ Er hat einen Vormittagstermin gewählt, weil er den Tag nicht in Erwartung verbringen möchte. „Ich will es so früh wie möglich.“

Auch für das Begräbnis ist alles festgelegt. Er will eingeäschert werden, seine Urne soll am Zentralfriedhof unter einem Ginkgobaum beigesetzt werden. „Ich finde, das ist ein schöner Gedanke.“ Und er weiß, wie er erinnert werden will: "Ich möchte, dass die, die mich gut kennen, sagen: Er war lustig und aufrichtig."

Selbstmordgedanken? Hier finden Sie Hilfe
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.

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