Niki Glattauer: Letztes Interview kurz vor seinem Tod rüttelt auf
- Vom Journalist zum Lehrer
- Klare Abrechnung mit der Schule
- Migration, Sprache, Ghettoisierung
- Rückzug, Krankheit und sein Blick aufs Ende
- Glattauer wählt assistierten Suizid
- Abschied, Begräbnis, Familie
Niki Glattauer ist unheilbar an Gallengangkrebs erkrankt. Erst vor wenigen Wochen hat er die Diagnose erhalten, seinen Entschluss hat er dennoch bereits fest gefasst: Er will in Würde sterben. Am 4. September wird er mit einem begleiteten Suizid, der in Österreich seit 2022 gesetzlich erlaubt ist, aus dem Leben scheiden.
Kurz vor seinem Tod hat der Lehrer und heute-Kolumnist Florian Klenk (Falter) und Christian Nusser (Newsflix) ein letztes, berührendes Interview gegeben. Die Öffentlichkeit hat er bewusst gesucht, um seine Herzensthemen ein letztes Mal zu beleuchten. Nicht nur über die Schule, vor allem auch über die Möglichkeit, sebstbestimmt zu Sterben wollte Glattauer ein letztes Mal berichtet wissen. „Ich bin kein Mensch, der um jeden Preis leben will", so der 66-Jährige. „Ich habe mein Konzert zu Ende gespielt.“
In folgenden Text geht es um unheilbare Krankheit, assistierten Suizid und den selbstbestimmten Tod von Niki Glattauer. Die Schilderungen können belastend wirken. Wenn Sie sich von diesen Themen betroffen fühlen, lesen Sie bitte nur weiter, wenn Sie sich dazu in der Lage sehen. Unterstützung finden Sie jederzeit anonym und kostenlos bei der Telefonseelsorge (142), bei Rat auf Draht (147, für Kinder und Jugendliche) oder über das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums: www.suizid-praevention.gv.at .
Ein Interview, das schwer zu ertragen war. Niki Glattauer, früher Lehrer, dann Autor und mein langjähriger Weggefährte, spricht über seinen bevorstehenden Tod. Er hat @klenkflorian.bsky.social und mich zum Interview getroffen. www.newsflix.at/s/ich-bin-ni...
[image or embed]— Christian Nusser (@nusserchristian.bsky.social) 2. September 2025 um 17:03
Vom Journalist zum Lehrer
Glattauer wurde 1959 in Zürich geboren und ist in Favoriten aufgewachsen. Er hat als Journalist bei Presse, Kurier, Arbeiterzeitung, Krone und News gearbeitet, später hat er als Lehrer, Sonderpädagoge und Schuldirektor gewirkt. Seine wahre Berufung hat er im Klassenzimmer stattgefunden. "Ich war ein guter Lehrer", ist er heute überzeugt. Er hat Haltung eingefordert, Anstand betont und Kindern Chancen erkämpft. Als Autor und Kolumnist hat er den Alltag an Schulen sichtbar gemacht. Über sich hat er gesagt, er sei lieber Familienvater als Journalist gewesen. Schreiben hat er dennoch als Lebensaufgabe verstanden.
Klare Abrechnung mit der Schule
Für sein letztes Interview hat Niki Glattauer Florian Klenk und Christian Nusser am 25. August in seiner Wohnung am Laaer Berg empfangen. „In der Schule habe ich Sinn gefunden, auch wenn das System vollkommen versagt“, so Glattauer. Lehrerkonferenzen beschreibt er als kleinlich, erst in der Sonderpädagogik habe er sich zuhause gefühlt. „Man braucht Haltung, wenn man Lehrerin oder Lehrer ist“, betont der Spätberufene. Gute Pädagoginnen hat er ausdrücklich gelobt, autoritäre Auftritte scharf kritisiert. „An den Mittelschulen sind viele Kinder chancenlos, wenn das System sie alleine lässt.“
Migration, Sprache, Ghettoisierung
Mit Blick auf Wien formuliert Glattauer ungeschönt: „Wir müssen aufhören, Kinder in unsere Klassen zu setzen, die nicht Deutsch können. Aus!“ Schulen seien mit zu vielen nicht deutschsprachigen Kindern heillos überfordert, selbst gute Lehrerinnen könnten das nicht mehr auffangen. Früh im Kindergarten müsse gegengesteuert werden, sonst drohe Ghettoisierung. „Es ist eine traurige Tatsache, dass die wenigen deutschsprachigen Kinder, die in eine mehrheitlich türkische oder arabische Schule gehen, sogar ihre eigene Sprache verlernen.“ Kolleginnen schwört er auf Augenhöhe und Respekt ein: „Das Kind spürt von der ersten Sekunde an, ob es angenommen oder abgelehnt wird.“
Rückzug, Krankheit und sein Blick aufs Ende
Sein Rückzug aus der Öffentlichkeit ist von der Krankheit bestimmt gewesen. Chemotherapie und große Eingriffe hat Glattauer von Anfang an abgelehnt. „Der Krebs ist kein Alien, er ist ein Teil von mir.“ Die letzten Tage hat er mit seinen Kindern (16 und 22) verbracht, gekocht, Karten gespielt, Filme geschaut. Sie würden seine Entscheidung verstehen. In Thailand hat er ein letztes Mal das Meer gespürt – „und mir gedacht: Niki, das war das letzte Mal.“ Panik empfinde er nicht, vielmehr Klarheit: „Alles, was ich jetzt mache, mache ich zum letzten Mal.“
Niki Glattauer hat angerufen. Er wird diese Woche sterben, im Rahmen eines begleiteten Suizids. Christian Nusser und ich haben mit ihm darüber gesprochen. Ein letztes Gespräch über sein schönes Leben und seinen selbstbestimmten Tod. www.falter.at/zeitung/2025...
[image or embed]— Florian Klenk 👨🏻💻 (@klenkflorian.bsky.social) 2. September 2025 um 17:01
Glattauer wählt assistierten Suizid
Den assistierten Suizid beschreibt er als legalen und würdevollen Weg in einen selbstbestimmten Tod. „Ich möchte die Menschen darüber informieren, dass man auch hier selbstbestimmt sterben kann, wenn man unheilbar krank ist.“ Das Verfahren in Österreich sei unbürokratisch gewesen: „Zwei Ärzte haben bestätigt, dass ich sterbenskrank bin und dass ich die Entscheidung bei vollem Bewusstsein treffe. Am Schluss hat mir ein Notar bescheinigt, dass kein Druck dahintersteht.“ Alles in allem habe ihn der Prozess mehrere Tausend Euro gekostet. Für ihn ist dieser Weg Ausdruck von Selbstbestimmung: „Wenn eine Frau das Recht hat, abzutreiben, muss auch ein Mensch das Recht haben zu sagen: Ab jetzt will ich nicht mehr leben – ohne Gewalt, ohne Grauen.“
Abschied, Begräbnis, Familie
Sterben will Glattauer in jener Wohnung, in der er auch groß geworden ist. Auch wie sein Begräbnis ablaufen soll, hat der 66-Jährige bereits festgelegt. ,„Ich werde verbrannt und meine Asche wird am Zentralfriedhof unter einem Ginkgobaum beerdigt. Ich finde, das ist ein schöner Gedanke.“
Als "lustig und aufrichtig“ will er in Erinnerung zu bleiben. „Ich will in Würde sterben. Ich habe ein glückliches Leben gehabt. Ich habe den richtigen Zeitpunkt erwischt, um das Leben abzubrechen.“
Selbstmordgedanken? Hier finden Sie Hilfe
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.