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Artificial Intelligence
Macht die KI einige unserer Jobs und Fähigkeiten obsolet?
Macht die KI einige unserer Jobs und Fähigkeiten obsolet?
StudioM1 / iStock / Getty images plus

Künstliche Intelligenz als Job-Killer?

10.07.2023 um 14:24, Jürgen Philipp
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Immer wieder werden Berufe genannt, welche von der KI wegrationalisiert werden könnten. Wir haben bei den potenziell Betroffenen nachgefragt.

Der Statistiker Irvin John Good setzte 1965 ein Statement, das in diesen Tagen immer aktueller wird: „Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat.“ Und der KI-(Vor)Denker Ray Kurzweil ­setzte noch eins drauf: „Sobald ein Computer die menschliche Intelligenz erreicht, wird er zwangsweise daran vorbeirasen.“ Der technische Fortschritt wäre in diesem Fall „irreversibel“ und die Zukunft nicht mehr vorhersehbar. Der Texter und Autor Andreas Kump stieß im Zuge von Recherchen schon vor Jahren auf Kurzweils Thesen, als sie noch nicht en vogue waren: „Ich habe damals ein Kundenmagazin mit Schwerpunkt auf Digitalisierung geschrieben. So kam ich auf Ray Kurzweil, der von Singularität und einer Superintelligenz sprach. Die Singularität besagt im Kern, dass es einen Moment geben wird, wo KI tatsächlich ein Schöpfer ist und nicht nur Copy und Paste zum Superquadrat.“

Unüberprüft kann man derart generierte Texte, Antworten und Informationen meiner Meinung nach keinesfalls heranziehen.

Gernot Sattlegger

(K)Ein Grund zur Panik?

Kump ist Teil eines Berufsstandes, der mutmaßlich auf der „roten Liste“ von Arbeitsfeldern steht, die von KI ersetzt werden könnten. Er selbst sieht sich aber weniger bedroht, denn er hat sich auf sprachliches Branding spezialisiert. „Dabei geht es nicht um Allerweltsphrasen, sondern um sprachliche Positionierung.“ Der Linzer hat zu viele Trends und Hypes erlebt, um in Panik zu verfallen: „Ein Beispiel: Second Life. Das wird die Zukunft, wir werden alle unser Second Life haben. Haben wir aber nicht. Jetzt kommt dasselbe wieder als Metaverse, und auch das wird möglicherweise schnell weg sein.“ Kump verweist auf vermeintliche Game Changer wie Kunst-Tokens: „NFTs sind mittlerweile mausetot.“ Auch Kryptowährungen haben nicht wie angekündigt die Banken gesprengt. „Oft reden die Apologeten dieser Bewegungen wie Anarchisten und dann wieder wie Kapitalisten. Es springen alle auf den Zug auf, und dann steht der plötzlich wieder.“ Selbst die Blockchain hat keine Juristen oder Notare in die Arbeitslosigkeit gebracht wie prophezeit, so Kump.

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Keine „Eintagsfliege“

Gernot Sattlegger ist Jurist, Rechtsanwalt und Partner bei Sattlegger/Dorninger/Steiner. „Auch wenn die Ergebnisse schon großteils faszinierend sind. In den kommenden Jahren wird KI wohl noch eine wesentliche weitere technische Entwicklung erfahren“. Derzeit und in naher Zukunft könnte KI theoretische Fragen beantworten und bei Vorformulierung von Vertragsklauseln behilflich sein. Doch „bei der Analyse von Gesetzestexten wird es wesentlich sein, dass die Software auf dem aktuellen Stand bleibt, da Gesetze doch regelmäßig novelliert werden und, was wohl schwieriger umsetzbar ist, durch die Rechtsprechung die Auslegung von Gesetzen fortentwickelt wird.“ Für den Anwalt ist KI aber keine „Eintags­fliege“. Auch bei rechtlichen Beurteilungen in Urteilen: „Es ist durchaus denkbar, dass das zukünftig zumindest in Teilbereichen möglich sein wird.“ Sattlegger stellt aber generell fest: „Unüberprüft kann man derart generierte Texte, Antworten und Informationen meiner Meinung nach keinesfalls heranziehen.“

Wenn KI etwas Eigenes schaffen und kreieren muss, das mit den Regeln der Formulierung bricht, dann ist sie noch stark limitiert.

Andreas Kump

KI-Gericht: Utopie oder Dystopie?

Das Thema wird in der Rechtsanwaltsbranche bereits diskutiert, wenngleich „sich die Intensität wohl aus der technischen Affinität der Anwälte und Anwältinnen ergibt“. Sattlegger will in seiner Kanzlei die technische Entwicklung noch beobachten. Es sind noch zu viele Fragen offen. „Man denke nur an den zuletzt medial verbreiteten Fall eines amerikanischen Rechtsanwalts, der sich laut aktueller Medienberichte angeblich auf frei erfundene, aber realistisch klingende gerichtliche Entscheidungen in einem Schriftsatz bezogen hat, damit aber letztlich aufgeflogen sein soll.“ Noch sei auch bei einer Art „zweiten Meinung“ mittels KI vor allem bei komplexen Themen Vorsicht geboten. Die an die KI gestellten Fragen seien in der Regel falsch bzw. nicht abschließend beantwortet. Dass es aber für die Rechtswissenschaft bzw. Anwaltschaft zugeschnittene KI-Produkte in Österreich geben wird, sei „nur eine Frage der Zeit. Juristen und Anwälte dürfen keineswegs die Augen vor dieser Entwicklung verschließen. Ich bin überzeugt, dass die Technologie die Branche durchaus verändern wird. Ein Gerichtsverfahren, in dem auf kon­krete, auch zwischenmenschliche Situationen, Aussagen von Parteien und Zeugen usw. zu reagieren ist und auf dem letztlich das gerichtliche Urteil basiert, wird ein Computerprogramm oder Roboter aber wohl noch lange nicht führen können.“

KI schafft noch keine Picasso-Entwicklung

Andreas Kump ist freiberuflicher Werbetexter mit Schwerpunkt auf sprachlichem Branding. Kump im Interview über die Grenzen der KI und deren (noch) fehlende Kreativität, eigene Sprachwelten zu erschaffen.

CHEFINFO: Seit wann beschäftigen Sie sich mit KI und setzen Sie diese bereits zum Texten ein?
Andreas Kump: Für mich wurde das Thema erst vor einigen Monaten konkret greifbar. Ein Fotograf erzählte mir, wie das sein Berufsfeld verändern wird. Er war schockiert. Mit wenigen Begriffen ließ sich ein perfektes Bild, sogar im Stil berühmter Fotografen, herstellen. Ich habe mich in einer ersten Welle mit ChatGPT beschäftigt und war enttäuscht. Ich habe die KI lange gefüttert, aber das Ergebnis war sprachlich nicht gut. Da dachte ich noch, dass das weder eine Konkurrenz noch ein praktikables Tool sein könnte. Dann bekam ich eine Befehlsliste, um bessere Ergebnisse bei ChatGPT zu bekommen. Und da begann die zweite Welle: Ich hatte Korrekturen zu erledigen, habe meine eigenen Texte eingegeben und Befehle wie „formuliere um“, kürze“ und Co. verwendet. Dabei kamen zwei Passagen heraus, die wirklich super waren. Sie waren sehr stilsicher formuliert und der Kunde hat nichts gemerkt. KI greift aber bisher nur auf bereits Existierendes zurück. Sie führt vorhandenes Wissen mit kleinen Twists zu einem scheinbar neuen Ergebnis. Wenn KI etwas Eigenes schaffen und kreieren muss, das mit den Regeln der Formulierung bricht, dann ist sie noch stark limitiert.

Sehen Sie in Zukunft Ihren Job konkret gefährdet?
Kump: Mein Job lebt von Differenzierung, damit sich meine Kunden durch Kommunikation abheben, und das ist nicht die Stärke der KI. Aber viele Firmen wollen vielleicht nur informieren und nicht jemanden mit Kreativität beeindrucken. Für sie ist KI perfekt. Für mich wird es ein Tool werden, mit dem ich arbeite. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie mein spezifisches Arbeiten ganz ersetzt, aber seriös abschätzen lässt sich das nicht. Kleiner Einschub: Immer wenn ich von der KI etwas will, versehe ich es mit dem Wort „bitte“. Ich behalte also eine völlig unnötige Höflichkeit bei.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der KI in Ihrer Branche ein?
Kump: Bisher treibt sie noch keine künstlerische Entwicklung voran. Picasso konnte perfekt naturalistisch malen und hat das aufgegeben, um einen neuen Stil zu erfinden. Wird die KI eine solche Picasso-Entwicklung vollziehen? Wird es einen künstlichen Hemingway geben? Philosophisch betrachtet befriedigt mich KI nicht. Ich will selbst kreativ sein. Der schöpferische Akt des Menschen ist etwas Schönes, etwa Filme oder Geschichten, die aus menschlichen Erfahrungen und Emotionen schöpfen.

MIC-COO Rainer Roll
Für MIC-COO Rainer Roll könnte eine „Superintel­ligenz“ die Menschheit überfordern. Zu starke Regulierung könnte aber der Innovationskraft Europas schaden.

Es braucht eine vernünftige Balance

Der Anbieter von Zoll- und Exportkontrollsoftwarelösungen, MIC, setzt proaktiv auf KI. Ob sie das Geschäftsmodell gefährden könnte oder verbessert, verrät CCO Rainer Roll im Interview.

CHEFINFO: Setzen Sie KI bereits aktiv ein und wenn ja, wobei hilft sie Ihnen?
Rainer Roll: Ja, bei der Softwareentwicklung sehen wir durch den Einsatz von KI-gestützten Co-Piloten enormes Potenzial in der Reduktion von Problemlösungszeiten und von repetitiven Tätigkeiten.
 

Welchen Impact könnte KI auf Ihre Branche konkret haben?
Roll: Wir unterstützen mit unseren Softwarelösungen beispielsweise international tätige Unternehmen dabei, für jedes einzelne ihrer Produkte die richtige Zolltarifnummer je Land zu bestimmen. Die Zolltarifnummer ist ein wesentlicher Teil der Handelsprozesse und der entscheidende Schlüsselfaktor für die Berechnung von Zollabgaben und die korrekte Anwendung von Freihandelsabkommen. Unter Einsatz von KI-gestützten Co-Piloten können hier enorme Produktivitätssteigerungen erzielt werden. Kürzlich haben wir für einen der größten deutschen E-Commerce-Anbieter KI-Modelle anhand von 650.000 Artikeln mit über 3,1 Millionen Produktbildern unter Einsatz von modernsten Techniken wie NLP (Natural Language Processing) in Kombination mit CV (Computer Vision) trainiert.

MIC wächst und wächst, besteht da nicht die Gefahr, dass KI Ihr Geschäftsmodell gefährden könnte?
Roll: Wir sehen aufgrund der steigenden Handelsvolumina, komplexen Logistikströme sowie der zahlreichen gesetzlichen Änderungen – wie etwa Sanktionen, Brexit, neue Freihandelsabkommen – schon seit vielen Jahren einen erhöhten Bedarf an unseren automatisierten Zoll- und Exportkontrollsoftwarelösungen. Zusätzlich wird dieser Bedarf aufgrund multipler Krisen in Kombina­tion mit Digitalisierungsstrategien weiter verstärkt. Es werden sich durch den Einsatz von KI die Tätigkeitsfelder verändern, aber der Mensch wird weiterhin ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein.

Wo sehen Sie Chancen bzw. wo Risken, und glauben Sie, dass es eine Regulierung braucht?
Roll: Generell sehe ich bei KI mehr Chancen als Risiken, sofern das Potenzial der KI von Menschen richtig eingesetzt wird. Das Potenzial der KI ­könnte aufgrund der rasanten Entwicklung – Stichwort „Superintelligenz“ – die Menschheit überfordern. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass europäische Unternehmen nicht durch zu starke Regularien in diesem Bereich noch mehr ins Hintertreffen gelangen, somit Chancen liegengelassen und diese durch US- oder chinesische IT-Riesen ergriffen werden. Die Herausforderung wird sein, auf globaler Ebene eine vernünftige Balance zwischen der Geschwindigkeit der Innovationskraft von KI und notwendigen Regularien zu finden.

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