Industrie: Wo bleibt die große Strategie?
Vor einem Jahr wurde an dieser Stelle der Stillstand in Österreich kritisiert und über notwendige Maßnahmen diskutiert. Wie ist die Lage heute?
Thomas Bründl: Wir haben politisch zwölf verlorene Monate hinter uns: Bei den großen Themen herrscht kompletter Stillstand. Der Konjunkturausblick bleibt von Stagflation geprägt – wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitig hoher Inflation. Diese Kombination ist Gift für jeden Wirtschaftsstandort. Die Staatsausgabenquote ist indes auf 56 Prozent gestiegen und liegt um rund sieben Prozentpunkte über dem EU-Schnitt. Das sind in Summe 35 Milliarden Euro, die der österreichische Staat zusätzlich jedes Jahr ausgibt ohne nennenswerte Wachstumseffekte. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Nach fünf Jahren ohne Wachstum springt die Konjunktur nicht automatisch im sechsten Jahr wieder an. Italien hatte 20 Jahre Stillstand in den 1990er und 2000er Jahren durchlebt. Ich befürchte, die Politik glaubt immer noch, diese Situation aussitzen zu können – nach dem Motto: Die Konjunktur erholt sich von selbst, die Budgetdefizite verringern sich automatisch, und Reformen lassen sich umgehen. Doch dieser Eindruck ist grundfalsch. Damit unsere festgefahrene Volkswirtschaft wieder in Schwung kommt, braucht es wieder mehr Markt und weniger Staat. Darum ist es mir so wichtig, dass wir den Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ mit Leben erfüllen. Wir dürfen nicht glauben, dass Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit von allein kommen. Ich sage es oft mit einem Bild aus dem Sport: Stellen Sie sich einen Athleten vor, der Weltmeister werden will – der trainiert hart. Und wenn er Weltmeister ist, hört er erst recht nicht auf, sich anzustrengen. Im Gegenteil: Er muss noch mehr trainieren als vorher, sonst verliert er seinen Platz an der Spitze sofort wieder. Genau da stehen wir gerade: Wir können es uns einfach nicht leisten, weniger zu leisten als die anderen – sonst rutschen wir ab.
Aber sind nicht auch positive Signale zu sehen – und die Aussicht auf Bürokratie-Abbau und eine Industrie-Strategie?
Joachim Haindl-Grutsch: Es gibt durchaus einzelne erfreuliche Wachstums-Highlights von Unternehmen – allerdings primär in Markt- und Technologie-Nischen. Die oberösterreichische Industrie ist glücklicherweise breit aufgestellt und verfügt über einige beeindruckende Leuchttürme. Doch diese positiven Beispiele dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation in den Kernbranchen – Metallindustrie, Automotive und Chemie-Industrie – weiterhin äußerst schwierig ist. Ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu erkennen. In der aktuell schwierigeren Lage nützt eine Industrie-Strategie, die von der Koalition dreimal verschoben wurde und nun Anfang 2026 fertig sein soll, nichts. Die Regierung hätte sich vielmehr gleich bei ihrem Antritt fragen müssen: Was sind die wichtigsten Sofortmaßnahmen, die wir gleich in Angriff nehmen, damit Unternehmen im Land investieren und die schleichende Deindustrialisierung gestoppt wird? Parallel dazu brauchen wir aber auch Reformen, die mittelfristig greifen: die Pensionsreform und die Verwaltungsreform. Diese müssen wir jetzt angehen, auch wenn sie erst in einigen Jahren kostenwirksam werden.
Österreich liegt im „Global Innovation Index 2025“ auf Platz 19 von 139 Ländern. Bisher hat unsere Innovationskraft immer gereicht, dass sich unsere Wirtschaft trotz hoher Kosten international behaupten konnte. Warum jetzt nicht mehr?
Bründl: Aus zwei Gründen: Erstens, wir sind noch teurer geworden. Zweitens, andere Länder haben technologisch aufgeholt. Die Schere schließt sich von beiden Seiten. Wir sind selbstgefällig geworden und haben den Zug zum Tor verloren. Ja, wir sind technologisch top, das duale Ausbildungssystem ist ein Riesenvorteil, Innovation läuft noch gut. Aber das geniale Produkt wird von einem viel zu teuren und viel zu schweren Paket erstickt: Bürokratieberg, explodierende Lohnstückkosten und Energiepreise. Wir waren in Österreich nie Kostenführer, aber Qualitätsführer – das war unser glaubwürdiges Alleinstellungsmerkmal. Das Kernproblem: Wir sind nicht mehr um so viel besser, wie wir teurer sind. Um bei den Lohnstückkosten wieder mit Ländern wie Italien gleichzuziehen, bräuchten wir in Österreich 13 Nulllohnrunden in Folge. Das unrealistische Beispiel zeigt deutlich: Es reicht nicht, nur an der Lohnschraube zu drehen. Wir müssen strukturelle Veränderungen angehen – vor allem durch mehr Automatisierung und Digitalisierung. Und ja, wir werden wieder mehr und teilweise länger arbeiten müssen, wenn wir im internationalen Wettbewerb mit unseren direkten Nachbarländern mithalten wollen. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier nicht von Indien, China oder Mexiko, sondern von Ländern in unserer unmittelbaren Nähe.
Haindl-Grutsch: Unsere F&E-Quote ist top in Europa. Aber das ist lediglich eine Inputgröße. Wenn man diesen Input nicht in Output – also Wachstum und Produktivitätssteigerung – umsetzen kann, bringt das nichts. Österreich und auch Oberösterreich gelingt es in den vergangenen Jahren nicht mehr, die F&E-Anstrengungen in entsprechendes Wachstum und Produktivitätszuwächse zu übersetzen. Die Zahlen sind unmissverständlich. Die Standortprobleme muss der Bund lösen. Was wir als Bundesland leisten können, sind Maßnahmen in den Bereichen Forschung, Technologie, Qualifizierung und Infrastruktur: Unis ausbauen, neue Fachhochschul-Studiengänge schaffen, Straßen bauen, Technologien fördern. Genau deshalb gibt es die KI-Strategie, die von allen Seiten getragen wird. Oberösterreich verfügt über enorme Kompetenz und Power im Bereich KI. An Hochschulen und in den Betrieben – etwa an der Digitalen Meile entlang der Donau. Das ist ein echtes Powerhouse.