Altenrepublik: Österreichs Sozialstaat gerät ins Wanken
Inhalt
- Ungleichgewicht wächst
- Kostenfaktor Pensionen
- Gesund im Alter
- Fokus Arbeitsmarkt
- Viele Möglichkeiten, wenig Wille
Die Alterung der Gesellschaft stellt Österreich vor enorme Herausforderungen. Schon heute verschlingt die Finanzierung von Pensionen und Gesundheitsversorgung einen Großteil des Budgets. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Steigende Lebenserwartung bei sinkendem Anteil junger Erwerbstätiger bringt den Sozialstaat zunehmend ins Wanken. Fiskalratspräsident Christoph Badelt warnt sogar vor einer „demografischen Bombe“.
Ungleichgewicht wächst
„Prognosen von Statistik Austria zeigen, dass die Alterung der Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten deutlich voranschreiten wird. Im Jahr 2060 wird beinahe jede dritte Person über 65 Jahre alt sein“, erklärt Regina Fuchs, Leiterin der Direktion Bevölkerung bei Statistik Austria. „Besonders stark fällt der Anstieg bei den über 80-Jährigen aus: Diese Gruppe wird sich bis 2060 voraussichtlich verdoppeln“, so Fuchs weiter. Im Gegenzug gibt es immer weniger junge Menschen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten 60 Jahren um 11 Prozent – von 30 auf 19 – gesunken und wird sich auf diesem Niveau stabilisieren.
Mit einer steigenden Zahl älterer Menschen wächst auch der Bedarf an Gesundheitsversorgung, Pflegeleistungen und
altersgerechten Wohnformen.
Kostenfaktor Pensionen
Schon jetzt gehört Österreich zu jenen Ländern, die am meisten Geld in ihr Pensionssystem investieren müssen, um alle Ansprüche abdecken zu können. Teilweise kräftige Pensionserhöhungen haben diese Situation weiter verschärft. Im vergangenen Jahr floss jeder vierte Budget-Euro – rund 30 Milliarden Euro – in die Pensionen. „Aus meiner Sicht sollte mit einem Übergangszeitraum von mindestens zehn Jahren auch das gesetzliche Pensionsalter erhöht werden, z. B. auf 67 Jahre – dabei ist aber auf einen sozialen Ausgleich zu achten“, so Badelt. Gegensteuern könnte die Regierung auch mit einer Pensionsreform, die das faktische Pensionsantrittsalter erhöht. Denn nach wie vor gehen in Österreich vor allem Männer deutlich vor dem gesetzlichen Antrittsalter in Pension. „Das durchschnittliche Zugangsalter in eine Direktpension betrug 2023 bei Männern 62,2 Jahre und bei Frauen 60,2 Jahre“, so Fuchs. Geschieht hier nichts, rechnet der Fiskalrat mit einem rein demografisch bedingten Anstieg des Budgetdefizits um 2 bis 3 Prozent pro Jahr. Als Ausweg sehen Experten etwa eine Koppelung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung oder eine Verschärfung der Zugangsbedingungen bei der Frühpension.

Gesund im Alter
Ein weiterer Kostenfaktor, der das Budget belastet, sind die steigenden Gesundheitsausgaben. 2019 war die Generation 60+ für mehr als die Hälfte der Aufwendungen verantwortlich. Auch hier wird die demografische Entwicklung dafür sorgen, dass die Ausgaben weiter steigen – die parallel ebenfalls explodierenden Kosten für die Pflege noch gar nicht eingerechnet. Hinzu kommt, dass ältere Menschen in Österreich weniger gesund sind als ihre Altersgenossen in anderen Ländern. Die neue Bundesregierung setzt hier erste Maßnahmen: ÖVP, SPÖ und NEOS haben sich darauf geeinigt, den Krankenversicherungsbeitrag für Pensionisten auf 6 Prozent anzuheben.
Fokus Arbeitsmarkt
Das alles führt zum Kern des Problems: Die Erwerbstätigen können den „Generationenvertrag“ nur noch mit Mühe erfüllen. Das liegt nicht nur an der Alterung der Gesellschaft, sondern auch daran, dass die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen (46,3 Prozent) und die Vollzeitquote in Österreich deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegen. „Heute kommen auf eine Person ab 65 Jahren rund drei Personen im Erwerbsalter. Ab dem Jahr 2042 wird dieses Verhältnis voraussichtlich auf etwa zwei zu eins zurückgehen“, erklärt Fuchs. Durch die Attraktivierung der Vollzeitbeschäftigung und die Förderung der Erwerbstätigkeit Älterer könnte hier gegengesteuert werden.
Viele Möglichkeiten, wenig Wille
Es bedarf einer engen Zusammenarbeit zwischen Bevölkerung und Politik, um die langfristige Stabilität des Sozialstaats zu sichern. Derzeit ist jedoch sowohl aufseiten der Bevölkerung als auch in der Politik eine begrenzte Bereitschaft zu grundlegenden Reformen erkennbar. „Es ist sehr schade, dass sich auch in der gegenwärtigen Regierung noch keine Einhelligkeit betreffend notwendige strukturelle Maßnahmen, insbesondere im Pensionsbereich, abzeichnet“, kritisiert Fiskalratspräsident Badelt. Allerdings würden zumindest einige kleinere Schritte (z. B. Korridorpension) gesetzt. Viele Menschen, die über Jahrzehnte in das System eingezahlt haben, stehen Leistungskürzungen oder einer längeren Lebensarbeitszeit kritisch gegenüber. Gleichzeitig besteht auf politischer Ebene das Bestreben, die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren. Da ältere Menschen mittlerweile die größte Wählergruppe darstellen, sind tiefgreifende Veränderungen im Pensions- oder Gesundheitssystem politisch schwer durchsetzbar.