Neue Neutralität: Österreich ändert Sicherheitsstrategie
- Außenpolitik wird aktiver
- Landesverteidigung rüstet auf
- Absprache der Ministerien
- Europäische Aufrüstung
„Die Welt ist aus den Fugen“ – mit diesem Satz hat das Bundesheer bereits vor zwei Jahren im damaligen Sicherheitsbericht die Lage skizziert. Heute, zwei Jahre später, stimmt er mehr denn je. Krieg auf dem Kontinent, geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und hybride Bedrohungen wie Desinformation und Cyberangriffe haben das Sicherheitsumfeld grundlegend verändert.
Gleichzeitig begeht die Republik 2025 eine Reihe historischer Jubiläen: 80 Jahre Unabhängigkeit, 70 Jahre Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz, 30 Jahre EU-Mitgliedschaft. Inmitten dieses Spannungsfelds hat die Bundesregierung bei ihrer zweiten Klausur eine neue Sicherheitsstrategie beschlossen. Sie soll die Rolle Österreichs in einem veränderten Europa definieren. Aufhorchen lässt die Regierung vor allem mit einem neuen Verständnis von Neutralität – und dem Auftreten nach Außen.
Außenpolitik wird aktiver
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger hat bereits vor der Regierungsbeteiligung der NEOS keinen Hehl daraus gemacht, dass sie vor allem auf internationale Zusammenarbeit setzt. Das spiegelt sich in der Regierungsstrategie wider.
Österreich als Teil der EU
Die europäische Zusammenarbeit bleibt zentrale Säule der Außenbeziehungen. Österreich verstehe sich als aktiver Teil eines gemeinsamen Europas, dessen Sicherheit untrennbar mit der eigenen verbunden sei, betont Meinl-Reisinger. Die Bundesregierung bekenne sich daher klar zur Mitgestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).
Multilateralismus als Sicherheitsprinzip
Angesichts aktueller Bedrohung überdenkt Österreich seine Sicherheitsstrategien. Statt sich zurückzulehnen, strebt Meinl-Reisinger eine aktive Rolle im Weltgeschehen an. Mit der Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2027/28 will das Land seine Rolle als Vermittler und Ort des Dialogs ausbauen. Die Stärkung des Multilateralismus sei, so Meinl-Reisinger, „eine Lebensversicherung in einer unsicherer gewordenen Welt“.
Neutralität wird aktiv gelebt
Einen Gegensatz zur Neutralität sieht sie darin nicht. Sie bleibt Herzstück der österreichischen Außenpolitik, soll aber im Lichte aktueller Bedrohungen weiterentwickelt werden. „Neutralität allein schützt nicht“, betonen sowohl Meinl-Reisinger als auch Tanner. Die Beteiligung an solidarischen Maßnahmen im Krisenfall sei nicht nur rechtlich möglich, sondern politisch geboten – sofern sie im Rahmen der verfassungsmäßigen Bestimmungen erfolgt.
Beteiligung an internationalen Missionen
Österreich wird seine Beteiligung an NATO-Missionen im Rahmen der „Partnership for Peace" entsprechend wie gehabt fortführen. Seit 1960 haben mehr als 100.000 Soldaten daran teilgenommen. Im Mittelpunkt stehen weiterhin logistische Beiträge und Aufklärungsunterstützung; Bereiche, in denen Österreich besondere Fähigkeiten mitbringt.
Landesverteidigung rüstet auf
Mit dem Bundesverteidigungsfinanzierungsgesetz wurde ein Meilenstein gesetzt, betont Verteidigungsministerin Klaudia Tanner hinsichtlich der Wehrhaftigkeit. Der Aufbauplan bis 2032 sichert kontinuierliche Budgetsteigerungen. Heißt: Auch unter dem rigorosen Sparkurs soll mehr Geld in die Rüstung fließen. Investiert wurde bereits in Kampf- und Schützenpanzer, Radpanzer, 36 Black Hawk-Hubschrauber, neue Leonardo-Helikopter und LKW.
Budgetziel: Zwei Prozent bis 2032
Die Bundesregierung bekräftigt die im Regierungsprogramm verankerte Zielvorgabe, das Verteidigungsbudget bis 2032 auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Die Erhöhung erfolge schrittweise und mit Blick auf langfristige Bedrohungsszenarien. Österreichs Aufbauplan sei anschlussfähig an europäische Entwicklungen.
Geistige Landesverteidigung
Damit aber nicht genug, wird künftig auch an der Wehrhaftigkeit Österreichs geschraubt. Sicherheitspolitik wird nicht länger nur militärisch verstanden. Tanner und Staatssekretär Leichtfried betonten die Bedeutung der „geistigen Landesverteidigung“. Hybridbedrohungen wie gezielte Desinformation, Cyberangriffe und Angriffe auf kritische Infrastruktur verlangen neue Antworten – von der technischen Ausstattung bis zur gesellschaftlichen Resilienz.
"Wehrhaftigkeit darf nicht am Kasernenzaun enden", betont Tanner. Der Schutz demokratischer Werte, sozialer Stabilität und staatlicher Souveränität müsse auch im Bildungssystem verankert werden. Schulen sollen künftig verstärkt zur Vermittlung von Medienkompetenz und demokratischer Widerstandskraft beitragen.
Einbindung der Bevölkerung
Wie umfassend der sicherheitspolitische Ansatz ist, zeigt auch die geplante Einbindung: Die Sicherheitsstrategie wird dem Nationalrat vorgelegt und soll dort parteiübergreifend diskutiert und verankert werden. Neben der parlamentarischen Debatte sind auch Bürgerdialoge und Townhalls geplant, um Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen.
Absprache der Ministerien
Jörg Leichtfried, SPÖ-Staatssekretär für Staatsschutz im Bundesministerium für Inneres, betonte im Rahmen der gemeinsamen Präsentation der Sicherheitsstrategie die Bedeutung des Verfassungsschutzes. Ziel sei ein Sicherheitsverständnis, das Außen-, Innen- und Verteidigungspolitik vernetzt denkt.
Europäische Aufrüstung und wirtschaftliche Aspekte
Die Bundesregierung begrüßt die EU-Initiative „Re-Arm Europe“. Meinl-Reisinger sieht darin eine Chance für Österreich, insbesondere im Bereich Cybersecurity, Cloud-Infrastruktur und strategischer Industrie. Österreich wolle sich hier aktiv einbringen, sowohl finanziell als auch mit Expertise. Details bleibt die Ministerin noch schuldig.