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Kifferin beim Kiffen | Credit: GEOFF ROBINS / AFP / picturedesk.com
Ein Land will sich straflos zudröhnen – das zumindest plant die deutsche Regierung.
Ein Land will sich straflos zudröhnen – das zumindest plant die deutsche Regierung.
GEOFF ROBINS / AFP / picturedesk.com

Straflos Kiffen: wenn der Joint vom Staat kommt

14.11.2022 um 15:13, Gert Damberger
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Gibt die EU-Kommission grünes Licht, wird Deutschland in absehbarer Zeit Cannabis legalisieren. Ziel ist es, den Schwarzmarkt auszutrocknen.

Man konnte ja damit rechnen. Aber als die Cannabis-Legalisierung von der deutschen „Ampel-Koalition“ (SPD, FDP und Grüne) dann tatsächlich angekündigt wurde, war man im In- und Ausland dennoch von den Socken. Cannabis sollte, so die Vorstellungen der Koalition, zukünftig legal verkauft werden wie Energydrinks oder Bier. Das Vorhaben entfachte eine hitzige Debatte. Während Konservative den Absturz der fleißigen Deutschen in den Drogensumpf an die Wand malten, begrüßten liberale Geister die Entkriminalisierung der „weichen Droge“ Cannabis als Sieg der Vernunft. 

„Genusscannabis“ im freien Verkauf

Ein Jahr nach der Ankündigung liegen nun die „Eckpunkte“ des Plans vor. Für Erwachsene ab 18 Jahren ist Erwerb und Besitz von „Genusscannabis“ bis 30 Gramm straffrei, auch Eigenanbau wird erlaubt. „Produktion, Lieferung und Vertrieb werden innerhalb eines staatlich kontrollierten Rahmens zugelassen“ und der Verkauf findet in „lizenzierten Fachgeschäften“ statt, in die man erst ab 18 Jahren darf und in denen weder Alkohol noch Tabak zu kaufen ist. Handel ohne staatliche Lizenz bleibt strafbar, Werbung für’s Kiffen soll es nicht gaben.

Im Sinne des Gesundheitsschutzes

Die Liberalisierung zielt vor allem auf die Ausschaltung des Schwarzmarkts ab. Laut den Schätzungen des deutschen Hanfverbands werden pro Jahr in Deutschland bis zu 400 Tonnen Cannabis konsumiert. Bis zu 2,5 Milliarden Euro wandern jährlich in die Taschen der Drogenmafia. Die sich nicht scheut, mit Heroin oder Blei versetzte Ware in Umlauf zu bringen und immer stärkere Sorten mit hohem THC-Gehalt anzubieten. Mit der kontrollierten Abgabe wollen die deutschen Behörden unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den problematischen Drogenkonsum in den Griff bekommen und die Gesundheit der Konsumenten/-innen besser schützen.

Plantage | Credit: Hendrik Schmidt / dpa / picturedesk.com
Das Cannabis soll in Deutschland in lizenzierten Farmen angebaut werden, um den Schwarzmarkt auszutrocknen.

Premiere in Colorado

Deutschland ist nicht der erste Staat, der die „weiche“ Droge legalisieren will. Pionier war der US-Bundesstaat Colorado 2012, dann folgten elf andere Bundesstaaten nach. Erster Nationalstaat, in der eine Regierung das Kiffen erlaubte, war Uruguay. Dort kann seit 2014 Marihuana in Apotheken gekauft werden. 2018 war dann Kanada mit der Liberalisierung dran – als bisher reichste Industrienation und erstes Land im Club der G7.

Negativbeispiel Holland

Für Deutschland sind die Erfahrungen dieser Länder mit der Freigabe richtungweisend. In Kanada beispielsweise reichte die Zahl der staatlichen Shops nicht aus, um die riesige Nachfrage zu befriedigen, so dass die enttäuschten Kunden sich wieder bei ihren alten Dealern versorgten. Dort gab es auch niedrigere Preise und eine größere Produktvielfalt. Wie wichtig es ist, nicht nur den Cannabis-Konsum zu tolerieren, sondern auch eine legale „Suppy chain“ zu organisieren, zeigt das Beispiel der Niederlande. Die „Coffeeshops“ in Amsterdam oder Maastricht sind legendär und waren jahrzehntelang eine Touristenattraktion.

Schönheitsfehler

Es gab nur einen großen Haken. Die Shop-Betreiber mussten sich auf dem Schwarzmarkt bedienen, weil Anbau und Handel weiterhin verboten blieben. Diese spezielle Situation rief internationale Drogenbanden auf den Plan, die sich nicht darauf beschränkten, Haschisch aus Marokko ins Land der Tulpen zu schmuggeln. Heute sind die Niederlande der europäische Umschlagplatz Nummer eins für harte Drogen wie Kokain und Heroin und ein Hotspot der Produktion von synthetischen Drogen. Unter den kriminellen Gruppen tobt heute ein mörderischer Kampf um Marktanteile.

Vieles noch offen

Deutschland wird die Liberalisierung sehr gut vorbereiten müssen, um nicht die Fehler anderer Länder zu wiederholen. Vieles muss erst noch geklärt werden. Ob zum Beispiel nur Spezialshops Genusscannabis verkaufen sollen oder auch Apotheken (was der deutsche Apothekerverband gar nicht will). Auch die Frage, wie man mit Drogentourismus umgehen will, ist noch offen. Dürfen Österreicher dann in Deutschland hamstern?

In Österreich ist das kein Thema

Grund dafür hätten sie. Obwohl auch hier die Grünen seit zwei Jahren in der Regierung sitzen, ist die Cannabislegalisierung kein Thema der österreichischen Politik. Weil die ÖVP strikt dagegen ist, schaffte es das traditionell grüne Anliegen nicht mal als Fußnote ins Regierungsprogramm. Unter den Oppositionsparteien schwenken nur die Neos unbeirrt die „Legalize it“-Fahne, die SPÖ (mit Ausnahme der Parteijugend) und vor allem die FPÖ verfolgen eine strenge Anti-Drogenpolitik. Die türkis-blaue Regierung plante laut Regierungsprogramm 2017 sogar das Verbot von Hanfsamen und Hanfpflanzen, was den boomenden „Growshops“ und Hanfzüchtern den Garaus gemacht hätte. Mit der Selbstsprengung der Regierung nach „Ibiza“ wanderte der Plan in den Papierkorb. Die Branche konnte aufatmen.

Vorbildwirkung ...

Für die österreichischen Cannabis-Konsumenten wäre die Legalisierung in Deutschland ein Fanal. Aber auch heimische Sozialarbeiter und Gesundheitsexperten würden den Paradigmenwechsel gutheißen, wegen der damit gegebenen Kontrolle über die Qualität der Droge und das Alter der Konsumenten. Österreich werde früher oder ähnlich „lösungsorientiert“ agieren müssen. Ewald Lochner, Sucht- und Drogenkoordinator der Stadt Wien, drückte es diplomatisch aus: „Die österreichische Bundesregierung wird gefordert sein, die bestehende Situation neu zu bewerten.“

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