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Junger Vater sitzt am Laptop am Küchentisch, während im Hintergrund seine Partnerin mit einem Kleinkind auf dem Sofa spielt
Rund 336.000 Menschen in Österreich können sich laut der jüngsten Erhebung der Statistik Austria grundlegende Dinge des Alltags nicht mehr leisten.
Rund 336.000 Menschen in Österreich können sich laut der jüngsten Erhebung der Statistik Austria grundlegende Dinge des Alltags nicht mehr leisten.
iStock.com/AnnaStills

Arm trotz Arbeit? Jeder Sechste lebt an der Grenze

04.05.2025 um 09:30, Patrick Deutsch
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336.000 Menschen in Österreich sind 2024 in absoluter Armut. Besonders gefährdet sind Menschen, die nur einen Pflichtschulabschluss vorweisen können.

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In Österreich lebt ein erheblicher Teil der Bevölkerung in Armut oder am Rand davon. Das geht aus der aktuellen EU-SILC-Erhebung 2024 der Statistik Austria hervor. Demnach konnten sich 336.000 Menschen grundlegende Dinge des täglichen Lebens nicht leisten – sie gelten als erheblich materiell und sozial benachteiligt. Das entspricht 3,7 % der Gesamtbevölkerung und bedeutet: Für diese Menschen ist ein Mindeststandard, wie ihn die Europäische Union definiert, außer Reichweite.

„Absolute Armut“

Die EU misst sogenannte „erhebliche materielle und soziale Benachteiligung“ anhand von 13 Kriterien. Wer sich mindestens sieben dieser Dinge nicht leisten kann – darunter unerwartete Ausgaben, ein jährlicher Urlaub, eine warme Wohnung oder passende Kleidung – fällt unter den Begriff absolute Armut. Besonders dramatisch: In vielen Fällen betrifft das ganz normale Haushalte – Alleinerziehende, ältere Menschen, Erwerbstätige mit geringem Einkommen oder junge Erwachsene ohne Ausbildungsplatz. „Jede Form von weiterführender Bildung reduziert das Armutsrisiko deutlich“, sagt Tobias Thomas, Generaldirektor von Statistik Austria.

Bildung als Armutsbremse

Die Studie zeigt auch, dass Bildung der zentrale Schutzfaktor gegen Armut ist. Wer maximal einen Pflichtschulabschluss hat, ist mit 9,7 % fast viermal so häufig von absoluter Armut betroffen wie jene mit Lehre, Matura oder Studium. Gleichzeitig verdienen diese Menschen im Schnitt auch knapp 6.000 Euro weniger pro Jahr als Personen mit mittlerem Bildungsabschluss – und sogar fast 14.000 Euro weniger als Akademiker:innen. Das äquivalisierte Nettohaushaltseinkommen – eine bereinigte Kennzahl, um Haushalte vergleichbar zu machen – beträgt im Durchschnitt 33.210 Euro pro Jahr. Pflichtschulabsolvent:innen erreichen davon nur 27.399 Euro. Akademiker:innen dagegen verfügen im Mittel über 41.078 Euro – ein Vorsprung von 24 %.

Arbeit schützt – aber nicht alle

Armutsgefährdung bedeutet nicht zwangsläufig Arbeitslosigkeit. Auch Menschen mit einem festen Job können unter die 60-Prozent-Grenze des mittleren Haushaltseinkommens fallen. Diese liegt derzeit bei 1.661 Euro pro Monat für Alleinlebende. 1.288.000 Menschen in Österreich – das sind 14,3 % der Bevölkerung – liegen unter dieser Schwelle. Hinzu kommt ein weiterer Risikofaktor: die geringe Erwerbsintensität eines Haushalts. Wenn weniger als 20 % des Erwerbspotenzials (also Arbeitskraft) eines Haushalts genutzt wird, steigt das Armutsrisiko sprunghaft. Das betrifft 2024 390.000 Menschen unter 65 Jahren, davon besonders oft jene mit geringem Bildungsniveau.

Jugend in der Warteschleife

Besondere Sorgen bereitet auch die Lage junger Menschen: 179.000 Österreicher:innen zwischen 16 und 29 Jahren waren im Jahr 2023 über mindestens sechs Monate weder in Ausbildung noch beschäftigt. Fast ein Drittel dieser sogenannten NEETs (Not in Education, Employment or Training) ist armuts- oder ausgrenzungsgefährdet – deutlich mehr als im Schnitt dieser Altersgruppe. Diese jungen Menschen drohen langfristig den Anschluss zu verlieren – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Wer einmal aus Bildung und Erwerbsleben herausfällt, findet oft nur schwer wieder hinein.

Strukturelles Problem

Wichtig ist laut Statistik Austria: Die Kennzahlen sagen nichts darüber aus, ob jemand mit seinem Einkommen „auskommt“ oder nicht. Denn Lebenshaltungskosten variieren – je nachdem, ob man zur Miete oder im Eigentum lebt, Pflegekosten hat oder Familie unterstützt. Außerdem: Steigt das allgemeine Medianeinkommen, kann es paradoxerweise dazu führen, dass mehr Menschen als armutsgefährdet gelten – obwohl sich ihr Einkommen nicht verändert hat. Dennoch zeigen die Zahlen ein klares Bild: Wer weniger Bildung hat, wer nicht oder nur wenig arbeitet, oder wer zu den „working poor“ gehört, lebt in Österreich mit deutlich höherem Risiko, in Armut oder soziale Isolation abzurutschen.

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