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Prostock-Studio, iStock / Getty Images Plus

Voll Bewegt - Schulter im Fokus

01.06.2023 um 14:21, Friederike Ploechl
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Balanceakt. Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk in unserem Körper. Beschwerden und Verletzungen in der Schulter sind häufig und weit verbreitet.

Selbst das Tragen einer Handtasche kann Auslöser für Schulterschmerzen sein. Wenn man ohnehin dazu neigt, dass der Rücken oder die Schultern Schmerzen verursachen, greift man idealerweise zu einem schicken Rucksack, der das Gewicht gleichmäßiger auf beide Schultern verteilt. Auch die stylishen Crossbody Bags, also Handtaschen, die diagonal über der Brust getragen werden, sind nach wie vor sehr gefragt und vereinen coole Lässigkeit mit Tragekomfort und bringen Entlastung für Schultern und Nacken, da sie auch dichter am Körper anliegen. Auch die Halfmoon Bag kann in den unterschiedlichsten Varianten getragen werden und ist eine perfekte Begleiterin zu jedem Anlass. Taschen, die in der ­Armbeuge getragen werden, sollten eher leicht und klein sein! Zu vermeiden sind auf jeden Fall die Shopper: große Handtaschen, die teilweise bis zu einem halben Meter groß sind. Bei hochgewachsenen sport­lichen Models am Laufsteg, wo diese Ungetüme meist mit Seidenpapier ausgestopft sind, schaut das schnell mal sehr cool aus. Aber im Alltag, wo dann auch noch ordentlich hinein­gepackt wird, ist schnell mal Schluss mit lustig! Vor ­allem, wenn das ­Gewicht in Richtung mehrere Kilos geht, wird das Ganze zur wahren Schwerstarbeit für ­Muskeln, Sehnen und Gelenke! Sogar der gesamte Rücken kann hier in Mitleidenschaft gezogen werden. Besonders dann, wenn man seinen Rücken nicht trainiert hat, führt das zu Verspannungen und/oder Kopfschmerzen und sogar Bandscheibenvorfälle können so ausgelöst werden.

Arbeit und Freizeit. Fast jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens ein- oder mehrfach an Schulterschmerzen leiden. Laut Facharzt ­zählen Frauen schon allein durch ihr Geschlecht zur gefährdeten Risikogruppe, so wie auch Menschen in bestimmten Berufen eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, Beschwerden zu entwickeln und sogar verletzungsanfälliger sind. Dazu zählen etwa Berufe mit besonderen Anforderungen an den Schultergürtel – dazu gehören monotone, sich wiederholende körperliche Be­tätigungen wie beispielsweise bei Arbeiten am Fließband, Überkopf­tätigkeiten bei handwerklichen Berufen wie bei Malern, Elektrikern oder Automechanikern, aber ebenso statische, unergonomische Haltungen, wie sie Friseurinnen häufig bei der Ausübung ihres Berufs einnehmen müssen; genauso aber auch bei generell kraftorientierten Tätigkeiten und Vibrationsbelastungen, wie sie etwa Bauarbeiter ausgesetzt sind.

Couch-Potatos. Wir Menschen zählen bekanntlich nicht unbedingt zu den bewegungsfreundlichsten Lebewesen. Laut einer Studie der Welt­gesundeitsorganisation bewegen sich weltweit mehr als 1,4 Milliarden Menschen viel zu wenig und das hat weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Damit sind
aber nicht bloß Übergewicht und ein schlechter Ernährungszustand gemeint, sondern vor allem der große Anteil an nicht genutzter Muskulatur. Dabei wären schon drei Stunden mäßige sportliche Aktivität pro Woche ein Schritt in die gesunde Richtung. Der moderne Alltag in unserem Berufsleben hat natürlich einiges dazu beigetragen, dass wir unseren Körper nicht mehr ausreichend bewegen. Oftmals trainieren wir die Müdigkeit nicht weg, sondern lümmeln uns auf die Couch und versuchen unseren Frust darüber, auch gleich noch mit fettem und süßem Zeugs wegzufuttern. Eine gute Ausrede habe ich zumindest: Ich bin eine Frau! Abgesehen von der genetischen Disposition, sind Frauen auch meist schneller bereit, für die Familie auf eigene Aktivitäten zu verzichten. Zum Glück wird das in den jüngeren Generationen immer weniger so gehandhabt und die jetzt heranwachsenden Männer sehen es als selbstverständlich an, ihren Beitrag zum Haushalt und bei der Kinderbetreuung aktiv und freudig zu leisten.

Kinder bewegt euch! Aber es tut sich eine weitere Baustelle auf: In zunehmendem Maß leiden immer mehr Kinder und Jugendliche unter Bewegungsmangel. Auch die Streichung von Turnstunden und Skikursen sind da nicht gerade förderlich und es ist höchst an der Zeit für einen Richtungswechsel. Wer da kein Verständnis dafür hat, der möge sich bitte vor Augen führen, dass diese Kinder einmal die Erwachsenen sein werden, die dem Staat, also uns allen, hohe Kosten verursachen werden für ihre Krankenstände und ihren vorzeitigen Aus- bzw. Wegfall vom ersten Arbeitsmarkt.

Schmerz(en) ade! Kaum eine ­andere Sinneswahrnehmung empfinden die meisten Menschen so unangenehm wie Schmerzen. Verständlich, denn diese verursachen ja eine andauernde Beeinträchtigung des täglichen Lebens. Oftmals ist auch eine Erholung im Schlaf nicht möglich und treibt den Teufelskreis weiter voran. Schulterschmerzen zählen auch dazu und diese können in jedem Lebens­alter auftreten. Auch die Häufigkeit akuter und chronischer Schulterschmerzen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Schulterschmerzen, Steifheit im Schulter- und Nackenbereich, Taubheitsgefühl im Arm, das sind einige der häufigsten Beweggründe, warum wir einen Schulterspezialisten aufsuchen. Das ist auch richtig, denn Schmerzen in der Schulter sind unbedingt ernst zu nehmen. Viele Erkrankungen können, wenn sie rechtzeitig erkannt werden, im Frühstadium effektiv und wirksam behandelt werden. Meist ist dann eine vom Facharzt verordnete Physiotherapie ausreichend. Wenn man allerdings den optimalen Behandlungszeitraum verpasst hat, besteht die Gefahr, dass bleibende Einschränkungen auftreten können, die in der Folge eine Operation notwendig machen.

Fit bis ins hohe Alter. Gar nicht so selten resultieren Schulterschmerzen nicht aus einer Erkankung des eigentlichen Schultergelenks, sondern schulternahe Bereiche wie Sehnen, Bänder oder die Muskulatur des Schultergürtels sind die eigentlichen Auslöser. Wer nachts keinen Schlaf findet und nicht mehr weiß, wie er sich betten soll, für denjenigen sind die Schmerzen besonders quälend, weil man auch nicht mehr durchschlafen kann und bei jeder Umdrehung immer wieder aus dem Schlaf gerissen wird. Das betrifft aber nicht nur ältere Menschen, sondern auch Menschen, die aufgrund einer Sportverletzung oder wegen einer sonstigen Abnützung darunter leiden. Auslöser dafür können zum Beispiel auch eine Schleimbeutelentzündung, eine Kalkschulter oder Schulterarthrose sein. Eine Schulterarthrose entsteht durch die fortlaufende Abnutzung des Schultergelenks mit einhergehendem Knorpelverlust, zunehmender Versteifung und entsprechendem Kraftverlust. Auch die immer höhere Lebenserwartung führt dazu, dass Menschen im fortgeschrittenen Alter an Abnützungserscheinungen laborieren und das greift auch über in normale Alltagshandlungen und kann etwa Schwierigkeiten beim An- und Auskleiden bereiten. Darum ist es wichtig, rechtzeitig für Abklärung beim Facharzt zu sorgen. Was jeder Erwachsene selbst für sich tun kann, ist, regelmäßige körperliche Bewegung so oft und so lange wie möglich in seinen Alltag einzubauen.

Herr Dr. Hausberger, sind Schulterschmerzen tatsächlich so häufig, wie man Menschen darüber klagen hört oder entsteht da ein verzerrter Eindruck? Schulterschmerzen sind generell ­häufig, fast jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens ein- oder mehrfach ­daran leiden. Der Altersgipfel liegt etwa zwischen 50 und 60 Jahren. Die häufigsten Diagnosen sind Defekte der Rotatorenmanschette und/oder Impingement-Syndrome. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit von Defekten der Rotatorenmanschette. Über 70-Jährige haben in bis zu 30 Prozent der Fälle einen kompletten Sehnenriss, aber nur ein verhältnismäßig kleinerer Teil davon ist auch symptomatisch. Zu Risikofaktoren für Schulterschmerzen zählen das weibliche Geschlecht, Übergewicht, höheres Alter, andere Erkrankungen wie Diabetes mellitus und rheumatische Erkrankungen.

Was sind die häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten zu Ihnen in die Praxis kommen? Im Wesentlichen unterscheiden sich zwei Gruppen. Auf der einen Seite suchen Patient*innen mit eher unspezifischen Schmerzen über längere Zeiträume und oft bereits mit diversen Vorbehandlungen um Rat, auf der anderen Seite kommen Patient*innen mit akut aufgetretenen Schmerzen mit oder ohne Trauma. Unspezifische Schmerzen entstehen häufig infolge von Reizungen und Entzündungen von Sehnen, Muskeln und Schleimbeuteln nach Überlastung oder durch Fehlbelastungen im Rahmen von funktionellen Defiziten. Die häufigsten akuten Schmerzen treten nach Sehnenrissen, Schulter- oder Schultereck-Gelenksverrenkungen, bei Kalkschulter und Knochenbrücken (vor allem am Schlüsselbein und am Oberarmkopf) auf.

Lässt sich ein schmerzhaftes Schulterproblem auch mit Hausmittelchen heilen? Das ist abhängig von der Beschwerdeart und -dauer und der ihr zu­grunde liegenden Ursache. Unbedingt vom Experten abgeklärt gehören Schmerzen nach einem Unfall (insbesondere bei „rissartigen“ Schmerzen, bei schmerzhafter Immobilität des Arms und äußer­lichen Verletzungszeichen wie Blutergüssen) sowie auch bei länger anhaltenden Schmerzen mit oder ohne Trauma. Bei leichteren Beschwerden im Speziellen ohne erinnerliches Trauma kann primär natürlich auch ein selbstständiger Behandlungsversuch mit lokal abschwellenden Maßnahmen und Belastungsreduktion erfolgen.

Hat nicht auch die psychische Gesundheit Auswirkungen auf Rücken und Schultern? Das Schultergelenk hängt mit dem restlichen Schultergürtel im wahrsten Sinn des Wortes eng mit dem Nacken und der Brustwirbelsäule über viele Muskeln zusammen. Stress und die sprichwörtliche Last auf den Schultern führen häufig zu erhöhter Muskelspannung und dadurch zu Muskelschmerzen und veränderten Gelenksstellungen – was wiederum zu lokalen Überlastungen und Entzündungen, Nervenkompressionen und Durchblutungsstörungen führen kann. Über einen längeren Zeitraum entsteht dann ein Teufelskreis aus Schmerz, erhöhtem Muskeltonus, Entzündung und Fehlhaltung. Beschwerden treten dann neben der Schulter auch an Hals- und Brust­wirbelsäule, um die Schultergelenke, manchmal auch mit Ausstrahlung in den Arm oder den seitlichen Brustkorb oder auch ins Kiefergelenk auf. Auch Kopfschmerzen und Schwindel können Folgen sein.

Ist das für den orthopädischen Facharzt ein Nebenschauplatz? Nein, denn eine Untersuchung der Halswirbelsäule und der umgebenden Strukturen gehört zu jeder vollstän­digen Schulteruntersuchung dazu. Ergibt sich daraus ein Verdacht, muss natürlich weiter abgeklärt werden. Neben klinischen Untersuchungstechniken sind dann eventuell auch weiterführende bildgebende Untersuchungen notwendig. Durch eine enge interdiszipli­näre Zusammenarbeit zwischen Orthopäden, Neurologen, Neurochirurgen und bei komplexen funktionellen Ursachen auch Fach­ärzten für Physikalische Medizin wird die entsprechende Diagnose gestellt. Somit kann eine zielgerichtete Behandlung mit Entzündungshemmung, Belastungsanpassung, Physiotherapie und modernen physikalischen Methoden wie extrakorporaler Stoßwellentherapie in die Wege geleitet werden. In manchen Fällen ist eine operative Behandlung notwendig. Bei stress­assoziierten und psychosomatischen Beschwerden können Methoden wie Entspannungstechniken, Akupunktur oder das Aufarbeiten der psychischen Auslöser durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten helfen.

Welche Ursachen können hinter einem Taubheitsgefühl in der Schulter oder im Arm stecken? Taubheitsgefühle in der Schulter-/Arm-Region treten häufig bei Nerven­engpass-Syndromen auf. Der Druck auf die Nerven kann dabei durch Einengungen an der Wirbelsäule (z. B. Bandscheibenvorfall) oder im Verlauf der Nerven (z. B. Karpaltunnel-Syndrom) entstehen. Auch funktionelle Kompressionen bei hohem Muskeltonus und Gefäß­erkrankungen können zu veränderter Sensibilität führen.

Muss man bei akuten Schmerzen in der linken Schulter auch an einen Herzinfarkt denken? Ein Herzinfarkt kann in der Tat zu Schulter-/Armschmerzen führen. Ursächlich dafür sind die sogenannten Head-Zonen – so werden Haut­areale bezeichnet, in denen es zu Schmerzen bei Erkrankungen innerer Organe kommt. Die linke Schulter ist dabei als Head-Zone des Herzens bekannt. Auch andere Organe können Schmerzen im Schulterbereich auslösen, wie etwa Gallenerkrankungen, Lungenentzündungen, Zwerchfellerkrankungen und Embolien. In der Regel treten bei einem Herzinfarkt typischerweise auch weitere Symptome wie Atemnot, Übelkeit, Angst, Herzrasen und ein Stechen in der Brust etc. auf. Außerdem sei erwähnt, dass besonders bei Frauen Herzinfarkte häufig ganz andere körperliche Symptome auslösen wie bei Männern – dazu zählen z. B. Schmerzen zwischen den Schulterblättern, Kieferschmerzen und Übelkeit.

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