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FOBO: Die Angst vor Entscheidungen

31.03.2021 um 09:04, Teresa Frank
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Netflix oder Amazon Prime? Iphone oder Android? Ein Abend mit Freunden oder zu Hause bleiben? Wer lange Zeit damit verbringt, verschiedene Optionen abzuwägen und dann doch keine Entscheidung zu treffen, leidet wahrscheinlich unter „FOBO“.

Wie auch schon die Angst, etwas zu verpassen (FOMO – Fear of missing out), prägte der US-amerikanische Autor und Risikokapitalgeber Patrick McGinnis auch den Begriff FOBO – Fear of better options. Er beschreibt das Phänomen, keine Entscheidung treffen zu können, aufgrund der Angst, sie könne nicht die „richtige“ sein. Dadurch könnten dann Nachteile entstehen. Ewiges Überlegen und Abwägen führt dann oft dazu, dass man am Ende gar keine Auswahl trifft.

Luxusproblem

Mit diesem Phänomen sehen sich vor allem die privilegierten Industriestaaten konfrontiert. Egal ob es sich um Produkte, Freizeitgestaltung oder auch große Lebensentscheidungen handelt, in unserer westlichen Gesellschaft stehen derart viele Auswahlmöglichkeiten bereit, dass wir damit schnell einmal überfordert sind. Einfach gesagt: Je wohlhabender und privilegierter, desto größer ist das FOBO-Risiko. Reizüberflutung. Mit dem sogenannten „Choice Overload“, also dem Überfluss an Optionen und Auswahlmöglichkeiten, haben sich auch Wissenschaftler des California Institutes of Technology befasst. In ihren Experimenten ließen sie die Probanden Entscheidungen treffen, währenddessen ihre Hirnaktivität mittels Magnet­resonanztomographie gemessen wurde. Die Ergebnisse der Studie wurden so interpretiert, dass zwar grundsätzlich eine große Auswahl bevorzugt wird, sich der Zeitaufwand für die Auswertung der Möglichkeiten jedoch nicht lohnt. Ein gesundes Mittel an Auswahlmöglichkeiten scheint daher am besten für unser Gehirn zu sein.

Das Gras der anderen Seite

 Auch die sozialen Medien tragen einen großen Teil zur gehemmten Entscheidungsfindung bei. Durch den ständigen Vergleich mit anderen Menschen, scheint der Drang, immer nach besseren Optionen zu suchen, noch weiter verstärkt zu werden. Es entsteht der Eindruck, alle anderen würden mehr besitzen und glücklicher sein, was zur Unzufriedenheit mit dem eignen Leben führt. Um das zu kompensieren, strebt man selber immer nach dem Maximum und versucht, aus allen Entscheidungen das Bestmögliche herauszuholen. „Ein Hauptgrund, der das Entscheiden schwermacht, ist Perfektionismus. Es reicht nicht, eine gute Entscheidung zu treffen, sondern es muss gleich die beste mögliche sein. Glücklich sind Perfektionisten selten, weil die Welt und sie selber selten perfekt sind“, erklärt Anja Ischebeck, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Graz.

Angst vor Fehlern

Wer sich konstant davor sträubt, Entscheidungen zu treffen, gibt irgendwann einen großen Teil seiner individuellen Freiheit ab. „Entscheidungen zu vermeiden ist nie gut, denn wenn man sich nicht entscheidet, werden irgendwann die Dinge durch das Leben sowieso entschieden und oft anders, als man selbst wollte. Man vermeidet damit die Verantwortung für sein eigenes Tun“, erklärt die Psychologin. FOBO ist zwar auch in harmloseren Zusammenhängen, wie beim Einkaufen beispielsweise, zeit- und kräfteraubend, wirklich beeinträchtigend wirkt es sich aber erst aus, wenn es um größere Lebensentscheidungen geht.

Weg zur Entscheidung

Wie kommt man nun aus dieser ewigen Entscheidungsspirale wieder hinaus? „Man kann durchaus lernen, schneller und besser zu entscheiden. Man trifft nicht ohne Grund in der Regel bessere Entscheidungen, je älter und erfahrener man ist. Wichtig ist, sich selbst zu kennen, denn dann kann man seinen Emotionen mehr vertrauen“, erklärt Ischebeck. Dabei spielt auch die Intuition eine wichtige Rolle. Sie ist das Ergebnis unserer Lebenserfahrungen und bietet uns eine Art Expertise – ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen. Ischebeck fügt hinzu: „Je mehr wir wissen und erfahren, desto besser funktioniert unsere Intuition. Das muss man sich hart erarbeiten.“ 

Interview mit Anja Ischebeck, Professorin für Psychologie Universität Graz

Wie hat sich der Entscheidungsprozess der Menschen im Laufe der Zeit verändert?
Das Lebenstempo hat sich sicher erhöht und damit steigt auch die Notwendigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen. Schnell zu entscheiden, ist aber evolutionär schon immer wichtig gewesen, beispielsweise um Gefahren einzuschätzen und ihnen auszuweichen. Ist man da zu langsam, ist man tot. Wir sind darin auch gar nicht so schlecht. Was sich geändert hat, ist das Bewusstsein für Entscheidungsfehler und kognitive Verzerrungen, die typisch sind, vor allem für schnelle Entscheidungen. Wir beachten zum Beispiel mehr die zuletzt gesehenen Kauf­optionen oder Kandidaten bei Vorstellungsgesprächen.

Kann die Angst vor falschen Entscheidungen zu einem richtigen Zwang werden?
Es gibt Menschen, die tun sich einfach furchtbar schwer mit Entscheidungen. Und Perfektionisten, wenn sie keine mehr sein wollen, stehen auch am nächsten Tage nicht auf und sind es nicht mehr. Am schlimmsten sind die Folgen von FOBO, wenn es um Entscheidungen für das eigene Leben geht und nicht um Kaufentscheidungen. Tendiert man dazu, Entscheidungen eher rational oder emotional zu treffen? Beides spielt eine Rolle und das eine ist auch nicht besser als das andere, schließlich müssen Sie mit dem Ergebnis der Entscheidung auch leben können, und das geht nicht, wenn man die Emotion komplett außen vorlässt. Aber Emotionen können uns auch in die Irre leiten. Das kann aber auch die Vernunft. Wenn man sich viel Zeit lässt und lange nachdenkt werden Entscheidungen nicht notwendigerweise optimal oder besser.

Wie schafft man es, getroffene Entscheidungen nicht mehr zu hinterfragen, sondern sich wirklich festzulegen?
Ein Weg ist, mehr persönliche Sicherheit zu erwerben, auch hier helfen Alter und Erfahrung. Und eine Portion Realismus statt Idealismus. Die Welt, man selbst und die eigenen Entscheidungen sind halt nicht perfekt. Aber vielleicht gut genug

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