Lust auf Mord: Österreich im Bann von True Crime
Inhalt
- Coping Mechanism
- Das sagt die Forschung
- Die Geschichte von True Crime
- Der Mörder im Studio
- Streaming und Podcasts
- Kritik: Keine Rücksicht auf Opfer
- Legendäre Netflix-Verbrechen
True Crime ist zum Massenphänomen geworden: Wir streamen den Podcast „Dunkle Spuren“ schon beim Frühstück und im Feierabendverkehr „Zeit Verbrechen“. Abends läuft dann „Aktenzeichen XY“ oder der „I Am A Killer“, Staffel 6, auf Netflix.
Coping Mechanism
Drei von vier Österreichern interessieren sich laut einer aktuellen Forschungsarbeit der Uni Graz für wahre Verbrechen. Wenn es kriminell wird, schauen wir also nicht etwa weg, sondern ganz genau hin: Warum?
Die Studien-Autorin, Psychologin Corinna Perchtold-Stefan von der Universität Graz, spricht von einer Strategie, wie man mit dem Schrecklichen umgehen kann ("Coping Mechanism"):
Es ist eine wichtige Strategie von uns Menschen, Angst kontrolliert zu erleben – und dabei nicht wirklich in Gefahr zu sein.
Das sagt die Forschung
Die Forschung der Wissenschaftlerin zeigt, dass True-Crime-Fans nicht einfach sensationshungrig sind, sondern vor allem verstehen wollen: Was bringt Menschen dazu, moralische und rechtliche Grenzen zu überschreiten? Wie tickt ein Mörder, eine Betrügerin? Und: Ist man bei unaufgeklärten Fällen womöglich schlauer als die Ermittler? Grauen und Erkenntnis wechseln sich ab. True Crime, so Perchtold-Stefan, ist eine Form der „kreativen Emotionsregulation“ – ein mentales Training, um Bedrohung und Kontrolle im Gleichgewicht zu halten.
Die Geschichte von True Crime
Schon die frühen Gerichtsreportagen des 19. Jahrhunderts beweisen, wie stark Menschen auf reale Verbrechen reagieren.
Der Mörder im Studio
Doch erst das Fernsehen machte den Nervenkitzel massentauglich. Mit „Aktenzeichen XY… ungelöst“ entstand 1967 das erste True-Crime-Format, bei dem die Polizei das Publikum um Hilfe bat. Millionen saßen vor den Bildschirmen, verfolgten 1977 entsetzt den „Mord am Akazienweg“ (Mutter und Tochter, massakriert).
2015 erlebten die Zuschauer mit, wie ein später überführter Mörder live im XY-Studio seine von ihm getötete Verlobte betrauerte!
Streaming und Podcasts
Heute spielt sich True Crime auch auf Streamingplattformen und in Podcasts ab. Einer der ersten und gleichzeitig erfolgreichsten überhaupt, „Serial“ aus den USA, zeigt einen weiteren Grund für die Faszination True Crime: Angestoßen von den Fragen, die die erste Staffel (2014) in einem Mordfall aufwirft, wird der Prozess neu aufgerollt. Und endet mit einem Freispruch für den zu lebenslang Verurteilten. Als Hörer hat man das (irrationale) Gefühl, am Sieg der Gerechtigkeit beteiligt gewesen zu sein.
Kritik: Keine Rücksicht auf Opfer
Auch Gerichtsreporter weisen in ihrer Berichterstattung immer wieder auf Ungereimtheiten bei Ermittlungen hin. Doch während es sich, jedenfalls in seriösen Medien, um faktenbasierten Journalismus handelt, ist der True-Crime-Tonfall persönlicher, die Perspektive intimer – die Grenzen zwischen Journalismus, Unterhaltung und Voyeurismus verschwimmen. Kritiker warnen vor Sensationslust, einer Romantisierung von Tätern und fehlender Rücksicht auf Opfer und deren Angehörige.