Katja Lewina: "Wir brauchen eine Deadline"
Die deutsche Autorin Katja Lewina greift in ihren Büchern immer wieder Themen auf, die zwar viele Menschen bewegen, aber selten offen besprochen werden. Im Interview erzählt sie, warum das Schreiben für sie lange kein geplanter Beruf war, aber wie sie darin dennoch ihre Leidenschaft gefunden hat. Nach ihrem letzten Buch über Vergänglichkeit und den Umgang mit dem Tod widmet sie sich nun in "Wir können doch Freunde bleiben" einem anderen großen Menschheitsthema: Trennungen. Offen, ehrlich und ohne Scheu vor Tabus spricht Lewina über das Loslassen, über Schmerz und Neuanfang – und darüber, warum Freundschaft nach dem Ende einer Liebe manchmal doch möglich ist.
Interview
Seit 2020 hast du ja fast jährlich ein Buch veröffentlicht. Wolltest du eigentlich schon immer Autorin werden, oder war Schreiben eher ein Ventil für dich?
Katja Lewina: Wenn ich zurückschaue auf mich als Jugendliche, hätte ich niemals gesagt, ich will beruflich schreiben. Aber eigentlich war es total klar, dass ich es immer schon wollte. Ich glaube, das kam einfach nicht in meinem Gedankenspektrum vor, dass das etwas ist, das man als normaler Mensch beruflich tun könnte. Ich dachte eher, sowas machen Leute, die abartig begabt sind oder so viel Geld geerbt haben, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, wie sie von ihrer brotlosen Kunst leben können. Gleichzeitig habe ich aber immer schon geschrieben und für mich Dinge verarbeitet oder nacherzählt, die mir passiert sind. Im Grunde ist es ja das, was ich jetzt mache, nur dass ich es für die Öffentlichkeit tue: Ich greife Themen auf, die mir persönlich wichtig erscheinen und die auch andere Menschen interessieren oder beschäftigen.
In deinem letzten Buch „Was ist schon für immer?“ geht es darum, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Lebst du durch diese Erfahrungen bewusster?
Katja Lewina: Ich denke, dass Menschen, die mit dem Tod in Berührung gekommen sind – sei es durch Erkrankungen oder durch Verlust oder Trauer – oft dieses Momentum erleben: „Ok, was will ich jetzt mit dem Rest meiner Zeit anfangen? Wie möchte ich mein Leben wirklich führen, wenn ich weiß, dass es jeden Augenblick zu Ende sein kann?“ Das erleben fast alle, die in solchen Situationen sind. Die große Kunst ist, dieses Gefühl langfristig aufrechtzuerhalten, denn auch der schlimmste Trauerfall ebbt irgendwann in seiner Intensität ab. Auch die schwierigste Erkrankung oder Einschränkung wird mit der Zeit zur Normalität. Dann geht es darum, dieses Bewusstsein dafür zu bewahren, dass es etwas Besonderes ist, hier zu sein.
Warum verdrängen wir das Thema Tod so gerne, obwohl es doch Teil des Lebens ist?
Katja Lewina: Weil es einfach das Schmerzlichste ist, was uns passieren kann – besonders der Verlust von Menschen, die wir lieben. Viele Menschen wünschen sich, vor ihrem Partner zu sterben, um das Leid nicht erfahren zu müssen. Unsere große Angst vor dem Tod und das Verstummen, das wir erleben, wenn wir mit Trauer konfrontiert werden, rührt daher, dass wir daran erinnert werden, dass wir selbst eines Tages nicht mehr sein werden.
Du selbst bist ja mit deiner Diagnose täglich konfrontiert. Wie erlebst du das? Ist es ein Fluch oder ein Geschenk?
Katja Lewina: Es fällt mir schwer, das in Kategorien wie „Fluch“ oder „Geschenk“ zu fassen. Ich würde eher sagen, es ist einfach das Leben. Es ist manchmal ungerecht, manchmal schön. Ich muss mit Einschränkungen leben, die andere in meinem Alter vielleicht nicht haben. Aber gleichzeitig habe ich viele Geschenke bekommen. Ich habe eine gewisse Gleichmut gegenüber dem Schicksal entwickelt.
Longevity, also Langlebigkeit, ist aktuell ein Trendthema. Wie stehst du dazu?
Katja Lewina: Ewig leben können wir nicht – das ist eine menschliche Utopie, die es schon immer gab. Pharaonen wollten weiterleben, religiöse Mythologien versprechen ein Leben nach dem Tod. Heute finden wir einen neuen Mythos: Wir könnten den Tod austricksen. Aber der menschliche Körper kann nach heutigem Stand nur etwa 120 Jahre alt werden. Alles darüber hinaus ist unwahrscheinlich. Wir können natürlich versuchen, uns zu schützen und fit zu bleiben. Das Ziel sollte aber nicht sein, möglichst lange zu leben, sondern möglichst lange gesund und aktiv zu bleiben. Zwei Jahre länger durch eine Therapie bringen nichts, wenn man das Leben nicht wirklich lebt. Viel wichtiger ist es, das Leben gut zu gestalten und mit einem guten Gewissen sterben zu können.
Würde ein Leben ohne Ende überhaupt Sinn ergeben?
Katja Lewina: Philosophisch betrachtet: Nein. Wir brauchen eine Deadline, um Dinge zu erledigen. Schreibende kennen das: Ein Abgabetermin zwingt uns, etwas zu vollenden. Würden wir ewig leben, würden wir vieles aufschieben, weil wir wüssten, dass wir es irgendwann noch tun könnten.
Dein neues Buch behandelt Trennungen. Wie kam es dazu?
Katja Lewina: Das war eher Zufall. Ich hatte persönlich nichts mit dem Thema zu tun, weil ich in einer glücklichen Beziehung war. Während meiner Buchtour zu „Ex“ habe ich dann viele Trennungsgeschichten gesammelt. Ich habe Exemplare meines Buches an Personen mit besonders schlimmen Trennungsgeschichten verschenkt, und dadurch haben sich viele Geschichten angesammelt. Ich habe angefangen, sie aufzuschreiben, und daraus entstand das neue Buch.
Gibt es deiner Meinung nach eine „gute“ Trennung? Und warum fällt es uns oft schwer, loszulassen?
Katja Lewina: Liebe wird in unserer Gesellschaft stark idealisiert: Der richtige Partner, für immer zusammenbleiben, das romantische Ideal. Wenn Beziehungen scheitern, fühlen wir uns schnell schuldig oder als Versager. Wir bleiben oft in unglücklichen Beziehungen in der Hoffnung, dass sich etwas ändert. Aber Menschen ändern sich nicht für uns und deshalb fällt Loslassen so schwer.
Ist Freundschaft nach der Trennung möglich?
Katja Lewina: Ja, absolut. Ich bin mit einigen Ex-Partnern befreundet, mein Ex-Mann ist mir immer noch sehr nah. Anfangs ist es oft schwierig, da Verletzungen vorhanden sind. Aber mit der Zeit kann daraus eine echte Freundschaft entstehen, basierend auf gemeinsamen Erfahrungen, Humor und Respekt. Wenn jemand Probleme damit hat, dass ein Partner noch mit der Ex befreundet ist, sagt das oft mehr über diese Person aus als über die Freundschaft selbst.
Was würdest du jemandem raten, der gerade eine schlimme Trennung durchmacht?
Katja Lewina: Zeit ist die beste Antwort. Alles heilt nach und nach. Während ich an meinem Buch gearbeitet habe, habe ich selbst eine Trennung erlebt. Die Geschichten in meinem Buch haben mir gezeigt, dass Trauer, Angst und Schmerz überwindbar sind. Am Ende bringt das Leben neue Erfahrungen, bessere Beziehungen und Selbstkenntnis. Das Schicksal hält oft noch viel Schönes für uns bereit.