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Linz: "50 Shades of Grey" – die Enthüllung

18.02.2015 um 12:16, Gerlinde Vierziger
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Was macht eigentlich die lustvolle Faszination am Schmerz aus? Der Linzer Sexualmediziner Georg Pfau enthüllt die Hintergründe zu den erregenden Ritualen aus "50 Shades of Grey".

Die erotische Kollision der jungen und unbedarften Studentin Anastasia Steele und dem mehrere Jahre älteren, erfolgreichen Unternehmer Christian Grey wurde in Buchform als "50 Shades of Grey" zum Bestseller, die Verfilmung feierte vor wenigen Tagen in den heimischen Kinos ihre Premiere. Weltweit delektiert sich das Kinopublikum an einer lustvollen Ausübung von Macht und Dominanz und dem Spiel mit dem Schmerz.

Dabei ist der Spannungsbogen zwischen Wehrlosigkeit und Dominanz alles andere als grau und langweilig. Das aufregende Austesten von Machtgrenzen reicht von sanften Fesselspielen über verruchte Bestrafungen bis hin zu sadomasochistischen Ritualen. Doch was macht dieses, bei uns oft als anormal empfundene, sexuelle Phänomen eigentlich aus?

Interview mit Georg Pfau, Sexualmediziner aus Linz

Tragen „Fifty Shades of Grey“ & Co zum Enttabuisieren von Sexualthemen wie BDSM bei? Verändern sie das Sexualleben der Österreicher?
Hier gibt es zwei Tendenzen: Zum einen wird in Büchern und Filmen mit paraphilen (von der Norm abweichend) sexuellen Inhalten ein gewisses Thema – hier des Sadomaso­chismus – in das Bewusstsein gerückt. Von der Aufbereitung hängt es ab, ob es als Kuriosum oder als durchaus normale Spielart der Sexualität wahrgenommen wird. Zum anderen kann es durchaus zu einer Erweiterung der sexuellen Praktiken kommen.

Wo liegt die Grenze zwischen Lust, Liebe und Gewalt und Demütigung oder Abhängigkeit?
Diese Frage lässt sich sehr allgemein beantworten: Erlaubt ist, was nicht schadet – weder physisch noch psychisch. Sexualität versteht sich als Spiel zwischen zwei sich liebenden Menschen. Die Grenze zum Verbotenen liegt dort, wo einer der Partner sich gedemütigt oder verletzt fühlt.Dann wird die Grenze überschritten.

Sind Liebe und Lust trennbar? Was passiert, wenn ein Partner die eigenen Vorlieben nicht teilt?
Liebe und Lust sind untrennbar. Denn der Mensch ist immer und zu jeder Zeit zu 100 % ein biologisches, zu 100 % ein psychologisches und zu 100 % ein soziales Wesen. Die sexuellen Vorlieben von zwei Menschen werden kaum je absolut gleich sein, d. h., Sexualität kann nur in jenem Umfang stattfinden, der dem größten gemeinsamen Nenner beider Partner entspricht.

Woher kommt die Liebe zum Schmerz?
Schmerz erregend zu finden ist weit verbreitet. Grundsätzlich ist jedes sexuelle Erregungsmuster erworben – durch biologische, erziehungs- und erfahrungsbedingte Faktoren. Für das Zustandekommen von sadistischen und masochistischen Erregungsmustern gibt es Erklärungsversuche aus der Psychoanalyse. Vereinfacht gesagt rächt sich der Sadist an der Partnerin für die von der Mutter vorenthaltene Liebe, während sich der Masochist dem übermächtigen Vater unterwirft. All diese aus der Kindheit erlernten Reflexe und Verhaltensmuster werden in der Pubertät sexualisiert und auf den Partner übertragen. Die Partnerin/der Partner „badet“ letztlich aus, was die Eltern vermittelt haben.

Kommt BDSM in bestimmten Bevölkerungsschichten öfter vor?
Sexuelle Präferenzen sind sowohl transkulturell als auch transsozial, d. h., sie kommen in allen Kulturen und allen sozialen Schichten etwa gleich häufig vor. Dies gilt mit einiger Sicherheit auch für Sadismus und Masochismus.

Im Vergleich zum alten Rom oder zum Mittelalter – Epochen, in denen die Grenzen der „sexuellen Normalität“ breiter gesteckt waren: Sind wir heute eine konservative Gesellschaft?
Die Grenzen des Akzeptierten in der Sexualität scheinen enger zu werden. Dies verunsichert und reduziert die Bereitschaft, sexuell aktiv zu werden. Wir leben in einer übersexualisierten, aber untererotisierten Welt. Gefühle kommen beim Sex zu kurz. Er verkommt zur technischen Disziplin und macht die Menschen nicht mehr glücklich. In Wirklichkeit geht es nicht so sehr um das „Was“, sondern um das „Wie“. Sexualität erhält ihren Stellenwert erst durch Befriedigung von psychosozialen Bedürfnissen, die an Intimität, also Beziehung, gebunden ist.

Filmszene aus "50 Shades of Grey"

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