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Sexuelle Unlust kann viele Faktoren haben.
Sexuelle Unlust kann viele Faktoren haben.
iStock.com/People Images

Wenn die Lust flöten geht

29.10.2020 um 00:08, Cornelia Scheucher
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In jahrelangen Beziehungen gehören Flauten im Bett zum Alltag. Problematisch wird es aber, wenn die Lust auf lange Zeit nicht zurückkehrt und immer mehr Ausreden statt Sex praktiziert werden.

Vorgestern waren beide zu müde, gestern war der Tag zu stressig und der morgige Abend ist auch schon verplant. Im Laufe der Zeit werden die Ausreden zur Routine und ehe man sichs versieht, liegt der letzte Sex schon eine halbe Ewigkeit zurück. Prinzipiell gehören solche Phasen in Langzeitbeziehungen zur Normalität und sind nichts Schlechtes. Gewisse außerordentliche Belastungen, beispielsweise der Job, können zu Lustlosigkeit im Bett führen. Nach einer gewissen Zeit wälzt man sich hingegen wieder gerne in den Laken und bekommt nicht genug voneinander. Problematisch wird es jedoch, wenn die Lust völlig abhanden kommt und Sex immer mehr zum nötigen Übel in einer Beziehung wird. Denn dann gibt es Grund zur Sorge.

Suche nach dem Warum

Wo wir gerade bei den Gründen sind – davon  gibt es bei Lustlosigkeit viele. Als Erstes sollten immer organische Ursachen von einem Arzt ausgeschlossen werden. Außerdem gibt es eine Vielzahl an psychischen Krankheiten, beispielsweise Depressionen, bei denen Lustlosigkeit zu den Symptomen zählt. Liegen weder physische noch psychische Beschwerden vor, muss die Beziehung reflektiert werden. „Denn dann liegt eine gestörte Beziehungsdynamik vor“, meint die Sexualtherapeutin Dr. Elisabeth Kirkovits. Als bestes Beispiel dient folgendes: Je öfter der eine Part Sex fordert, desto mehr zieht sich der andere Part zurück. Ein Partner ist ständig unzufrieden und am Nörgeln, während sich der andere nicht verstanden fühlt und beginnt, sich zurückzuziehen. „Ich nenne diesen Prozess einen Teufelskreis der Lustlosigkeit. Beide sind festgefahren in ihren Ansichten und meiden immer häufiger den sexuellen Kontakt“, erklärt Dr. Kirkovits.

Durchbruch

Doch wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? „Wichtig ist es, einen Dialog zu finden“, rät die Therapeutin. Zumindest einer muss den Mut haben und das Problem der Unlust ansprechen, im besten Fall machen das natürlich beide. Dann muss offen darüber kommuniziert werden und beide Partner müssen sich eingestehen können, dass sie an der Situation beteiligt sind. Fatal wäre es, nur einem die Schuld in die Schuhe zu schieben. Kommt man als Paar alleine aus der Krise nicht hinaus, kann eine Therapie helfen. „Je früher eine Paartherapie gestartet wird, desto leichter ist es, die Probleme zu bewältigen. Viele schämen sich dafür und kommen recht spät, dann liegt oft schon ein langer Leidensweg hinter ihnen“, so die Expertin.

Bedürfnisse

Sich Lustlosigkeit einzugestehen, ist genauso wichtig, wie über die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Laut dem Amorelie-Sexreport von 2019 sprechen 27 Prozent der Befragten selten bis nie über das gemeinsame Sexleben. Nur 22 Prozent tauschen sich regelmäßig darüber aus. 33 Prozent gaben an, ungern über den eigenen Pornokonsum zu sprechen. Fast genauso viele meiden das Thema Selbstbefriedigung. Es gibt also nach wie vor noch genug Tabuthemen, über die in einer Partnerschaft nicht gesprochen wird. Dabei ist es unglaublich wichtig, die Bedürfnisse des Partners zu kennen und darauf einzugehen. Dr. Kirkovits dazu: „Zahlreiche Studien beweisen, dass eine Beziehung ohne ein erfülltes Sexleben stagniert. Im schlimmsten Fall verlieren die Partner im Laufe der Zeit das Interesse aneinander.“

 

Ist die sexuelle Krise überwunden, bietet es sich an, etwas Neues im Bett zu probieren.

​​​​​Toys und Co.

Fällt der Begriff Unlust, werden oft Sextoys und Co. als Lösung vorgeschlagen. Aber kann das wirklich helfen? „Einem Paar in einer sexuellen Krise würde ich das nicht raten“, meint Dr. Kirkovits. Verspürt nämlich nur ein Partner keine Lust, kann es schnell passieren, dass der andere die Lustlosigkeit maschinell, zum Beispiel mit Vibratoren, zu vertreiben versucht. Das löst aber auf Dauer die Probleme nicht. Hat man sich jedoch wieder angenähert und spürt Vertrauen, lohnt es sich definitiv, etwas Neues auszuprobieren. Sextoys für sie und ihn können das Liebesleben auf eine neue erotische Stufe bringen. Übrigens: Der Austausch von Zärtlichkeiten oder heißen Blicken fördert die Sehnsucht und das Begehren. Noch ein Tipp vom Profi: sich einen erotischen Raum schaffen. „Es sollte nicht darauf gewartet werden, dass sich spontaner Sex ergibt“, erklärt die Therapeutin. Vereinbarte Dates oder eine romantische Zeit zu zweit sorgen für das passende Vorspiel und prompt wird die Stille im Schlafzimmer durch Stöhnen ersetzt.

Paardynamik

Ganz nach dem Motto „Kommunikation ist der Schlüssel“ sollte also darauf geachtet werden, dass das eigene Sexleben immer wieder in Gesprächen zum Thema wird. „Das Herzstück einer Beziehung ist eine erfolgreiche Paardynamik. Diese setzt sich zur einen Hälfte aus der Psyche des Mannes und zur anderen Hälfte aus der Psyche der Frau zusammen“, so Dr. Kirkovits. Beziehungen, Liebe und ein erfülltes Sexleben benötigen eben einiges an Arbeit – dafür ist es ganz sicher die schönste Arbeit der Welt mit dem wertvollsten Lohn.

Interview mit Dr. Elisabeth Kirkovits (Psycho-, Paar- und Sexualtherapeutin)

weekend: Gibt es überhaupt so etwas wie einen Richtwert für genug Sex?

Nein, davon kann eigentlich nicht gesprochen werden. Entscheidend ist das subjektive Erleben beider Partner. Ist einer unzufrieden, muss der andere dieses Thema ernst nehmen. Ein erfülltes Sexleben ist für eine gut funktionierende Beziehung essenziell.

weekend: Wann besteht Grund zur Sorge?

Phasen, in denen man kaum bis wenig Sex hat, sind in langjährigen Beziehungen normal. Wenn das Liebesleben aber auf Dauer auf der Strecke bleibt, es keine äußerlichen Belastungen gibt, sich das Zusammenleben eher wie eine Wohngemeinschaft anfühlt und Intimität ein Streitpunkt ist, sollte man darüber nachdenken und der Sache auf den Grund gehen. Wichtig ist, dass sich beide gleichermaßen für das Thema interessieren und sich im Falle einer Therapie einstimmig dafür entscheiden.

weekend: Wie kann eine Paartherapie helfen?

Die Lustlosigkeit in einer Beziehung kann ein Symptom für eine Begegnungsstörung sein. Diese wird in einer Therapie analysiert. Beide Partner bekommen den Raum, offen miteinander über ihr Sexualleben und ihre Bedürfnisse zu sprechen. Das Paar erhält auch Übungen für zu Hause. Das können Streicheleinheiten sein oder Übungen, die die Stimulation verbessern. Primär geht es darum, sich wieder neu kennenzulernen. Die Therapie bietet eine Struktur und hilft, den Teufelskreis zu durchbrechen. Es entsteht ein gemeinsamer Entwicklungsweg und das Paar wächst miteinander.

weekend: Und was wäre das bestmögliche Ergebnis der Therapie?

Ein Circulus Amorosus, ein Kreislauf der Liebe und Zuneigung. Beide Partner fühlen sich in der Beziehung verstanden und geliebt. Jeder kann sich offen und ohne Scham ausdrücken und jeder kann über seine Lust und sexuellen Bedürfnisse sprechen. Im besten Falle werden diese natürlich auch erfüllt.

 

Tipps für mehr Lust:

Offene Kommunikation: 

Die eigenen sexuellen Bedürfnisse sollten immer wieder zum Gegenstand des Gesprächs werden. Ein ehrlicher Austausch ist wichtig.

Vertrauen schaffen: 

Gegenseitiges Vertrauen ist die Basis für guten Sex. Zuhören muss gelernt sein, der Partner soll sich in der Beziehung verstanden und gut aufgehoben fühlen.

Zärtlichkeiten:

Manchmal reicht eine kleine Berührung, ein kurzer Blick oder ein Wort aus und beide brennen vor Lust. Kleine zärtliche Momente können immer in den Alltag eingebaut werden und machen Lust.

Ortswechsel:

Ein Kurzurlaub tut der Seele und der Libido gut. Der hektische Alltag wird zurückgelassen und es bleibt mehr Zeit zu zweit.

Neues probieren:

Es muss nicht gleich ein Bondage-Set sein. Bereits kleine Veränderungen können das Sexleben anheizen und sorgen für mehr Spaß im Bett. Mittlerweile gibt es genug Anbieter für jedermann und -frau.

Stellungswechsel:

Missionar-, Reiter- und Löffelchenstellung sind zwar schön, aber es gibt noch weit mehr. Inspiration gibt es genug, es muss auch nicht das gesamte Kamasutra sein.

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