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Ein Mann schützt sich sein Gesicht mit der Hand
Traditionelle Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen an „Männlichkeit“ fördern Gewalt in Beziehungen.
Traditionelle Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen an „Männlichkeit“ fördern Gewalt in Beziehungen.
iStock.com/Serghei Turcanu

Gekränktes Ego: Wenn Männlichkeit verletzt

30.11.2025 um 11:00, Nina Dam
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Hinter verschlossenen Türen: Warum ein gekränktes Ego so gefährlich werden kann und wie wichtig es ist, über seine Gefühle zu reden.

Inhalt

Jeder Fall ist einer zu viel: In ganz Österreich gab es heuer bereits mehr als 10 Femizide. Die Beratungsstellen für Gewaltprävention meldeten im Vorjahr über 12.000 Anlassfälle, und rund 14.500 Betretungs- und Annäherungsverbote wurden von der Polizei im Bereich „Gewalt in der Privatsphäre“ ausgesprochen. Zahlen, die für sich sprechen. Die häufigsten Gründe? Ein gebrochenes Herz, ein verletztes Ego, ein gekränkter Mann. Warum muss es immer wieder so weit kommen?

Kein sicherer Ort

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass häusliche Gewalt vor allem Frauen, aber auch Kinder und ältere Menschen betrifft. Grundsätzlich bezeichnet der Begriff körperliche, sexualisierte sowie emotionale Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem Haus zusammenleben. Dass das traute Heim schnell zu einem gefährlichen und unsicheren Ort mutieren kann, weiß auch Ulrike Gärtner ganz genau. Sie ist die Vorständin und Geschäftsführerin von Innova Austria, einem gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von Frauen und Mädchen. „Der Großteil der Frauen, die mit dem Thema Trennung zu uns kommen, sind im Grunde von Gewalt betroffen.“ Es sei offensichtlich, dass viele Männer nur sehr schwer mit Kritik und Zurückweisung umgehen können. Warum eigentlich?

Der starke Mann

„Wird ein ohnehin schwacher Selbstwert durch das Verhalten einer anderen Person bedroht, entsteht ein intensiver innerer Schmerz. Dieser Schmerz kann zu Aggression und auch zu gewaltvollem Verhalten führen“, bringt es die Psychologin, Lebens- und Sozialberaterin und Familientrainerin Elena Persché auf den Punkt. Doch Aggression an sich sei gar nicht das Problem – sie ist eigentlich ein gesunder Impuls, um die eigenen Grenzen aufzuzeigen. „Wenn Menschen jedoch keine guten Vorbilder hatten und nie gelernt haben ihre Gefühle und Bedürfnisse zu kommunizieren, kann dies zu einer fehlgeleiteten Aggression führen. Diese zeigt sich dann eben durch Gewalt gegenüber anderen oder sich selbst.“ Welche zentrale Rolle Erziehung, traditionelle Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen spielen, zeigt sich hier einmal mehr sehr deutlich. So wird das Bild des starken Mannes, der keine Verletzlichkeit zeigen darf, auch heute noch von Eltern weitergegeben. „In meiner Beratungspraxis erlebe ich häufig, wie schwer es speziell Männern fällt, ihre Gefühle wahrzunehmen, einzuordnen und über sie zu sprechen“, erzählt die Grazer Expertin.

Es braucht vor allem gute männliche Rollenvorbilder, die zeigen: Es ist okay, über Gefühle zu sprechen, sich Hilfe zu holen und Verletzlichkeit zuzulassen.

Elena Persché, Psychologin, Lebens- und Sozialberaterin und Familientrainerin

Aufklärugsarbeit

Umso wichtiger ist eine Sensibilisierung für diese Thematik. Neben dem großen Beratungs- und Hilfsangebot setzt sich die Frauen- und Mädchenberatung auch für Aufklärungsarbeit bei jungen Menschen ein. Gärtner betont: „Wir haben Sprechtage in höheren Schulen, informieren über Gewaltformen, sexuelle Selbstbestimmung und Gruppenzwang.“ Die traurige Realität ist jedoch: Auch wenn bereits viele Schritte in die richtige Richtung gehen, verstärken Social Media und Künstliche Intelligenz das Gewaltproblem zunehmend. Auf Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. werden Frauen wieder vermehrt als sexuelle Objekte dargestellt, und auch die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nimmt erneut zu. Hinzu kommt, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen ein weiteres Element dieser Gewaltspirale darstellt.

Ehrliche Unterstützung

Was also tun, wenn häusliche Gewalt plötzlich im eigenen Umfeld eine Rolle spielt oder man vermutet, dass eine Freundin oder Arbeitskollegin von ihrem Partner bedroht wird? Gärtner rät: „Ein vertrauliches Gespräch suchen und die Sorgen ansprechen. Einfach zuhören und gleichzeitig signalisieren: Ich bin immer da für dich.“ Es gibt zahlreiche Gründe, warum es Betroffenen oft sehr schwer fällt, eine gewaltvolle Beziehung zu verlassen – auch wenn das für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist. „Äußere Faktoren können etwa die Angst vor der Reaktion des Partners, vor gesellschaftlicher Stigmatisierung oder auch finanzielle Abhängigkeit sein“, erläutert die Psychologin. Aber auch das Thema Selbstwert spielt eine Rolle: „Wer tief in sich glaubt, nicht wertvoll oder liebenswert zu sein, erlebt Gewalt oft als unbewusste Bestätigung dieser inneren Überzeugung.“ Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, braucht es viel Unterstützung. Denn eines sollte jedem bewusst sein: Es gibt keine Ausrede für Gewalt. Die Verantwortung liegt immer beim Täter.

Eine Frau lächelt
Ulrike Gärtner, Vorstand und Geschäftsführerin Innova Frauen- und Mädchenberatung.

Interview

Wie erleben Sie aktuell die Situation von Frauen und Mädchen in Bezug auf häusliche Gewalt?
Gärtner: Häusliche Gewalt ist ein gravierendes gesellschaftliches Problem. Wir haben heuer schon 13 Femizide und 25 Mordversuche. Der Großteil der Frauen, die mit dem Thema Trennung und Scheidung zu uns kommen, ist im Grunde von Gewalt betroffen.

Man sagt, ein gekränkter Mann sei die größte Gefahr für eine Frau. Wie sehen Sie das?
Gärtner: Ja, ich glaube, das Grundproblem ist einfach, dass die Männer schwer umgehen können mit Kritik, Zurückweisung oder einer Trennungsabsicht. Das traute Heim ist in Wirklichkeit also der gefährlichste Ort für Frauen, weil Männer zu Hause die Verfügbarkeit haben. Sie wissen genau, wann die Frau wo ist. Zu Corona-Zeiten hatten wir es oft mit sehr schwerer Gewalt zu tun. Das bedeutet, dass der Verlauf tödlich enden kann. Wir hatten zum Beispiel schon Frauen, die aufgewacht sind und der Mann saß mit einer Pistole neben ihr.

Wie unterstützen Sie Frauen in Ihrer Beratung?
Gärtner: Wir bauen Vertrauen auf, schauen, was die Frau in dem Moment braucht. Für viele ist es das erste Mal, dass sie darüber sprechen können. Wir zeigen Wege und Möglichkeiten auf. Wichtig sind beispielsweise Angebote wie Krisenübergangswohnungen. Frauen brauchen einen Ort, um zur Ruhe zu kommen und ihre Situation zu klären.

Welche präventiven Angebote gibt es?
Gärtner: Ein wichtiges Projekt heißt „Es passiert, bevor es passiert“. Wir schulen Menschen im sozialen Umfeld, Berufsgruppen, Multiplikatorinnen. Wir sensibilisieren über Gewaltformen und informieren über rechtliche Grundlagen und Anlaufstellen. Auch Exkursionen zur Gewaltambulanz oder zum Gewaltschutzzentrum gehören dazu. Dann gibt es auch noch das Projekt „Ist Luise da?“ – ein Kennwort in der Gastronomie, um schnell Hilfe zu bekommen. Das wird sehr gut angenommen.

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