Alarm: Giftige Chemikalie in Semmeln und Co.
- Erste Funde der Chemikalie
- Untersuchung in Österreich und Europa
- Gesundheitsrisiken und Grenzwerte
- Forderungen und Reaktionen
Semmeln, Nudeln, Frühstücksflocken, Kekse – Produkte, die täglich auf Europas Tellern landen, sind laut Umweltschützern mit einer möglicherweise fortpflanzungsgefährdenden Chemikalie belastet. Die Substanz Trifluoracetat (TFA), ein langlebiges Abbauprodukt aus Pflanzenschutzmitteln, wurde in zahlreichen Getreidewaren aus ganz Europa gefunden.
Erste Funde der Chemikalie
TFA ist das Salz der Trifluoressigsäure und entsteht beim Abbau sogenannter PFAS-Verbindungen. Diese per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen werden unter anderem in Pestiziden eingesetzt und gelten als extrem langlebig. Laut dem Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000 „ist die Substanz in der Umwelt extrem beständig und reichert sich im Wasser an“. Der Chemiker verwies darauf, dass der Konzern Bayer bereits 2021 die EU über Tierversuche informiert habe, in denen TFA schwere Fehlbildungen bei Föten verursachte. Gleichzeitig sei eine Einstufung als „vermutlich reproduktionstoxisch beim Menschen“ beantragt worden.
Bereits 2023 konnten Umweltschützer von Global 2000 TFA in österreichischem Leitungs- und Mineralwasser sowie im Grundwasser nachweisen. Im darauffolgenden Jahr tauchte die Chemikalie auch im Wein auf – laut den Forschern in bis zu 100-mal höheren Mengen als im Wasser. Der Fund deutete darauf hin, dass Pflanzen die Substanz besonders stark aufnehmen.
Untersuchung in Österreich und Europa
Nach den Wasser- und Weinfunden schickte Global 2000 im Frühjahr 48 heimische Getreideprodukte an das steirische Testlabor „Institut Dr. Wagner“. Untersucht wurden Brot, Frühstücksflocken, Kekse, Nudeln, Mehl und Körner von Dinkel, Weizen, Roggen, Reis und Mais. Bei allen Proben wurde TFA festgestellt – unabhängig davon, ob sie biologisch oder konventionell erzeugt waren.
Im nächsten Schritt beteiligte sich Global 2000 an einer europaweiten Analyse des Pesticide Action Network Europe (PAN Europe). Dabei wurden 66 konventionelle Getreideprodukte aus 16 Ländern untersucht – darunter Semmeln aus Österreich, Spaghetti aus Italien und Baguettes aus Frankreich und der Schweiz. In 54 der Proben wurde TFA nachgewiesen.
Die höchsten Werte fanden sich laut Burtscher-Schaden in Frühstückszerealien mit bis zu 360 Mikrogramm pro Kilogramm – rund hundertmal mehr als die durchschnittliche TFA-Belastung im europäischen Trinkwasser. Besonders stark betroffen waren Weizenprodukte, die laut Global 2000 achtmal mehr TFA enthielten als Roggen, Hafer, Mais oder Reis. Als mögliche Ursachen nannten die Forscher eine häufigere Anwendung von PFAS-Pestiziden bei Weizen oder eine stärkere Anreicherung der Substanz in dieser Getreideart.
Gesundheitsrisiken und Grenzwerte
Ob die gemessenen Mengen gesundheitlich bedenklich sind, hängt von den herangezogenen Richtwerten ab. Nach älteren Vorgaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wären die Werte unkritisch. Neuere Richtlinien aus der belgischen Region Wallonien zeigen jedoch ein anderes Bild. Demnach überschreiten Erwachsene beim täglichen Verzehr die tolerierbare Dosis um das 1,5-Fache, Kleinkinder sogar um das 4-Fache.
TFA gehört zur Gruppe der PFAS-Chemikalien, die seit Jahren wegen möglicher Gesundheitsrisiken in der Kritik stehen. In Tierversuchen wurden Zusammenhänge mit Missbildungen, Schilddrüsenstörungen, Leber- und Immunsystemschäden sowie verminderter Spermienqualität beobachtet. Laut Burtscher-Schaden sind „fortpflanzungsgefährdende Chemikalien in Lebensmitteln inakzeptabel“.
Forderungen und Reaktionen
Die Umweltorganisationen fordern ein sofortiges Verbot von PFAS-haltigen Pflanzenschutzmitteln. „Insbesondere für den Schutz von Kindern und Schwangeren brauchen wir ein umgehendes Verbot, um die weitere Anreicherung von TFA einzudämmen“, so Burtscher-Schaden. Auch Salomé Roynel, Politikreferentin bei PAN Europe, warnte gegenüber dem „Guardian“: „Unsere Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit eines sofortigen Verbots von PFAS-Pestiziden, um weitere Kontaminationen der Nahrungskette zu stoppen.“
Die Industrie reagierte zurückhaltend. Der europäische Pestizidverband CropLife erkläre laut „The Journal“, verfügbare Risikobewertungen zeigten „keine toxikologischen Bedenken bei TFA unter realistischen Expositionsbedingungen“. Man plädiere für einen risikobasierten Ansatz statt für pauschale Verbote.
Die EU arbeitet inzwischen an einer formellen Einstufung von TFA als reproduktionstoxisch. Damit könnten künftig strengere Kontrollen und neue Grenzwerte für Lebensmittel folgen.