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"Die durch ein berufliches Standbein erworbene Unabhängigkeit ist Voraussetzung für mutige Entscheidungen mit längerfristiger Perspektive.." Kathrin Stainer-Hämmerle Politikwissenschaftlerin
"Die durch ein berufliches Standbein erworbene Unabhängigkeit ist Voraussetzung für mutige Entscheidungen mit längerfristiger Perspektive.." Kathrin Stainer-Hämmerle Politikwissenschaftlerin
peterbaier fotografie, Tinefoto

Gefangen im System

09.10.2025 um 00:00, Klaus Schobesberger
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Analyse. Parteien leiden zunehmend an Kompetenzverlust und am Funktionärswesen, erklärt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle.

CHEFINFO: Was treibt erfolg­reiche Unternehmer und Manager dazu, in die Politik zu wechseln? Sind die Motive in Österreich anders als in anderen Ländern?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Die Motive werden sich nach Ländern nicht unterscheiden, wohl aber die Möglichkeiten. Diese hängen vor allem von der Durchlässigkeit der Parteien ab bzw. von deren Interesse, Quereinsteiger auf wählbare Listenplätze zu setzen. Wichtig ist aber nicht nur der Einstieg, sondern ebenso die Ausstiegsmöglichkeiten. Wenn politisches Engagement einer anschließenden weiteren Karriere in der Privatwirtschaft schadet, dann sinkt die Motivation verständlicherweise beträchtlich.

Wie hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das politische und gesellschaftliche Umfeld diesbezüglich ­geändert?
Stainer-Hämmerle: Am auffallendsten ist der rapide Imageverlust von Politikern und Parteien. Wer sich engagiert, kämpft hier mit Vorurteilen, dass etwa das eigene Interesse vor jenes der Allgemeinheit gestellt würde. Ebenfalls schmerzhaft ist der Kompetenzverlust bei Parteien und in der öffentlichen Diskussion. Vor allem digitale Medien haben hier zu einer Emotionalisierung, Polarisierung und Beschleunigung geführt, die an Sachlösungen interessierten Personen politisches Engagement verleiden. Aber auch die Parteien entwickeln sich immer mehr zu geschlossenen Systemen mit eigener Logik, weil die meisten Funktionäre nur mehr innerhalb der Partei oder deren Vorfeldorganisationen sozialisiert wurden und kaum mehr Erfahrung in anderen beruflichen Bereichen aufweisen.

Welche strukturellen und kulturellen Hürden begegnen Wirtschaftsführern in der österreichischen Innenpolitik als Quereinsteiger, insbesondere im Vergleich zur „Ochsentour“ durch die ­Parteienstrukturen?
Stainer-Hämmerle: Erfolgreich in der Politik oder in der Wirtschaft zu sein, erfordert gänzlich andere Eigenschaften. Während es in der Wirtschaft um schnelle Entscheidungen geht, mahlen die Mühlen der ­Politik wie bekannt oft langsam. Ziel ist dort auch nicht der eigene Vorteil gegenüber der Konkurrenz, sondern der Ausgleich im Sinne einer Verbesserung für breite Gruppen mit durchaus widersprüchlichen Interessen. Dabei steht der Dialog im Mittelpunkt und auch die Bereitschaft, Abstriche für erzielbare Kompromisse zu machen. In der Wirtschaft wäre das zugegeben kein Erfolgsrezept.

Wie wichtig sind hochkarätige Quereinsteiger für eine Partei oder ein politisches System?
Stainer-Hämmerle: Personen mit Fachkompetenz sind immer wichtig für die ­Politik, und wo wäre diese besser zu er­reichen als durch Erfahrung. Die durch ein beruf­liches Standbein erworbene Unab­hängigkeit ist Voraussetzung für mutige Entscheidungen mit längerfristiger Per­spektive. Ob die Parteien diese Unabhängigkeit so schätzen, daran habe ich allerdings 
meine Zweifel. 

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