Der Letzte macht das Licht aus
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Geht es um die Stimmung in Deutschland, ist Harald Schmidt immer noch ein zuverlässiger Gradmesser. Gefragt, ob er denn nicht auch auswandern wolle, antwortete der bekannte Entertainer: „Ich bleibe hier, weil einer muss das Licht ausmachen.“ Diese Gemütslage des nahenden Untergangs in der immerhin drittgrößten Volkswirtschaft der Welt spiegelt sich auch im Sachbuchmarkt wider, wenn auch weniger humorvoll.
Den Anschluss verpasst
Erwähnenswert ist der Abwrack-Band „Kaputt. Das Ende des deutschen Wirtschaftswunders“. Erzählt wird die Geschichte des Abstiegs des industriellen Machtzentrums Europas. Wirtschaftspolitische Rezepte für die Rückkehr zu alter Stärke sucht der Leser vergeblich, weil das deutsche Wirtschaftsmodell der Exportüberschüsse („Neomerkantilismus“) schlicht „am Ende ist“. Das Resümee des Autors Wolfgang Münchau für diese Misere ist kurz: Die Welt wandelte sich und Deutschland nicht. Das Land ist Weltmeister der analogen Ära, hat Technologien und Geopolitik falsch eingeschätzt, ist von Branchen abhängig, die ihre Blütezeit längst hinter sich haben, hat ein übermächtiges Bankensystem mit sinkenden Gewinnmargen und einen wenig ausgeprägten Kapitalmarkt, der helfen könnte, in neue Sektoren zu diversifizieren. Der Autor erinnert an das lange funktionierende Netzwerk zwischen Banken, Großindustrie und Politik, an den Klüngel von Schröders „Frogs“ („Friends of Gerd“) oder an Angela Merkels Feststellung im Jahr 2014, das Internet sei Neuland. Ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier ließ sich im Auto keine Anrufe durchstellen, weil ihm die Funklöcher peinlich waren.
Die USA profitieren
Dabei könnte das Land der Innovatoren vom Schlage eines Gutenberg und Benz auch als Disruptor der digitalen Welt dastehen: 1991 löste Jürgen Schmidhuber, Computerwissenschaftler an der TU München, mit seinem Studenten Sepp Hochreiter ein großes Problem der maschinell lernenden Algorithmen, die heute Grundlage für KI-Anwendungen wie ChatGPT sind. Die Erfolgsgeschichte der künstlichen Intelligenz wird allerdings nicht in Europa, sondern in den USA geschrieben. Schmidhuber forscht in der Schweiz und der KI-Pionier Hochreiter leitet an der Johannes Kepler Universität in Linz das Institute for Machine Learning. Ein Lichtblick für Österreich. Dafür gibt es noch den Diskonter Aldi (Süd) mit Sitz in Mülheim a. d. Ruhr, jenem Ort, wo Münchau aufgewachsen ist. „Aldi existiert immer noch, das Unternehmertum, das es verkörpert, jedoch nicht mehr“, schreibt Münchau. Der frühere „Financial Times“-Journalist wohnt in Oxford und lässt die Außensicht eines Wahl-Briten in seine Analyse einfließen. So gibt er am Ende des Buches doch noch zwei kurze Reformrezepte mit auf den Weg. Er wünscht sich ein Mehrheitswahlrecht im Bundestag: Die Sieger sollen wie in Großbritannien regieren, die Verlierer die Opposition bilden. Und zweitens benötigt der Staatenbund eine europäische Kapitalmarktunion mit einem einzigen Kapitalwert.
Totgesagte leben länger
Letzteres Vorhaben hält selbst Münchau für einen frommen Wunsch angesichts der nationalistischen Tendenzen in Europa. Mehr Einheit innerhalb der EU sei aber nötig wegen der neuen Stärke Chinas. Dass deutsche Autobauer nicht nur den Elektro-Trend verschlafen haben, sondern nun auch von China verdrängt werden, ist das Thema von Autor Frank Sieren mit seinem neuen Buch „Der Auto-Schock“, das zum Start der Automesse IAA in München erscheint. Allerdings könnten aktuelle Statistiken darauf hinweisen, dass Totgesagte länger leben. Alle Autohersteller legten die vergangenen Monate beim Absatz zu, insbesondere der VW-Konzern verkaufte im ersten Halbjahr 2025 um vier Prozent mehr Pkw als im Vorjahr. Vielleicht ist der Schock ja doch heilsam und Schmidt muss mit dem Lichtabdrehen noch etwas zuwarten.