Das mühsame Comeback der Industrie
Inhalt
- Troubles mit den USA
- Neustart und mehr Effizienz
- Neue Fabriken und Deindustrialisierung
- „Abgesandelter“ Standort
Wer den Ausführungen Robert Ottels folgt, könnte glauben, der lang ersehnte Aufschwung sei endlich da. 19 Jahre lang war er Finanzvorstand der voestalpine AG und maßgeblich an der positiven Entwicklung des Stahlkonzerns mitbeteiligt. Seit diesem Sommer ist der Zahlenmensch Chef des börsennotierten Feuerwehrausrüsters Rosenbauer. Dessen Flughafenlöschfahrzeuge „Panther“ sind weltweit gefragt und das Aushängeschild des Leondinger Konzerns. Nach der Pandemie geriet Rosenbauer gefährlich ins Schleudern und konnte nur durch ein beherztes Restrukturierungsprogramm wieder auf Kurs gebracht werden. Mit neuen Mehrheitseigentümern wie Mark Mateschitz und Stefan Pierer im Hintergrund soll der erfahrene Industriemanager die Position des Unternehmens auf den Weltmärkten nun weiter stärken. Die Ausgangslage dafür könnte trotz Trump, Teuerung und globaler Turbulenzen besser kaum sein: Der Auftragsbestand liegt mit 2,4 Milliarden Euro deutlich über dem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro. Mit dabei ist ein Großauftrag des deutschen Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern mit mehr als hundert fix bestellten Fahrzeugen. Lieferketten haben sich in den vergangenen beiden Jahren verbessert, was eine beschleunigte Produktion und Auslieferung ermöglicht. Und nicht zuletzt tangieren die Zoll-Eskapaden Donald Trumps den oberösterreichischen Traditionsbetrieb nur am Rande. Der Grund: Rosenbauer produziert in drei eigenen US-Werken für den amerikanischen Markt. Dreht sich langsam die Stimmung in der Industrie? „Insgesamt scheinen sich die Anzeichen für eine Verbesserung zu mehren. Es ist alles sehr branchenabhängig. Rosenbauer ist in einem der wenigen Märkte tätig, die derzeit wachsen“, dämpft Ottel den aufkeimenden Optimismus.
Troubles mit den USA
Ähnlich sieht die Lage voestalpine CEO Herbert Eibensteiner: „Rückenwind verspüren wir nur in einzelnen wenigen Bereichen wie Bahninfrastruktur, Flugzeugindustrie und Lagertechnik.“ Der Stahlmanager rechnet auch mit positiven Effekten durch die angekündigte Infrastruktur-Initiative aus Deutschland – aber nicht mit dem Ende der Unsicherheit: „Die Handelsverwerfungen werden weitergehen.“ Auf 50 bis 70 Millionen Euro jährlich taxiert Eibensteiner die Kosten für die voestalpine aufgrund der US-Zollpolitik. „Wir haben aber auch 350 Millionen Euro in den letzten fünf Jahren in den USA investiert.“ Bei Rubble Master, Weltmarktführer im Bereich mobiler Kompaktbrecher für die Recycling- und Natursteinindustrie mit Sitz im Süden von Linz, haben sich die Zölle nur in geringem Maße ausgewirkt, da das Unternehmen Lagermaschinen vorrätig hatte. „Allerdings sind die Zölle von anfänglich zehn Prozent inzwischen auf 15 Prozent gestiegen. Insgesamt führt dies jedoch zu einem Investitionsstopp, vor allem weil die Amerikaner auf Zinssenkungen warten. Seit April haben wir aus den USA keinen einzigen Auftrag erhalten. Zudem haben sich Elon Musks Einsparungsprogramme auch auf uns ausgewirkt. Wir haben dadurch zwei feste Aufträge verloren – einen vom Militär und einen vom Verteidigungsministerium“, erzählt CEO Günther Weissenberger. Der Hidden Champion wurde von der Krise 2022 und 2023 besonders hart getroffen. Deutschland machte rund 50 Prozent des Gesamtrückgangs aus. Ende 2024 wurden Sparmaßnahmen eingeleitet – sowohl beim Personal als auch in anderen Bereichen. „Heuer sind wir wieder auf einem guten Weg. Im ersten Halbjahr haben wir unsere Ziele erreicht und für die operative Gesellschaft Rubble Master HMH GmbH in Europa gute Ergebnisse erzielt. Auch Südamerika läuft sehr gut. Bis Jahresende haben wir eine sehr gute Auftragsdeckung“, sagt Weissenberger.
Neustart und mehr Effizienz
Zwiespältige Signale ziehen sich derzeit durch die gesamte heimische Industrie. Etwa beim Flugzeugzulieferer FACC: Die Hightech-Firma mit chinesischen Eigentümern profitiert vom Höhenflug der Luftfahrtbranche. Als wichtiger Boeing-Lieferant ist FACC von US-Zöllen ausgenommen. Hohe Material- und Standortkosten knabbern aber am Gewinn und zwingen zu Effizienzsteigerungen. Nur noch hochpreisige Teile sollen im Innviertel produziert werden, die weniger ertragreichen und komplexen Produkte im Kabinenbereich werden an den Standort Kroatien verlagert. Die lange erfolgsverwöhnte Grenzregion ist seit der Insolvenz des Motorradherstellers KTM im Herbst des Vorjahres ohnehin in Schockstarre. Bis 2024 waren im Innviertel kaum Facharbeiter zu bekommen, nun steigen die Arbeitslosenzahlen seit Monaten an. Das Schicksal des einst größten europäischen Motorradherstellers stand auf Messers Schneide. Dank des indischen Partners Bajaj, der nun die Mehrheit an KTM hält, konnte die Sanierung abgeschlossen und die Produktion im August offiziell hochgefahren werden. Happy End? Die an der Börse notierte Muttergesellschaft Pierer Mobility überraschte jedenfalls mit einem (buchhalterischen) Restrukturierungsgewinn von 1,19 Milliarden Euro.
Neue Fabriken und Deindustrialisierung
Etwa zeitgleich eröffnete BMW im Beisein hoher politischer Prominenz die Produktion des neuen E-Motorenwerks in Steyr. Mit dieser milliardenschweren Investition will der Autobauer ein neues Kapitel der heimischen Industriegeschichte aufschlagen. Doch die Bremsspuren des wichtigen Industriezweigs sind lang und unübersehbar: Automobilzulieferer in Deutschland und Österreich streichen Tausende Stellen, verlegen Produktionen oder suchen ihr Heil in der staatlich gedopten Rüstungsindustrie. Vor allem die Konkurrenz aus China setzt den Unternehmen zu. Laut einer Studie der PwC-Beratungstochter Strategy& kommen deutsche Zulieferer nur noch auf einen Weltmarktanteil von 23 Prozent, was etwa dem Niveau von 2005 entspricht. Zeitgleich haben chinesische Mitbewerber ihren Anteil auf zwölf Prozent gesteigert. Aus der Vogelperspektive sieht es aber nicht mehr ganz so schlimm aus – zumindest, wenn es nach dem EinkaufsManagerIndex (EMI) der UniCredit Bank Austria in Europa geht: Der ist mit 49,1 Punkten auf dem höchsten Stand seit drei Jahren. In Österreich ist das Neugeschäft weiterhin rückläufig, wenn auch in gebremster Form. Es ist eine verrückte Welt: An der Wiener Börse und in Frankfurt gelistete Unternehmen erklimmen völlig abgekoppelt von der Realwirtschaft neue Kurshöhen. Der Deutsche Aktienindex (DAX) ist heuer mit mehr als 20 Prozent stärker gestiegen als viele andere Indizes. Dafür schlägt die Elektro- und Elektronikindustrie in Österreich Alarm: Sie meldet sinkende Auftragseingänge, rückläufige Produktionszahlen und einen Abbau von Arbeitsplätzen. Wolfgang Hesoun, ehemaliger Siemens Österreich-Chef und Branchensprecher, sieht die „Deindustrialisierung am Vormarsch“. Die Gründe sind bekannt: eine überdurchschnittlich hohe Inflation, gestiegene Energiekosten und ein immenser bürokratischer Aufwand.
„Abgesandelter“ Standort
Warnende Stimmen vor einem zu teuren und wenig wettbewerbsfähigen Standort wurden von der Politik bisher in den Wind geschlagen. Die Aussage von Christoph Leitl, damals Präsident der Wirtschaftskammer, vom „abgesandelten Österreich“ ließ 2014 die Wogen hochgehen. Heute gibt ihm die Entwicklung recht. „Der große Aufschwung ist nicht da. Woher soll er denn auch kommen? Österreich hat kein Konjunktur-, sondern ein Strukturproblem, also einen hausgemachten Verlust der Wettbewerbsfähigkeit“, analysiert Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung OÖ. Die Situation sei für heimische Betriebe unverändert – und die offene Zollfrage komme noch hinzu. Die Bundesregierung will jetzt handeln: Pensionserhöhungen unter der Inflationsrate, billiger Industriestrom und ein Konjunkturpaket in Höhe von einer Milliarde sollen auf den Weg gebracht werden. Die Lage in Österreich erinnert an ein berühmtes Zitat des Roman-Klassikers „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“ Oder mit Stockers Worten: „Wir werden unseren Wohlstand selber sichern oder ihn nicht mehr haben.“ Ob das geplante Maßnahmenpaket der Regierung für den lang ersehnten Aufschwung reicht, muss sich erst zeigen.