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Eine Hand mit vier ausgestreckten Fingern vor einer Tafel mit der Aufschrift: 4-Day Work Week
Die Befürworter der Viertagewoche sehen in ihr das Arbeitsmodell der Zukunft
Die Befürworter der Viertagewoche sehen in ihr das Arbeitsmodell der Zukunft
iStock.com/tumsasedgars

Vier gewinnt: Vor- und Nachteile der Viertagewoche

22.01.2024 um 16:40, Stefan Kohlmaier
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Wir werfen einen nüchternen Blick auf das teils komplexe Für und Wider der oftmals polemisch diskutierten Reduktion der Arbeitswoche.

In der anhaltenden Diskussion über die Einführung der Viertagewoche kommt auch regelmäßig der Begriff "New Work“ zur Sprache. Als Begründer dieses alternativen Arbeitskonzeptes gilt der österreichisch-US-amerikanische Sozialphilosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann. Dieser erklärte den real existierenden Sozialismus nach einer Reise in die damaligen Ostblockstaaten (1976 – 1979) für gescheitert und rief daraufhin die "New Work“-Bewegung als neues Gegenmodell zum westlichen Kapitalismus ins Leben.

Porträt des Wissenschaftler Frithjof Bergmann, der ein graues Hemd trägt
Frithjof Bergmann gilt als der Vater der New Work-Bewegung" deren Philosophien auch die Vertreter der Viertagewoche teilweise aufgreifen

Handlungsfreiheit

Den Kern seiner Philosophie bildete ein Dreiklang aus den Werten Selbstständigkeit, Teilhabe und Freiheit, wobei er Letztere nicht nur als Entscheidungsfreiheit, sondern als vollumfängliche Handlungsfreiheit verstand. Ein zentrales Anliegen seiner Überlegungen war es daher, die Menschen dabei zu unterstützen, einer Beschäftigung nachzugehen, die ihre persönlichen Wünsche, Hoffnungen, Träume und Begabungen widerspiegelte. Viele der gegenwärtigen Befürworter der Verkürzung der Arbeitswoche auf vier Tage argumentieren mit ähnlichen Schlagwörtern und heben die Vorteile des Modells für die Gesundheit, Lebensqualität und Work-Life-Balance der Mitarbeiter hervor. Doch würde auch die gegenüberliegende Seite – sprich, die Arbeitgeber – davon profitieren?

Eine junge Frau, die vor zwei Computermonitoren sitzt und in die Kamera lächelt
Der Kreativ- und IT-Branche fällt es in der Regel leichter, alternative Arbeitszeitmodelle umzusetzen

Branchenfrage

Pauschal lässt sich diese entscheidende Frage allerdings nicht beantworten, da der jeweilige Geschäftszweig, auf dem ein Unternehmen tätig ist, diesbezüglich einen signifikanten Einfluss ausübt. So fällt es Vertretern der Kreativbranche – beispielsweise Software-Unternehmen oder Marketingagenturen – in der Regel leichter, innovative Arbeitszeitmodelle umzusetzen. Strategien wie "Homeoffice“ oder "Vertrauensarbeitszeit“ sind in diesem Umfeld schon seit längerem keine Fremdwörter mehr. Außerdem machen sich die effizienzsteigernden Effekte der Digitalisierung in dieser Sparte überdurchschnittlich stark bemerkbar. Und so vermeldete Microsoft Japan bereits im Jahr 2019 eine 40-prozentige Produktionssteigerung durch den Umstieg auf die Viertagewoche.

Ein junger Mann in einem blauen Overall, der in einer Fertigungshalle ein Bauteil inspiziert
Für den Bereich der produzierenden Industrie sagen manche Beobachter einen eklatanten Produktivitätsverlust im Falle etwaiger Arbeitszeitverkürzungen voraus

Produktivitätsverlust

Im Gegensatz dazu weisen Vertreter produzierender Industriebetriebe darauf hin, dass ihnen für die Aufteilung des Arbeitspensums auf nur vier Arbeitstage deutlich weniger Spielraum zur Verfügung stehe. Würden sie somit die Arbeitszeit etwa auf 32 Stunden verkürzen, müssten die Mitarbeiter dieselbe Arbeitsleistung in einer um 20 Prozent reduzierten Arbeitszeit erbringen. Und ein derartiges Vorgehen würde höchstwahrscheinlich einen gravierenden Produktivitätsverlust nach sich ziehen. In Branchen wie dem Pflege- und Gesundheitswesen sowie der Kundebetreuung sind Arbeitszeitverkürzungen ebenfalls kaum zu realisieren. Einerseits, weil diese Bereiche bereits heute mit einem massiven Fachkräftemangel zu kämpfen haben, andererseits, weil sie auf die physische Anwesenheit der Arbeitskräfte angewiesen sind.

Eine Ärztin misst in ihrer Praxis den Blutdruck eines älteren Patienten
Aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels sind Viertagemodelle für den Gesundheits- und Pflegebereich zum jetzigen Zeitpunkt undenkbar

Mangelberufe

Auf die stetig wachsende Liste der Mangelberufe macht in diesem Kontext auch der Wirtschaftsbund Österreich aufmerksam. Laut dessen im November 2023 veröffentlichten Stellenmonitor waren in diesem Monat österreichweit 185.075 Stellen unbesetzt. Mit Blick auf den demographischen Wandel, der laut Statistik Austria das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der arbeitenden Generation und den Über-65-Jährigen erheblich aus dem Gleichgewicht geraten lassen wird, spricht Kurt Egger (WB-Generalsekretär) von der 32-Stunden-Illusion. Für ihn ginge eine solche mit einem empfindlichen Wohlstandsverlust sowie Qualitätseinbußen im Gesundheitswesen und dem Öffentlichen Verkehr einher. Hinzu kommt, dass Österreich in einer aktuellen OECD-Studie (OECD Employment Outlook 2023) zu den jährlich geleisteten Arbeitsstunden auf dem sechstletzten Platz rangiert. Im Schnitt absolvieren heimische Arbeitskräfte pro Jahr demnach gut 1.000 Arbeitsstunden weniger als ihre Kollegen im Land des Studienspitzenreiters Kolumbien (1.444:2.405 Stunden).

Eine Holzpuppe, die einen gelben Würfel mit einem grünen Plus sowie einen grünen Würfel mit einem weißen Minus in Händen hält
Jedes Modell zur Verkürzung der Arbeitszeiten ist durch spezifische Vor- und Nachteile gekennzeichnet

Mehrere Alternativen

Wer also mit dem Gedanken spielt, in seinem Unternehmen ein Viertage-Modell einzuführen, sollte vorab klären, welche Variante sich als die dafür praktikabelste erweist: Die Verdichtung der Normalarbeitszeit auf nur vier Tage oder die tatsächliche Reduktion der Wochenstunden um einen vollen Arbeitstag. Als Alternative könnte er zudem die "Scrum-Methode“ ins Auge fassen, die sich in der IT-Szene größter Beliebtheit erfreut. Dabei wird jeder Unternehmensauftrag in kleine, aufeinander aufbauende Projekte fraktioniert, die für ein Team aus Voll- und Teilzeitbeschäftigten in ein bis zwei Wochen umsetzbar sind. Zu Beginn jedes Projektzyklus teilen sich die Mitarbeiter die Arbeitsschritte untereinander auf und jeder von ihnen übernimmt so viele, wie er für realistisch hält.

Das spricht für die Viertagewoche (laut www.oegbb.at)

  • Eine Verkürzung der Arbeitszeit minimiert das Auftreten gesundheitlicher Beschwerden wie Erschöpfungszustände, Schlafstörungen oder Rückenschmerzen sowie von Burnouts erheblich
  • Eine reduzierte Arbeitswoche befreit die Mitarbeiter von chronischer Zeitnot und verschafft ihnen mehr Freiraum für soziale und familiäre Kontakte, was sich positiv auf ihr Engagement sowie ihre Zufriedenheit auswirkt
  • Durch ein mit der Viertagewoche einhergehendes geringeres Pendlerverkehrsaufkommen könnten bis zu 250.000 Tonnen an CO2-Emissionen pro Jahr einspart werden

Das sprich gegen die Viertagewoche (laut arbeitszeit.iv.at)

  • Kleine Handwerksbetriebe wären im Falle einer gesetzlich verpflichtenden Viertagewoche dazu gezwungen, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, was zu einem ruinösen Anstieg der Lohnkosten führen könnte
  • Eine Verdichtung der Arbeitszeit würde in vielen Unternehmen eine gravierende Verschärfung der Stressbelastung für die Mitarbeiter mit sich bringen, da diese dieselbe Arbeitsleistung in einer um einen Tag verkürzten Arbeitswoche erbringen müssten
  • Eine Einschränkung der Arbeitszeit hat nicht automatisch eine Produktivitätssteigerung zur Folge – im Pflege- und Gesundheitsbereich würde sie vielmehr empfindliche Qualitätseinbußen nach sich ziehen

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