Czernohorszky: "Verschwendung ist mangelnde Fantasie"
Inhalt
- Wohin die Reise geht
- Warum Materialien länger leben sollen
- Turbo für den Wandel
- So will Wien die Bevölkerung motivieren
- Prognose für 2040
- Veränderungswille und Vorbildwirkung
- Eine runde Sache
Wien verankert Kreislaufprinzipien in Bau, Beschaffung und Alltag. Jürgen Czernohorszky erklärt, wie er die Wienerinnen und Wiener animieren will, beim Wandel mitzumachen.
Wohin die Reise geht
Wien startet die neue Kreislaufstrategie, mit welcher großen Zielsetzung?
Czernohorszky: Für uns ist Wegwerfen keine Option mehr. Es geht darum, Produkte länger zu nutzen, lokale Unternehmen zu stärken und Ressourcen so lange wie möglich zu verwenden – also nichts zu verschwenden. Wir wollen eine Stadt bleiben, in der ein gutes Leben für alle möglich ist. Dafür braucht es Weitblick und Willen. Aber auch wirksame Allianzen, in denen soziale, ökologische und ökonomische Fragestellungen auf politischer Ebene zusammenlaufen und gemeinsam verhandelt werden.
Warum Materialien länger leben sollen
Wo erwarten Sie besonders nachhaltige und nützliche Effekte?
Czernohorszky: Ganz sicher in der Bauwirtschaft. Wien wächst weiter. Und das ist auch gut so. Aber wir müssen so planen, dass die Gebäude von heute wertvolle Materiallager von morgen sein können.
Mit Recyclingbeton?
Czernohorszky: Genau. Dem zirkulären Bauen gehört die Zukunft: Die Wiederverwendung beziehungsweise Wiederverwertung soll zum Standard werden. Ein schönes Beispiel dafür ist der künftige „Bildungscampus Nordwestbahnhof“, der hier hoffentlich für die Zukunft wegweisend sein wird.
Mein Ziel ist eine Stadt, in der auch unsere Kinder und Enkelkinder noch so gut leben können wie wir.
Turbo für den Wandel
Wie will die öffentliche Hand den Wandel noch beschleunigen?
Czernohorszky: Indem wir die Beschaffungsstrategie auf neue Beine stellen und nur noch reparaturfähige Produkte bestellen. Ein Schwerpunkt liegt im Aufbau regionaler Serviceketten. Im Gesundheits- und Pflegebereich liegt weiteres Potenzial: Mit einer auf lokale Zulieferer ausgerichteten Verpflegungsoffensive legen wir los. Wir bleiben nicht abstrakt, sondern wollen ins Handeln kommen und alle einladen, mitzumachen.
So will Wien die Bevölkerung motivieren
Wie wollen Sie die Bevölkerung ins Boot holen?
Czernohorszky: Mit dem moralischen Zeigefinger wird es nicht gehen. Wir setzen auf eine bewährte Kombination, nämlich Angebote und Anreize. Und: Kreislaufwirtschaft muss nicht kompliziert sein. Reparaturboni, Leih- und Tauschmodelle, gut sichtbare Sammel- und Rückgabesysteme sind die nutzerfreundliche Basis. Wir möchten konkrete Vorteile im Alltag aufzeigen, vom gesparten Euro bis zum komfortableren Service. Wichtig ist, wie schon erwähnt, das Vorbild der Stadt: Wenn Wien bei Möbeln, IT oder Leuchten auf langlebige Systeme setzt – Stichwort „Wiener Leuchte“ mit austauschbaren Modulen –, versteht man sofort, was Kreislauf heißt. Das hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension: Wir wollen, dass die Wienerinnen und Wiener den Wert der Dinge neu entdecken. Das stärkt auch die Brieftasche.
Viele Firmen fürchten dennoch, dass Mehrkosten auf sie zukommen.
Czernohorszky: Mit der nun im Gemeinderat beschlossenen Strategie schaffen wir ganz im Gegenteil Sicherheit – in Planungs- wie Finanzierungsfragen. Und das über mehrere Regierungsperioden hinweg. Wenn jetzt klar ist, dass reparierbare, rückbaubare und energiearme Lösungen gefragt sind, rechnet sich die Investition. Kreislaufwirtschaft stabilisiert Lieferketten, reduziert Materialrisiken und eröffnet neue Geschäftsmodelle, die sich auf Wartung, Sharing, Aufbereitung spezialisieren. Wien ist hier stark: Wir kümmern uns als einzige Millionenstadt selbst um den gesamten Abfallkreislauf. Allein dieses Know-how von Biogas bis Hochleistungsrecycling bringt Innovation, Aufträge und Green Jobs – und wird international nachgefragt.
Die Kreislaufwirtschaft schafft neue Werte und bringt auch mehr Wertschätzung füreinander.
Prognose für 2040
Wenn alles nach Plan aufgeht: Wie sieht Wien dann in 15 Jahren aus?
Czernohorszky: Wir werden den Materialfußabdruck halbiert haben, bauen um statt ab, nutzen Energie und Stoffe mehrfach und stärken mit jedem öffentlichen Euro regionale Betriebe. Das Ergebnis: eine höhere Lebensqualität, eine robustere Wirtschaft und weniger Abhängigkeit.
Veränderungswille und Vorbildwirkung
In welchem Bereich sind Sie privat schon bereit für Veränderungen – und wo tun Sie sich noch schwer?
Czernohorszky: Ich liebe es, beim Kochen aus Resten Neues zu machen. Schwerer tue ich mir bei Kleidungsreparaturen (lächelt) – da lerne ich noch. Was gut funktioniert, sind Tauschgemeinschaften im Familien- und Freundeskreis.
Eine runde Sache
Im Oktober hat der Gemeinderat die Kreislaufwirtschafts-Strategie verabschiedet: Darin sind 33 Maßnahmen definiert – vom Bauen über die Beschaffung bis zur Gesundheit. Stadtrat Jürgen Czernohorszky: "Wir setzen die Hebel an." Aus guten Vorsätzen sollen messbare Ergebnisse werden.