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Martin Hinteregger im Sport-Talk | Credit: GEPA pictures/ Patrick Leuk
GEPA pictures/ Patrick Leuk

Martin Hinteregger: „Ich bin ein unbewusster Grenzgänger“

17.05.2021 um 14:43, Sandra Eder
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Der Deutschland-Legionär ist auf und abseits des Rasens ein echtes Unikat. Wir trafen „Hinti“ zum ganz persönlichen Gespräch – über EM-Erwartungen, Fehltritte und persönliche Krisen.

Aktuell befindest du dich mit Eintracht Frankfurt im Endspurt der Meisterschaft. Denkst du zwischendurch auch an die EM?
Martin Hinteregger: Die EURO ist natürlich das ganze Jahr präsent, aber ich gebe auch offen zu: Derzeit fehlt noch etwas die Euphorie – niemand weiß, wie und ob das Turnier stattfinden wird, ob Zuschauer tatsächlich vor Ort sein werden und wie alles ablaufen wird. Die Ungewissheit ist einfach groß. Es fällt schwer, sich auf etwas vorzubereiten und zu freuen, dass aktuell noch so viele Fragezeichen aufwirft.

Beim letzten rot-weiß-roten EM-Auftritt warst du dabei. Die Erwartungen waren ebenso hoch wie die Enttäuschung nach dem frühen Aus. Was muss sich diesmal ändern?
Martin Hinteregger: Ich selbst hatte damals keine gute Zeit in Gladbach – und auch andere Leistungsträger waren nicht in Topform. Dazu kommt, dass die Vorbereitung nicht optimal gelaufen ist. Schon vor dem Turnier brach eine Art „Lagerkoller“ aus und am Ende hat die Leichtigkeit gefehlt, die es braucht. Ich hoffe wirklich, dass der ÖFB aus den Erfahrungen gelernt hat und auch auf uns Spieler hört. Fakt ist, dass die besten Einzelspieler nicht helfen, wenn man als Team nicht funktioniert. Und so ehrlich muss man sein, das war in den letzten Spielen oft nicht der Fall.

Die besten Einzelspieler helfen nicht, wenn wir als Team nicht funktionieren. So ehrlich muss man sein: das war in den letzten Spielen oft nicht der Fall.

Wie schwer fällt es dir persönlich, über Wochen „kaserniert“ und ohne viel persönlichen Freiraum zu sein?
Martin Hinteregger: 
Heuer wird es sicher noch ein Stückweit extremer, weil man wahrscheinlich nicht einmal Besuch bekommen und sich aufgrund der Corona-Situation nicht frei bewegen wird dürfen. Wichtig ist, dass wir nicht in einen Trott geraten, in dem sich 24 Stunden alles nur um Fußball dreht. Das macht müde im Kopf. Man muss dazwischen abschalten können und auch etwas anderes sehen als nur das Hotelzimmer, die Kollegen und den Trainingsplatz. Ich hoffe, ich darf meine Ziehharmonika mitnehmen. Dabei kann ich gut entspannen und kann mich auf etwas anderes konzentrieren und fokussieren.

Wer ist dein persönlicher EM-Favorit?
Martin Hinteregger: Belgien. Mit De Bruyne haben sie für mich den besten Spieler der Welt und mit Romelu Lukaku den besten Stürmer. Belgien ist eine Mannschaft mit enorm viel Qualität und mittlerweile auch mit viel Turniererfahrung. Genau das fehlt Österreich einfach auch.

"Hinti" in Action | Credit: GEPA pictures/ Philipp Brem

Apropos Erfahrung, nerven dich Schlagzeilen über „Hinti Fehltritte“?
Martin Hinteregger: 
Mir geht es vor allem nahe, wenn Familie und Freunde sich dafür rechtfertigen und sich damit auseinandersetzen müssen. Ich selbst stehe zu meinen Aussagen, aber natürlich ärgert es mich, wenn Dinge aufgebauscht werden – beispielsweise als es um mein Statement zur Fan-Prügelei ging. Nur weil ich im Interview sage, ich bin der Meinung, „die sollen sich doch ‚kloppen‘ heißt das nicht, dass ich Gewalt gut finde. Mir ist bewusst, dass ich aufpassen muss, wie ich Dinge formuliere, aber ich bin jemand, der nicht lange nachdenkt und offen seine Meinung ausspricht. Als Politiker wäre ich sicher nicht sehr erfolgreich. Ich kann solche Interviews nur geben, weil auch die Leistung stimmt. Und mir ist bewusst, dass ich gerade nach einer solchen Schlagzeile doppelt abliefern muss – das pusht mich dann auch. Ich bin ein unbewusster Grenzgänger.

Und wie passt ein Grenzgänger in das „enge“ Red Bull-Gefüge?
Martin Hinteregger: 
Ich war zwölf Jahre, als ich nach Salzburg wechselte und ich bin sicher nicht grundlos nach drei Verweisen fast aus dem Internat geflogen. Zwar durfte ich am Ende bleiben, gewisse Aktionen haben mir aber viel Ärger eingebracht. Es herrschte beispielsweise Internetverbot und ich habe mir heimlich einen Stick zugelegt. Zwischendurch hatte ich echt zu kämpfen, vor allem in der Zeit als ich viel verletzt war wollte ich hinschmeißen. Ehrlicherweise dachte ich nie, dass ich Profi werde. Ich habe mich in meinem Heimatort Sirnitz im Gemeindamt gesehen. Vielleicht war genau das mein Geheimrezept. Bei mir war nie viel Druck dahinter. Ich wusste immer, wenn es nicht funktioniert, habe ich trotzdem daheim ein schönes Leben. 

Trost bei den Fans | Credit: Arne Dedert / dpa / picturedesk.com

Das heißt du bist keiner, der klare Zukunftsvisionen hat und vorausplant?
Martin Hinteregger: 
Nein, absolut nicht. Das war ich noch nie. Ich bin ein Mensch, der stark auf sein Bauchgefühl hört und aus der Situation heraus entscheidet. Man muss sagen, ich bin völlig zufällig in der Deutschen Bundesliga und in Frankfurt gelandet. Fakt ist aber auch: mir hätte nichts Besseres und Schöneres passieren können.

Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?
Martin Hinteregger: 
Ich würde sagen, Martin sei geduldiger und schlaf eine Nacht drüber, wenn sich etwas in dir aufstaut oder eine Entscheidung ansteht. Oft braucht es eben auch Geduld.

Frankfurt und Hinteregger scheint aber ein „perfect match“ zu sein…
Martin Hinteregger: 
In Frankfurt sind positiv verrückte Leute – so wie ich es bin (grinst). Ihnen gefällt es, wenn man authentisch und einer von ihnen ist. Ich stehe gerne mit Menschen am Kiosk zusammen und tausche mich mit ihnen aus. Da ist vom armen Mann bis zum reichen Geschäftsführer alles dabei. Frankfurt verkörpert all das, warum ich angefangen habe Fußball zu spielen. Die Emotionen und das Mitfiebern – das habe ich nirgends auf diese Art so gespürt. Und darum geht es am Ende. Nicht um Geld und Prestige. Ich habe immer gesagt, ich möchte noch einmal in Italien spielen. Aber aktuell müsste viel passieren, dass ich freiwillig aus Frankfurt weggehe.

Würdest du dich als „bunten Hund“ beschreiben? Jagen, Ziehharmonika spielen, Fliegen ­– deine Hobbys waren immer schon speziell…
Martin Hinteregger: Die Medien zeichnen gern das Bild vom „Hinterwäldler.“ Ich bin eben einer, dem Luxus und Mode nicht wichtig sind, der jahrelang kein Smartphone hatte und für den andere Dinge zählen. Gerade das macht mich für die Menschen spannend und ich glaube, mit mir würde jeder Unterhausfußballer und Fan gerne einmal auf ein Bier gehen. Ich fühle mich dabei auch wohler als in der Champagner-Gesellschaft.

Stimmt es, dass du dein Smartphone sofort wieder abgeben würdest, wenn du könntest?
Martin Hinteregger: 
Als ich nach Frankfurt wechselte, musste ich mir eines zulegen, weil hier alle Trainingspläne und Termine über eine App koordiniert werden. Aber für mich ist die Zeit am Handy einfach auch Zeitverschwendung. Ich habe dabei das Gefühl, das Leben zieht an mir vorbei. Seit Weihnachten habe ich Instagram – einfach, um die Menschen teilhaben zu lassen. In dieser Zeit habe ich auch erlebt, wie heftig man angefeindet wird und das teilweise von Kindern.  Diese Welt ist gefährlich, vor allem für Leute, die ihr Glück von „Likes“ abhängig machen.

Du veröffentlichst im Sommer ein Buch mit dem Titel „Innensicht“. Bist du mit 28 nicht zu jung für eine Biografie?
Martin Hinteregger: 
Nein, nein – Biografie ist es keine, das wäre langweilig. Das Buch besteht aus Geschichten, in denen ich besondere Erlebnisse aus meiner Sicht erzähle. Außerdem bin ich sehr vergesslich und möchte, dass meine Enkelkinder später erfahren, was in meinem Leben so passiert ist. Und was ich daraus gelernt habe. Das ganze Buch ist in 45 Geschichten aufgeteilt. Weil ich ja quasi auch in der „Halbzeit“ des Lebens stehe.

Ich war während meiner Zeit in Salzburg auf dem besten Weg, in eine Spielsucht zu geraten.

Welches Kapitel hat dich selbst am meisten geprägt?
Martin Hinteregger: 
Ich war während meiner Zeit in Salzburg auf dem besten Weg, in eine Spielsucht zu geraten. Später ist mir klar geworden, wie weit verbreitet diese Gefahr in meinem Umfeld und in der Gesellschaft ist und wie wichtig es ist, das offen anzusprechen. Zudem hatte ich eine Zeit lang mit Depressionen zu kämpfen. Bewegend ist für mich auch das Kapitel, als ich 2019 in der Europa League den Elfmeter gegen Chelsea verschossen habe und der Finaltraum zerplatzt ist. Das Buch war für mich wie eine Art Selbsttherapie – und ich hoffe, es wird für andere Leute ebenso lehrreich und spannend.

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